Dortmunds Marco Reus und Anthony Modeste enttäuscht am Boden.

Bundesliga Auf und ab beim BVB: Chronik einer turbulenten Saison

Stand: 28.05.2023 10:43 Uhr

In einer Saison, in der im Herbst nicht wirklich von der Meisterschaft die Rede war, scheitert Borussia Dortmund dramatisch am 34. Spieltag. Ein Rückblick.

Von Julius Ostendorf

Der "Edin-Effekt"

Nach einer enttäuschenden Saison unter Marco Rose sollte der BVB wieder zu seinen Wurzeln zurückkehren. Mit Edin Terzic installierte die Vereinsführung einen alten Bekannten. Der damals 39-Jährige hatte die Mannschaft bereits gut ein Jahr zuvor betreut – damals allerdings nur interimsweise. Den guten Eindruck, den er damals hinterlassen hatte, sollte Terzic auch zum Saisonbeginn bestätigen.

Die ersten drei Spiele unter seiner Federführung gewannen die Dortmunder allesamt. Darunter das Pokalspiel bei 1860 München (0:3) sowie die zwei Bundesliga-Kracher gegen Leverkusen (1:0) und beim SC Freiburg (1:3). Die Folge: Eine frühe Euphorie machte sich bei den Schwarz-Gelben breit. Anders als noch in den Jahren zuvor scheute man sich im Verein nicht mehr, die Meisterschaft als Saisonziel auszurufen. In diversen Medien war plötzlich vom "Edin-Effekt" die Rede.

Der erste Rückschlag

Doch so schnell diese Euphorie gekommen war, so schnell war sie auch schon wieder verflogen. Ausgerechnet Aufsteiger Werder Bremen fügte dem BVB die erste Niederlage zu – und wie! Bis zur 89. Minute führte die Terzic-Elf scheinbar komfortabel mit 2:0. Dann brach sie völlig unerwartet ein. Drei Tore schenkten die Norddeutschen den Dortmundern in den verbleibenden Minuten ein.

Bremens Oliver Burke trifft gegen Dortmund zum Ausgleich

Die Büchse der Pandora namens "Mentalitätsprobleme" stand seither weit geöffnet. Die Pleiten bei RB Leipzig (0:3) und Manchester City (1:2) taten da noch ihr Übriges. Der Mannschaft fehle es an "Leadership", zudem an der nötigen Konzentration, wurde kritisiert. Doch wie so oft in dieser Saison hatte, die Mannschaft schon bald die passende Antwort parat.

Topspiel-Held Modeste

Am neunten Spieltag stand schließlich der "deutsche Klassiker" auf dem Programm. Der FC Bayern, seit elf Jahren Abonements-Meister der Bundesliga, gastierte in Dortmund. Während des Spiels sah es lange Zeit nach einem weiteren, vorhersehbaren Münchener Triumph aus. Noch bis zur 74. Minute führte der Rekordmeister mit zwei Toren Unterschied. Doch dann kam Anthony Modeste.

Dortmunds Anthony Modeste vor dem Tor vom FC Bayern München

Der Neuzugang aus Köln legte erst clever für den eingewechselten Youssouffa Moukoko zum Spannungsmacher auf (74. Minute). Tief in der Nachspielzeit stach das Dortmunder Sorgenkind dann sogar selbst nochmal zu. Per Kopfball vollendete Modeste die herausragende Vorarbeit von Nico Schlotterbeck zum 2:2 – in der 95. (!) Minute. Der Treffer sollte in der Folge nicht nur diverse Bierbecher aus der Dortmunder Nordkurve in die Luft katapultieren, er tat gleiches auch mit der zuletzt gedämpften Stimmung der Mannschaft.

"Schweres Gepäck"

Das Stimmungshoch der Dortmunder sollte allerdings nur von kurzer Dauer sein. Im alsbald folgenden Jahresfinale patzte der BVB nämlich schon wieder. Sowohl gegen den VfL Wolfsburg (0:2) als auch gegen Borussia M’Gladbach (2:4) gingen Bellingham und Co. als Verlierer vom Platz. Die WM-Pause verbrachte man dadurch auf dem sechsten Rang, insgesamt neun Zähler hinter Tabellenprimus Bayern München.

