eSport-Pflicht für Bundesligisten Wie die Deutsche Fußball Liga mit einer virtuellen Bundesliga neue Fans gewinnen will

Stand: 14.02.2023 08:23 Uhr

Zur kommenden Saison macht die DFL eSport zur Pflicht für ihre Klubs. Das ambitionierte Ziel: die eigene Virtual Bundesliga zum dritten Standbein neben der 1. und 2. Bundesliga zu machen. Ein Blick auf den eFootball in Deutschland.

Es ist ein sehr moderner und bestens ausgestatteter Raum, in dem Eren Poyraz und Tom Bismark ihrer Arbeit nachgehen: Acht Computer-Bildschirme, einige Kameras, zahlreiche Steckdosen und Playstation-Konsolen sowie eine ganze Reihe Logos von Hertha BSC fallen ins Auge, kaum dass man den Raum betritt. Sie lassen auch die Funktion des Zimmers in der Hertha-Geschäftsstelle schnell erahnen: Nur einen knappen Kilometer Fußweg vom Olympiastadion entfernt sind hier die eFußballer der Hertha zu Hause.

Elias Nerlich klatscht mit Zuschauern am Spielfeldrand ab (Imago Images/Matthias Koch)
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Im Jahr 2018 eröffnete der Fußball-Bundesligist die sogenannte eSport-Academy. Mit dem heutigen Streamer Elias Nerlich als erstem eSportler, war Hertha damals einer von sechs Bundesligisten, die sich im eSport engagierten. Dort hat sich seitdem viel getan: In den vergangenen Jahren hat sich der eSport zu einer weltweiten wachsenden Branche entwickelt, in der mittlerweile sowohl Preisgelder als auch Zuschauerzahlen im Millionenbereich durchaus üblich sind.
 
Es ist ein Boom, der auch den eFootball hat wachsen lassen. So sehr, dass die Deutsche Fußball Liga (DFL) ab der kommenden Saison ein eSport-Team zur Pflicht für alle Vereine der 1. und 2. Bundesliga macht. Die DFL erhofft sich – gemeinsam mit eSport-affinen Klubs wie Hertha BSC – zusätzliche Reichweiten, noch mehr Fans und ein neues digitales Standbein. Es gibt aber auch Vereine, etwa den noch nicht elektronisch kickenden 1. FC Union Berlin, die vom eFootball und dessen Potenzialen weniger begeistert sind.

Der Weg in die junge Zielgruppe

Von den weniger Begeisterten aber zunächst einmal zurück zu denen mit einem Faible für den elektronischen Fußball: Vier Tage die Woche sind Eren Poyraz und Tom Bismark als zwei der insgesamt sechs eSportler auf dem Hertha-Vereinsgelände. "Montag wird zum Trainieren genutzt, Dienstag ist in der Regel VBL-Spieltag, Mittwoch steht Nachbereitung und Analyse an, Freitag mache ich dann selbst Sport", schlüsselt Bismark auf. Trainings mit dem Fitnesscoach der Hertha-Profis gehören genauso zum Alltag des 21-jährigen Hennigsdorfers wie Taktiksessions und die gesunde Ernährung der Hertha-Küche. Alles mit dem Ziel, die besagten Spieltage der VBL, der Virtual Bundesliga der DFL, so erfolgreich wie möglich zu gestalten. Wobei selbst ein gewonnener Meistertitel in der virtuellen Bundesliga eigentlich nur ein erreichtes Zwischenziel wäre.
 
"Das oberste Ziel ist, durch eSport neue Zielgruppen für Hertha BSC zu gewinnen, auf einem Weg, der gerade bei den Kindern und Jugendlichen komplett in die Zeit passt", erklärt Dennis Krüger. Der 37-Jährige ist bei Hertha sogenannter Leiter eSport und erklärt, dass es allen voran um eine sehr junge Zielgruppe geht. "Was machen denn die meisten in dieser jungen Zielgruppe? Sie zocken! Ob am Handy, am PC oder an der Konsole: Fast jeder junge Mensch hat schonmal gezockt", sagt Krüger. So liegt es nahe, dass Spiele wie die FIFA-Reihe, Videocontent im Netz und Formate wie die Virtual Bundesliga ein verlässlicher Weg sind, um Kinder und Jugendliche zu erreichen.

Der Raum der Hertha eSportler mitsamt blauem Licht, zahlereichen Bildschirmen, Konsolen und Stühlen (Bild: Hertha BSC Creation/Philipp Seidel)

Das sportliche Zuhause von Herthas eSportlern (Bild: Hertha BSC Creation/Philipp Seidel)

Milliarden-Markt Videospiele

Welche Dimensionen der Videospielmarkt in Deutschland mittlerweile tatsächlich hat, lässt sich anhand verschiedener Indikatoren erkennen: 9,8 Milliarden Euro betrug der Umsatz mit Videospielen und der dazugehörigen Hardware im Jahr 2021 in Deutschland. Laut einer Studie des Verbands der deutschen Games-Branche (game) spielten 2022 rund 59 Prozent der Deutschen zwischen sechs und 69 Jahren Videospiele.
 
