Defensive von Darmstadt 98 Einst Prunkstück, jetzt Problemzone
Dass Darmstadt 98 im Tabellenkeller der zweiten Liga steckt, liegt auch an einer wackligen Defensive. Und wie soll es anders sein? Am Freitag treffen die Lilien ausgerechnet auf die offensivstärkste Mannschaft der Liga.
Es ist noch nicht allzu lange her, da galt die Abwehr als sportliches Prunkstück des SV Darmstadt 98. Und da muss gar nicht erst zurückgeschaut werden auf einen sich in die gegnerischen Waden beißenden Lilien-Helden wie Aytac Sulu. Auch später, die Aufstiegssaison 2022/23 sei exemplarisch hervorgekramt, feierten die südhessischen Fußballer nicht nur liebend gerne Tore, sondern fast noch exaltierter eingesprungene Rettungsgrätschen. Da entwickelte sich das bloße Verteidigen zur innigen Passion.
33 Gegentreffer kassierten die Lilien damals in 34 Saisonspielen, sie bedeuteten die wenigsten der Liga, was gleichzeitig das Faustpfand für den Sprung ins Elitefeld der hiesigen Kickerei war.
Schlechter ist defensiv kein anderes Team
Klar, was war, das war, und hilft dem SVD jetzt nicht mehr weiter. Doch offensichtlich ist eines: Die derzeitige Defensivarbeit des SV98 ist problematisch, die Abwehr ist nicht ganz dicht. 19 Gegentore kassierten die Darmstädter bisher in acht Zweitligaspielen, kein anderes Team ist in dieser Kategorie schlechter. Den Aussagen zufolge haben die Protagonisten ihr Defizit jedoch erkannt.
"Wir müssen die Gegentor-Anzahl reduzieren und defensive Stabilität erlangen", sagte etwa Sportchef Paul Fernie im vereinseigenen Interview. Zudem erklärte Trainer Florian Kohfeldt zuletzt: "Die Entwicklungsschritte sind in der Offensive deutlich größer als in der Defensive." Und Mittelfeldspieler Kai Klefisch forderte: "Wir müssen in den Momenten, in denen es defensiv wichtig ist, die Konzentration hochhalten, damit wir nicht immer fünf Tore schießen müssen, um zu gewinnen."
Trainings-Schwerpunkt Hintermannschaft
Kürzlich in Karlsruhe schossen die Lilien drei Tore, was nicht für einen Dreier reichte, sondern nur für ein Remis. Zuvor waren es zwei Gegentore gegen Magdeburg, drei auf Schalke sowie in Prä-Kohfeldt-Zeiten auch mal vier in Elversberg. Kurzum: viel zu viele. Entsprechend legte der Darmstädter Trainer vor dem am Freitag stattfindenden Heimspiel gegen den 1. FC Köln einen Schwerpunkt der Übungsarbeit auf die Hintermannschaft.
Doch woran hapert‘s dort eigentlich? Zum einen sehr sicher an der Abstimmung. Ex-Coach Torsten Lieberknecht hatte die Vorbereitung sowie die ersten Saisonspiele damit verbracht, eine Dreierabwehrreihe auszutüfteln, die funktioniert. Es blieb beim Versuch. Entsprechend baute Nachfolger Kohfeldt vom ersten Tag an um und auf eine Viererabwehr. Diese Umstellung im laufenden Betrieb sei "herausfordernd", sagte Sportchef Fernie nicht ganz zu Unrecht.
Ausbaufähiges Aufbauspiel
Fernab solcher übergreifenden Systematiken waren es zum anderen aber auch die individuellen Fehlleistungen, die Punkte kosteten. Mal vergeigte es Kapitän Clemens Riedel (gegen Magdeburg), anderntags Matej Maglica (gegen Braunschweig). Auch Aleksandar Vukotic rauscht ganz gerne mal an Zweikämpfen vorbei oder bugsiert den Ball ins eigene Tor (gegen Düsseldorf). Ohnehin zählt das Spiel am Boden nicht zu den Stärken des Zwei-Meter-Mannes, was sicher ein weiterer Schwachpunkt ist. Im Aufbauspiel sind andere Teams den Lilien voraus.
Kohfeldt entgegnet den Schwierigkeiten mit Übung, was richtig ist, da er personelle Alternativen nur sehr begrenzt zur Verfügung hat. Auch ein erfahrener Mann wie Klaus Gjasula, ohnehin ja eher prädestiniert für den Mittelpart einer Dreierkette, wackelte bei seinem bisherigen Einsätzen. Oder Christoph Zimmermann, der einst mitentscheindend war für den Aufstieg: Ihn plagen nahezu dauerhaft körperliche Beschwerden.
Mit Köln kommt Offensivpower pur
Ganz zu schweigen von den Außenbahnen, wo die beiden Besten, Fabian Holland und Matthias Bader, monatelang verletzt fehl(t)en. Holland immerhin steht vor seiner Rückkehr auf dem Trainingsplatz. Die Ersatzleute Guille Bueno und Sergio Lopez mögen zwar offensiv gute Ansätze zeigen, defensiv aber werden sie zu oft überspielt von den Gegnern, bringen schlicht nicht die gehobene Grundqualität des Stammduos Bader/Holland mit. Ähnliches gilt für die Sechser-Position, wo das Niveau von Andreas Müller trotz ordentlicher Auftritte nicht an jenes des verletzten Paul Will heranreicht.
Übrigens: Wenn die Darmstädter am Freitag im Stadion am Böllenfalltor die Kölner begrüßen, reist nicht nur ein ehemaliger Erstligist und der aktuelle Tabellensiebte an, sondern auch Offensivpower pur. 20 Tore gelangen dem Effzeh bereits, so viele wie keinem anderen Team der zweiten Liga. Die Kohfeldt-Elf wird im Praxistest zeigen können, ob sich die Trainingsarbeit bezahlt gemacht hat.