Thomas Müller mit den Nationalmannschaftskollegen Leroy Sané und İlkay Gündoğan

Dauerbrenner beim DFB Thomas Müller - Vom Abstellgleis zum Hoffnungsträger

Stand: 13.10.2023 14:00 Uhr

Eigentlich war FC-Bayern-Spieler Thomas Müller schon abgeschrieben. Nun soll er helfen, die Nationalmannschaft für die Heim-EM im Sommer auf Kurs zu bringen. Der 34-Jährige gibt sich uneitel und sagt, er würde auch Linksverteidiger spielen.

Von Raphael Weiss

Dass Thomas Müller als Fußballspieler in keine wirkliche Kategorie passt, das hat sich auch in den 15 Jahren, die der Oberbayer auf den Profi-Fußballplätzen dieser Welt seine Kreise zieht, nicht geändert. Müller ist kein Stürmer, keine hängende Spitze, kein Flügelspieler und ein Zehner ist er ebenso wenig wie eine falsche Neun. Thomas Müller ist eben Thomas Müller. Ein Spieler, der – auch im hohen Alter – Mannschaften besser macht. Der gerne auf dem Spielfeld mäandert und doch irgendwie am allerliebsten rechts vorne im Angriffsdrittel auftaucht – und selbstverständlich da, wo es gefährlich wird.

Beziehungsweise sorgt er auch oft genug erst dafür, dass es gefährlich wird. Denn Müller ist ein Mannschaftsspieler, wie es kaum einen zweiten gibt. Ein uneitler Kämpfer, der sich offensiv für keinen Laufweg zu schade ist, das Auge für den Mitspieler hat. Ein begnadeter Vorlagengeber, bei dem sich kein Trainer Gedanken machen müsste, ob der Offensiv-Spieler auch über einen Rückwärtsgang verfügt. All das ist bekannt über Thomas Müller. Und doch hatte man ihn in der Nationalmannschaft schon mehrfach komplett abgeschrieben.

Müller von der "AH" zum Hoffnungsträger

Zuletzt schien die DFB-Karriere des FC-Bayern-Spielers endgültig vorbei. Zu alt, zu belastet, zu wenig nach Umbruch klang der Name Müller. Wegen der Verletzung von Niclas Füllkrug rutschte der 34-Jährige dann doch irgendwie wieder in den Kader. Und als dieser staksige Mann wieder einmal im weißen Trikot über den Platz müllerte und einen entscheidenden Anteil am 2:1-Sieg über Frankreich beim ersten Spiel der Post-Flick-Ära hatte, da rieb man sich die Augen und erlangte eine Weisheit, die man eigentlich seit mehr als einem Jahrzehnt in sich trägt: Dieser Müller macht ja Mannschaften besser.

Nun ist er also wieder da. Der neue Bundestrainer Julian Nagelsmann berief den 34-Jährigen in den Kreis der DFB-Elf und möchte nun den Umschwung dank alter Routiniers bewältigen. Und so gesellte sich zu dem FC-Bayern-Spieler auch einer seiner besten Kumpel: Mats Hummels. "Wir beide sind ja im Parallelflug unterwegs", sagte Müller über sich und seinen BVB-Kollegen. "Er hat das auch mitgemacht: Von braucht man nicht mehr über bloß nie wieder einladen bis oh, ja, die brauchen wir unbedingt! Und zwei Wochen später: Ja, auf die AH-Spieler müssen wir eh verzichten, wir brauchen einen Umbruch", beschreibt Müller, wie die Nationalmannschaft mit ihm seit der WM 2018 umgegangen ist.

Für die Nationalmannschaft auch "als Linksverteidiger"

Altlast nach der enttäuschenden WM in Russland. Rückkehr kurz vor der EM 2021 als Hoffnungsträger. Die erneute Ausbootung nach der WM in Katar. Nun also die zweite Rückkehr. Doch Müller wirkt nicht angefressen, akzeptiert die Situation mit einer ordentlichen Portion Humor. Auch das kennt man von Müller. Auch das macht ihn so wertvoll. Ein verdienter Spieler ohne Riesen-Ego. Und so will er das Thema schnell auf die Mannschaft lenken: "Grundsätzlich geht es darum, dass wir als Mannschaft funktionieren müssen, da würde ich weggehen von diesen Einzelspieler-Debatten", sagt Müller.

Doch er will dabei sein in der Nationalmannschaft. Müller kämpft für das DFB-Dress. Auch deshalb hatte er selbst nie eine Rückkehr ausgeschlossen und sich immer wieder angeboten. "Ich bin zu allen Schandtaten bereit", hatte er gesagt, als Flick ihn noch nicht zu seiner zweiten Rückkehr berufen hatte. Diesen Satz wiederholt er nun auf der USA-Reise mit dem Zusatz: "Wenn ich Linksverteidiger spielen soll, spiele ich auch links." Das aber, ergänzte der Offensiv-Spieler schmunzelnd, "wäre keine gute Idee."

Müller über Verhältnis zu Nagelsmann: "Ist gut, war immer gut"

Nagelsmann hat anderthalb Jahre mit Müller zusammengearbeitet. "Julian kennt mich, meine Stärken und Schwächen - und dementsprechend gibt es da wenige Fragezeichen", sagt Müller und fügt an: "Mein Verhältnis zu Julian war und ist immer schon gut." Immer wieder hatte es geheißen, das Verhältnis zwischen den beiden sei angespannt, wohl auch weil unter Nagelsmann beim FC Bayern das begann, was Thomas Tuchel nun fortführt: Müller ist zwar ein Schlüsselspieler, aber kein Stammspieler mehr. Die Minuten schwinden. "Thomas hat ein gewisses Alter, ohne da den Abgesang zu starten", sagte Tuchel kürzlich.

"Thomas hat in seiner ganzen Karriere mit extrem viel Aufwand gespielt." Er könne auf seiner Position auch nicht "mit Auge" Kräfte sparen. Deshalb findet er sich derzeit immer wieder auf der Bank wieder. Dennoch: "Wir brauchen ihn immer noch, er hat immer noch herausragende Fähigkeiten, er hat ein unglaubliches Fußballwissen, er hat eine super Antizipation. Es sieht und erkennt Räume, bevor es wirklich alle anderen tun." Doch 50 Spiele zu starten, das gehe nun mal nicht mehr.

Die Tage von "Müller spielt immer" sind vorbei

Während andere alternde Stars mit dieser Situation nur schwer umgehen können, auf Einsatzzeiten pochen oder sich vom europäischen Fußball verabschieden, scheint Müller seine Situation als Rollenspieler vollkommen anzunehmen. Auch das macht ihn für eine Mannschaft so wertvoll. Sich selbst ermöglicht er dadurch – darauf deutet alles hin – sich mit einer Heim-EM von der Nationalmannschaft zu verabschieden.

Eine Weisheit, die man in der 15 Jahre andauernden Karriere von Thomas Müller gelernt hat, muss man nun vielleicht ad acta legen. "Müller spielt immer", hatte Louis van Gaal einmal gesagt, als Müller noch in den Anfängen seiner Karriere steckte und sollte damit über mehr als ein Jahrzehnt Recht behalten. Doch diese Weisheit gilt nun nicht mehr. Doch anstatt sie endgültig zu beerdigen, sollte man sie vielleicht ein wenig abwandeln, um der aktuellen Situation gerecht zu werden. Denn eines bewahrheitet sich – egal ob beim FC Bayern oder in der Nationalmannschaft – bislang mit beeindruckender Regelmäßigkeit: Müller hilft immer.

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Quelle: BR24Sport im Radio 14.10.2023 - 21:00 Uhr