Unter den Kindern und Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren liegt der Anteil derer, die täglich oder mehrmals die Woche digitale Spiele spielen, laut einer Studie des Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest sogar bei 76 Prozent – vier Prozent höher als noch im Vorjahr. Ebenfalls bemerkenswert: Die jährlich erscheinende FIFA-Reihe vom Hersteller Electronic Arts, in der auch die Virtual Bundesliga der DFL zu Hause ist, führt seit Jahren regelmäßig die Liste der in Deutschland meistverkauften Videospiele an. Allein die Ausgabe FIFA 21 verkaufte sich hierzulande laut Games Wirtschaft über zwei Millionen Mal.

DFL will eFootball professionalisieren

Während solche Zahlen Kritikern von zu viel digitalem Medienkonsum vermutlich zusätzliche Kopfschmerzen bereiten, bieten Sie der Deutschen Fußball Liga weitere Argumente für ihr verstärktes Engagement im eSport: "Das Interesse an den Themen eSport und Gaming hält an und die virtuelle, digitale Welt gehört mit zum Alltag junger Generationen", kommentiert ein Sprecher der DFL auf Anfrage von rbb|24.
 
Seit 2012 versucht die DFL, diesen digitalen Alltag der jungen Generation durch die Virtual Bundesliga mitzugestalten. Zunächst lediglich mit einem Wettbewerb für Einzelspieler – heute VBL Open genannt –, seit der Saison 2018/19 auch mit der VBL Club Championship, in der sich aktuell die eSport-Teams von 29 Klubs aus der 1. und 2. Bundesliga messen. Zwei Wettbewerbe, die den deutschen Profiligen und -klubs, laut DFL, "zusätzliche Sichtbarkeit" in der jungen Generation bescheren. Den Fußballfans wiederum würde die VBL "eine interaktive Art, sich mit dem deutschen Profifußball zu beschäftigen" bieten.

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Die Virtual Bundesliga ist also ein wichtiger Bestandteil der Digitalstrategie der DFL. Ein wichtiger Bestandteil, der seit dem vergangenen Jahr auch umfangreich in die Statuten der DFL integriert ist. Die fordern nämlich von allen Klubs der 1. und 2. Bundesliga ab der kommenden Saison nicht nur den "Unterhalt eines eFootball-Teams" (3-5 Spieler), sondern auch einen hauptamtlichen eFootball-Verantwortlichen sowie eine eigene eFootball-Heimspielstätte, ähnlich des Bildschirm-reichen eSport-Raumes bei der Hertha. Das kurzfristige Ziel der Verpflichtung zum digitalen Mitspielen in der VBL: bislang fehlende Klubs und Marken wie den FC Bayern und Borussia Dortmund mitsamt deren Strahlkraft in die Liga holen. Das langfristige Ziel: die VBL – neben der 1. und 2. Bundesliga – zum dritten Standbein der DFL zu machen.

Das digitale Dilemma von Union Berlin

Während Hertha BSC die Anforderungen der DFL allesamt bereits erfüllt, zwingen sie den anderen Berliner Bundesligisten zum Handeln. Union Berlin war bislang noch überhaupt nicht im eFootball aktiv und verwies stets darauf, dass dieser kein Teil der Köpenicker Vereinsphilosophie sei. Auf Nachfrage von rbb|24 erklärt der Klub, dass man sich bei Union aktuell über den Umgang mit der eFootball-Verpflichtung berät. Äußern wolle man sich erst im März und erst, "wenn wir uns abschließend eine Position gebildet haben". Union steht dabei vor einem Dilemma: Gründet man den DFL-Statuten entsprechend ein eSport-Team, widerspricht man der eigenen Klub-Philosophie. Oder man bleibt dieser treu, allerdings nicht ohne Strafen vonseiten der DFL in Kauf zu nehmen.
 
Ein wichtiger Faktor bei dieser Entscheidung: Die DFL hat zwar die VBL zur theoretischen Pflicht für alle Bundesligisten gemacht, jedoch bereits angekündigt, dass die Strafen für eine Nicht-Teilnahme rein finanzieller Natur sein werden. Auf den analogen Spielbetrieb, sprich das Bundesliga-Startrecht, würden sich "etwaige Sanktionen bei Nicht-Erfüllung von VBL-Lizenzkriterien" nicht auswirken, heißt es von der DFL. Wie hoch die besagten finanziellen Strafen ausfallen würden, will man auf Anfrage nicht angeben.
 
