Wetzlar Carstens an der Seitenlinie von Minden. Energischer Blick.-

Nach der schlechtesten Bundesliga-Saison der Vereinshistorie Handball-Bundesliga: Frank Carstens soll die HSG Wetzlar wieder auf Kurs bringen

Stand: 22.06.2023 13:23 Uhr

Die Trainersuche der HSG Wetzlar ist abgeschlossen. Frank Carstens übernimmt den Handball-Bundesligisten aus Mittelhessen. Der Weg zurück zu alter Stärke hat damit aber gerade erst begonnen.

Die Fans der HSG Wetzlar hatten zuletzt wenig Grund zur Freude. Eigentlich sollte das 25. Bundesliga-Jahr in Folge im Verein groß gefeiert werden, stattdessen steckten die Handballer aus Mittelhessen so tief im Abstiegskampf, wie schon lange nicht mehr. Seit dem Aufstieg im Jahr 1998 hat Wetzlar noch nie so wenig Punkte in der Bundesliga geholt wie zuletzt (17:51).

Dazu kommt, dass die HSG nur drei Mal vor den eigenen Fans gewonnen hat. Sie war damit die schlechteste Heimmannschaft der Liga. Immerhin: Am Ende hatte Wetzlar das Glück, dass die beiden Absteiger – der ASV Hamm-Westfalen und GWD Minden – um einige Punkte schlechter abgeschnitten haben. Nach dem späten Klassenerhalt gibt es also jetzt die Chance auf einen Neuanfang.

Carstens kennt sich im Abstiegskampf bestens aus

Am Mittwoch haben die Mittelhessen dafür den ersten Schritt getan und ihren neuen Trainer vorgestellt. Frank Carstens soll den Verein wieder auf Kurs bringen. Der 51-Jährige kommt vom Absteiger aus Minden und freut sich auf eine anspruchsvolle Aufgabe: "Die HSG hat ein hartes Jahr hinter sich, mit vielen Turbulenzen, Veränderungen und Verunsicherungen. Meine Aufgabe ist es, Stabilität in die Leistung des Teams reinzukriegen."

Für ihn spricht, dass er in seiner achtjährigen Amtszeit die GWD Minden mehrmals zum Klassenerhalt geführt hat – auch wenn in seiner Abschiedssaison der Abstieg nicht mehr zu verhindern war. Carstens hat sich deshalb in Wetzlar vorgenommen: "Wir wollen frühzeitig weg von diesen Plätzen. Wenn man da unten steht und seine Leistung nicht mehr so bringen kann, dann führt das zu einer Verkrampfung bei den Spielern, aus der man nur schwer herauskommt."

Ein Ziel: Die Fans sollen wieder stolz auf die Mannschaft sein

Das habe der 51-Jährige bei seiner eigenen Mannschaft in Minden erlebt, aber eben auch bei der HSG Wetzlar gesehen. Positiv sei, dass sich die Mittelhessen am Ende der Saison wieder gefangen haben. Auch dank eines Mentaltrainers, der auch zu Carstens Trainerteam wieder gehören soll, habe es bei der HSG in den letzten Spielen wieder einen Aufwärtstrend gegeben. An den möchte der 51-Jährige anknüpfen.

Carstens will gestandene Spieler wie Torwart Till Klimpke oder Topwerfer Lenny Rubin wieder zu alter Stärke führen und junge Talente an die Bundesliga heranführen. Über allem steht aber, dass er die Fans wieder für die HSG begeistern möchte: "Es geht nur darüber, dass wir uns Erfolge erarbeiten. Wir brauchen eine klare Spielstruktur, eine klare Führung und mit Sicherheit auch noch den ein oder anderen neuen Spieler."

Kader soll zum Vorbereitungsstart Mitte Juli komplett sein

Gesucht wird vor allem ein zweiter Kreisläufer neben Erik Schmidt. "Der Kreisläufer ist elementar wichtig im Handball, wir brauchen auf dieser Position einen Spieler mit hoher Qualität", betont Carstens. Auch im rechten Rückraum müsse Wetzlar wohl nochmal aktiv werden. Insgesamt sollen vier Positionen noch besetzt werden.

HSG-Geschäftsführer Björn Seipp ist zuversichtlich, dass der Kader bis zum Vorbereitungsstart am 15. Juli auf jeder Position bestückt ist. "Mit der Verpflichtung des neuen Trainers haben wir die heiße Phase eingeleitet, denn Frank hat natürlich auch ein Mitspracherecht bei möglichen Neuzugängen", erklärte Seipp.