Besonders enttäuscht zeigte sich Terzic selbst, dessen Meinung nach das Team 2023 nicht nur bei null starten werde, sondern sogar bei minus. Flügelstürmer Julian Brandt gestand ebenfalls ein: "Das ist extrem schweres Gepäck. Es tut sehr weh, wenn man vor der Winterpause verliert". Sportdirektor Sebastian Kehl versprach indes, den Problemen auf den Grund zu gehen. "Wir werden das intern schonungslos analysieren und müssen wieder angreifen."

10 aus 10: Der Traumstart ins Jahr 2023

Wie die Resultate zeigten, schien jene Analyse genau das Richtige gewesen zu sein. Die ersten zehn Pflichtspiele im Kalenderjahr 2023 konnte der BVB allesamt für sich entscheiden. In der Champions League stand man vor dem Einzug ins Halbfinale, im DFB-Pokal gehörte man zu den letzten acht und in der Bundesliga war man plötzlich wieder gleichauf mit einem taumelnden FC Bayern.

Die Ansagen in Richtung Süden kamen fortan nicht nur schneller, sie wurden auch immer selbstbewusster kommuniziert. "Wir werden niemandem auf der Welt verbieten zu träumen", sagte Trainer Terzic in Anspielung auf den Gewinn der Meisterschaft.

Verkehrte Welt: Dortmund überholt die Bayern

Am 25. Spieltag fand der Dortmunder Siegeszug seinen vorläufigen Höhepunkt. Mit einem 6:1-Erfolg gegen den 1. FC Köln eroberte der BVB erstmals seit 2019 wieder die Tabellenführung. Möglich wurde dies durch die 1:2-Pleite der Münchener bei Bayer Leverkusen, die den Rauswurf von Bayern-Coach Julian Nagelmann zur Folge hatte. Die bayerischen Chaos-Wochen nahmen hier ihren Anfang.

Dortmund-Spieler feiern mit den Fans nach dem Sieg gegen den 1. FC Köln

Kurzes Vergnügen an der Tabellenspitze

Direkt am nächsten Spieltag war der BVB dann schon wieder gefragt, die frisch erlangte Spitzenposition zu verteidigen: Dortmund gastierte beim FC Bayern. Doch das Spiel, welches als wegweisend angepriesen worden war, endete in einem Dortmunder Desaster. Die Münchener sorgten beim Debüt von Neu-Trainer Thomas Tuchel früh für klare Verhältnisse und schickten die Mannschaft um Marco Reus mit einer 4:2-Packung wieder nach Hause. Terzic gab sich dennoch kämpferisch: "Abgerechnet wird im Mai!"

Schiri "schau es dir doch an"!

Der 30. Spieltag begann mit einem Paukenschlag. Borussia Dortmund kam beim VfL Bochum nicht über ein 1:1 hinaus. Doch über die vielen vergebenen Chancen sprach kaum jemand. Vielmehr standen Schiedsrichter Sascha Stegemann und sein aus Bayern stammender VAR-Assistent Robert Hartmann im Mittelpunkt, die den Dortmundern einen klaren Elfmeter verweigert hatten.

Tim Wichmann, Sportschau, 27.05.2023 17:57 Uhr

Der Mix an Emotionen reichte von Unverständnis bis Wut. "Es ist für uns eine einmalige Chance, vielleicht eine einmalige Chance in meinem Leben, so nah an die Meisterschale zu kommen", verzweifelte Terzic im Beisein der Unparteiischen. Am Vortag hatte der FCB Hertha BSC mit 2:0 in die Knie gezwungen und somit die Tabellenführung zurückerobert.

Meisterschaft vor Augen - und dann am Boden

Die Bayern patzten völlig unerwartet noch einmal – und das ausgerechnet am 33. Spieltag. Eine 1:3-Niederlage gegen RB Leipzig bescherte den Dortmundern die nächste Steilvorlage, die der BVB zu nutzen wusste. Mit 3:0 gewannen die Schwarz-Gelben in Augsburg und sprangen einen Spieltag vor Saisonende an die Tabellenspitze.

Ein Sieg gegen Mainz 05 hätte gereicht, den Titel perfekt zu machen. Stattdessen lag das Team von Terzic nach 24 Minuten mit 0:2 zurück - und kam an einem dramatischen letzten Spieltag nur noch zum 2:2-Ausgleich. Zu wenig angesichts des gleichzeitigen Bayern-Sieges in Köln.

"Dieser Spieltag wird uns sehr lange weh tun", sagte Terzic anschließend, kündigte aber noch unter Tränen an, dass Titel schon in der nächsten Saison in Angriff genommen werden.