Ähnlich wie für Union Berlin könnte die Höhe der Strafe auch für den FC Bayern sehr relevant werden – wenn auch aus gänzlich anderen Gründen. Statt in der Virtual Bundesliga spielt der deutsche Fußball-Primus aktuell in einer eFootball-Liga des Electronic-Arts-Konkurrenten Konami. Ihren Sponsorenvertrag mit dem japanischen Spielehersteller haben die Münchener erst im vergangenen Sommer verlängert – laut Medienberichten für 15 Millionen Euro. Sollte Konami sich gegen eine VBL-Teilnahme des FC Bayern sträuben, müssten die Strafen der DFL also schon sehr hoch sein, um den Rekordmeister von der Sponsorenseite auf die eigene zu ziehen.

Spieler des FC Bayern München auf einer Werbewand (Bild: IMAGO/Manngold)

Kooperation mit dem Konkurrenten: der FC Bayern wirbt für Konami, statt Electronic Arts (Bild: IMAGO/Manngold)

Positive Zahlen in einer kleineren Dimension

Mit den Zahlen ist es ohnehin so eine Sache im deutschen eFootball. Weder die DFL noch Hertha BSC wollen Angaben machen, was die genaue Höhe bzw. den Ertrag ihres Investments in den eSport angeht. Immerhin: "Dank unserer Sponsoren und Partner ist unsere Bilanz im eSport positiv", erklärt Dennis Krüger. Nicht nur bei Hertha sorgen Sponsoren aktuell für das Gros der eFootball-Finanzierung. Auch die Virtual Bundesliga hat mittlerweile etwa einen Namenssponsor, der mit dafür sorgt, dass die DFL sagen kann: "Die Investitionen der DFL in den eFootball sind durch Erlöse gedeckt, welche die DFL mit dem eFootball generiert." Sprich: Die Virtual Bundesliga ist kein Zuschussgeschäft, für das die DFL im analogen Fußball Geld einsparen muss.
 
Die Dimensionen, die andere eSport-Organisatoren mit anderen Spielen zuletzt teils erreicht haben, bleiben für die DFL und auch die FIFA-Reihe allgemein bislang allerdings ein Wunschtraum. Christopher Flato, seines Zeichens Vizepräsident des eSport-Bunds Deutschland (ESBD), sieht die Gründe hierfür in den Unterschieden zu anderen, nicht sportlichen Videospielen. Während die FIFA-Reihe allen voran in Europa beliebt und die Virtuelle Bundesliga sogar komplett auf den deutschen Markt zugeschnitten sei, so Flato, sind Spiele wie League of Legends und Dota 2 globaler vertreten und insbesondere auf dem riesigen asiatischen Markt sehr beliebt.
 
Hinzukommt die analoge Konkurrenz: "FIFA ist eine Abbildung des Fußballs. Du hast also beim eFootball immer den traditionellen Fußball als Konkurrenz", sagt Flato. Wer hingegen Spiele wie League of Legends oder Counter Strike verfolgen will, könne dies eben nicht analog tun. Das Ergebnis: Das Finale der League of Legends-WM 2022 verfolgten in der Spitze über fünf Millionen Menschen gleichzeitig im Stream.

Eine andere Größenordnung: die Kulisse der WM 2022 in League of Legends (IMAGO/USA Today Network)

Eine andere Größenordnung: die Kulisse der WM 2022 in League of Legends (IMAGO/USA Today Network)

Realistische Zuversicht bei den Beteiligten

Angesichts dieser Zahlen sagt auch Herthas eFootball-Verantwortlicher Dennis Krüger über die maximal im Zehntausender-Bereich liegenden Zuschauerzahlen der VBL: "Wir sind ganz zufrieden mit den Reichweiten, haben aber natürlich das Ziel, die immer weiter zu steigern." Davon, dass FIFA-Spiele und -Wettbewerbe irgendwann dieselben astronomischen Reichweiten wie die eSport-Schwergewichte verzeichnen, geht allerdings auch er nicht aus. Mit Blick auf die Kräfteverältnisse im Fußball ergänzt er: "Auch wenn für mich beides eine große Bedeutung hat, glaube ich nicht, dass eFootball irgendwann wichtiger wird als der analoge Fußball – und das ist auch gut so", ergänzt er.
 
Insgesamt sieht Krüger dennoch viel Wachstumspotenzial für den elektronischen Fußball und somit auch die Virtual Bundesliga. Genau wie auch Cristopher Flato, der sagt: "Das Commitment ist da – von den Zuschauern, den Klubs und der DFL, aber auch den Sponsoren und Medien." Der logische Schritt sei laut Flato, "dass das Ganze weiter und in alle Richtungen wachsen wird." Wer weiß, vielleicht müssen auch Herthas eFußballer um Eren Poyraz und Tom Bismark irgendwann in einen noch größeren Raum mit noch mehr Bildschirmen, Konsolen und Kameras ziehen.