Neuanfang auch in der Nachwuchsarbeit

Eine Personalentscheidung wurde bereits getroffen: Jonas Schelker ist zum HC Kries-Luzern in die Schweiz gewechselt. Dafür rückt Ole Klimpke in den Bundesliga-Kader auf. Der jüngere Bruder von Kapitän und Nationaltorhüter Till Klimpke hat in der letzten Saison Spielpraxis beim Zweitligisten TSV Bayer Dormagen gesammelt und jetzt seinen ersten Profivertrag in Wetzlar unterschrieben.

Das soll nur der erste Schritt sein, um die Nachwuchsarbeit voranzutreiben, sagte Seipp: "Wir wollen die Kooperation mit dem TV Hüttenberg und unserem Nachwuchsbereich wieder intensiver pflegen." Laut Seipp habe Carstens in den Gesprächen immer wieder nach den Strukturen und Möglichkeiten in der Jugendabteilung gefragt. Deshalb sei er der richtige Trainer, um in absehbarer Zeit wieder Spieler aus der Region in den Erstliga-Kader zu bringen.

Carstens soll gezielt auch die jungen Spieler fördern

Klar ist aber auch: Hinter dem Paradebeispiel Klimpke klafft seit Jahren eine Lücke. Abgesehen von den Klimpke-Brüdern hat es schon länger kein Spieler mehr in den Bundesliga-Kader geschafft. Der neue Trainer Carstens hält aber dagegen: "Es ist keine Selbstverständlichkeit, einen Spieler in die Bundesliga zu bringen, das ist schon etwas Besonderes."

In Minden habe es Carstens auch nicht jedes Jahr geschafft, einen Spieler mit Bundesliga-Format hervorzubringen. "Aber über acht Jahre gesehen, hat das dann doch regelmäßig geklappt und das muss auch hier in Wetzlar der Anspruch sein." Carstens will seinen Teil dazu beitragen, dass junge Spieler den Weg von der Talentschmiede in Dutenhofen bis nach Wetzlar in die Bundesliga finden.

Nach drei Trainern in nur einer Saison soll endlich Ruhe einkehren

Der gebürtige Niedersachse, der laut eigener Aussage noch nie "länger als für einen Urlaub südlich von Minden" gewesen ist, hat bis zum Start der Vorbereitung Zeit, die Strukturen und die Spieler im Verein kennenzulernen. Er hat für zwei Jahre in Wetzlar unterschrieben – und soll damit auch auf dem Trainerstuhl die nötige Stabilität bringen.

Denn zuletzt hat die HSG drei Trainer in nur einem Jahr verschlissen. Benjamin Matschke ist nach einem starken siebten Platz 2021/22 mit viel Vorschusslorbeeren in die Saison gestartet, wurde aber nach neun Niederlagen in 13 Spielen entlassen. Interimsweise übernahmen der sportliche Leiter Jasmin Camdzic und Co-Trainer Filip Mirkulovski.

Spiel gegen Minden als Wendepunkt

Im Dezember wurde dann Hrvoje Horvat vorgestellt, der bis nach der WM auch die kroatische Nationalmannschaft trainiert hat. Diese Verpflichtung wurde jedoch zum Missverständnis. Horvat gewann nur eines von neun Ligaspielen und verließ den Verein zu allem Überfluss auch noch im Eklat. Entgegen der Absprachen mit der HSG hatte Horvat mitten im Abstiegskampf bei Kadetten Schaffhausen unterschrieben.

Horvats letztes Spiel war das Kellerduell mit GWD Minden. Die Ostwestfalen mit Trainer Carstens fügten der HSG dabei eine 25:27-Niederlage zu (27:25) und verschärften damit die Krise der Mittelhessen. Erst als wieder das Duo Camdzic/Mirkulosvki übernahm, steigerte sich die HSG wieder. Auch deshalb bleiben sie dem Verein auch unter Neu-Coach Carstens erhalten und kümmern sich weiter um die sportliche Leitung und den Posten des Co-Trainers.

Das Gastspiel von Minden im Vorjahr soll ein Vorgeschmack sein

Und Carstens? Der stellt sich jetzt bei einem neuen Verein der Aufgabe Klassenerhalt. Der Wechsel nach Wetzlar habe laut Geschäftsführer Seipp aber nichts mit jenem Spiel am 1. April zu tun: "Wir wollten ihn schon vorher holen, seit klar war, dass er auf dem Markt ist. Aber er hat uns an dem Tag auch nochmal gezeigt, dass er uns taktisch auscoachen kann und, dass er unsere Mannschaft absolut nach vorne bringen kann."