Nach ARD-Doku "Wie Gott uns schuf" Homosexuelle im Profifußball – kommt es zum Coming-out?

Stand: 01.02.2022 13:49 Uhr

100 Angestellte der katholischen Kirche haben in der ARD erklärt, nicht heterosexuell zu sein. Im Profifußball hat noch niemand gesagt, dass er schwul ist. Warum nicht?

Von Hajo Seppelt, Josef Opfermann, Peter Wozny, Wigbert Löer

Die drei Insider aus dem deutschen Profifußball zeigen sich beeindruckt, nachdem sie den Film gesehen haben. In der ARD-Dokumentation "Wie Gott uns schuf" haben diese Woche 100 Angestellte und Mitarbeiter der katholischen Kirche, die sich als nicht heterosexuell identifizieren, den Schritt an die Öffentlichkeit gewagt. Viele von ihnen riskierten damit die Kündigung.

"Erinnert mich daran, was mir widerfahren ist"

"Es ist ein sehr mutiger Schritt", sagt in Hamburg Oke Göttlich, Präsident des Zweitligavereins FC St. Pauli: "Ich bin den Menschen sehr dankbar, die den Mut und den Schritt gewagt haben, sich hier zu äußern."

"Was mich in dem Beitrag am meisten geschockt hat, ist, dass Menschen aufgrund ihrer sexuellen Neigung ihren Job verlieren können", sagt in Köln Volker Struth, einer der erfolgreichsten Spielerberater in Deutschland.

"Es bewegt mich, weil es mich daran erinnert, was mir da widerfahren ist", sagt in Stuttgart Thomas Hitzlsperger, Geschäftsführer des Bundesligisten VfB und 52-maliger Nationalspieler.

Australischer Profi hatte sein Coming-out

Die Sportschau hat mit den Insidern über das Thema Homosexuelle im deutschen Profifußball gesprochen. Vergangenen Oktober hat in Australien der Fußballprofi Josh Cavallo erklärt, dass er "gay" sei – und daraufhin weltweit öffentlich Respekt für seinen Mut erhalten, auch aus der Bundesliga. In der obersten deutschen Profiliga selbst hat sich allerdings bislang kein aktiver Spieler zu einem Coming-out entschlossen.

Der Ex-Profi und heutige Vereinsmanager Thomas Hitzlsperger ist schwul. Sein Coming-out, kurz nach dem Ende seiner aktiven Karriere, hatte er lange vorbereitet: "Ich wollte eine Diskussion in Gang bringen über das Thema Homosexualität im Profifußball."

Acht Jahre ist das her. Es wurde viel diskutiert, aber: "Es gibt keine Verbesserung in dem Sinne, dass sich andere Spieler geoutet haben", sagt Hitzlsperger. Das sei schade und bedauernswert: "Und dennoch möchte ich die Entwicklung in der Fanszene im Profifußball schon auch hervorheben."

Sexuelle Orientierung der Profis sei vielen egal

Hitzlsperger kennt die Ängste homosexueller Spieler. Inzwischen habe er jedoch festgestellt, dass "all das, was ich vorher geglaubt habe, nämlich dass der Fußball keine schwulen Männer akzeptiert, falsch ist". Sehr vielen Menschen, sagt Hitzlsperger, sei seine sexuelle Orientierung egal.

Der Spielerberater Volker Struth findet, dass die Zeit für ein Coming-out im Profifußball inzwischen durchaus gekommen ist, zumindest in Deutschland. Für zwangsläufig hält er es deshalb aber nicht. Würde er selbst einem Spieler zu diesem Schritt während der Karriere raten? Zunächst müsse der auf ihn zukommen mit dem Wunsch, sich zu öffnen: "Für mich wird es dann ein Thema, wenn ich merke, da ist ein junger Kerl echt unglücklich mit der Situation. Dann würde ich der Sache hinterhergehen."

Coming-out mitten in der Karriere – oder eher am Ende?

Aus welchem Grund hat noch kein deutscher Profispieler ein Coming-out gewagt? Da könne die Körperlichkeit im Wege stehen, die den Beruf des Fußballers präge, sagt Struth: "Ich weiß es nicht, aber das wäre für mich nachvollziehbar, dass sich so ein junger Kerl sagt, ich bin ja täglich mit 20 oder 25 anderen Jungs unter der Dusche, stehe auf dem Platz, ich habe Zweikämpfe. Die Körperlichkeit im Fußball könnte ein Grund sein, weshalb man sich dann sagt, wenn ich mit 34, 35 Jahren mal aufhöre, dann habe ich immer noch genug Zeit, mich zu outen."

Auch Marcus Urban sieht im gemeinsamen Duschen ein "heikles Thema". Der Berliner ist schwul, war auf dem Weg in den Profifußball, brach diesen ab, aus Angst. Er kennt auch "die Befürchtung, dass Mitspieler oder Gegenspieler was gegen einen haben könnten". Das komme dazu in einem Teamsport, der männlich konnotiert sei.

Im Vereinsmilieu des FC St. Pauli dürfte ein öffentliches Bekenntnis zur eigenen Homosexualität einem Spieler zumindest leichter fallen als andernorts. Der Verein wirbt seit Jahren für Toleranz und Offenheit.

Und trotzdem, sagt Präsident Oke Göttlich, als es im Gespräch um Gründe geht, die gegen ein Outing sprechen: Da seien auch die Ängste eines schwulen Spielers, nach einem Coming-out einer "sehr großen öffentlichen Wahrnehmung ausgesetzt" zu sein, etwa im Stadion vor 10.000 oder auch mal vor 80.000 Zuschauern. Man könne die Reaktion in dem Moment wenig kontrollieren, sagt Göttlich.

Auch der australische Spieler Josh Cavallo berichtete nach einem Ligaspiel Anfang Januar auf Instagram von homophoben Beleidigungen gegnerischer Fans.

Einfluss auf weiteren Karriereverlauf?

Für Profispieler geht es laut Göttlich auch um die die Frage, wie sich ein Coming-out auf die Karriere auswirkt. Tatsächlich bleiben die wenigsten Profis eine Laufbahn lang beim selben Klub. Ob der nächste Verein es für geschickt hält, einen offen schwulen Spieler zu verpflichten?

Unrealistisch ist es nicht, dass mit Blick auf einen solchen Spieler nicht nur über das Sportliche diskutiert wird – und dass der Spieler das als zusätzlichen Druck empfindet. Eine Verlagerung "von der Fußball-Berichterstattung hin zur Kabinen-Berichterstattung" nennt Thomas Hitzlsperger das. Die könne für den Einzelnen "eine große Bürde" sein.

Bei allem, was dafür spricht, seine Homosexualität als Fußballprofi zu verstecken, ist der Vereinsmanager und Ex-Profi Hitzlsperger dennoch sicher, dass sich "eines Tages jemand dazu bereit fühlt, diesen Schritt zu gehen". Das helfe dann auch denen, "die noch zu Hause sitzen und schweigen". Der frühere Fast-Profi Marcus Urban sagt, es wäre wohl einfacher, wenn es mehrere Spieler wären und diese auch die Unterstützung von vielen anderen Spielern hätten.

Das Team um Hajo Seppelt, das für die ARD die Doku "Wie Gott uns schuf: Coming Out in der katholischen Kirche" realisiert hat, befasst sich auch mit dem Thema Homosexualität im Profifußball. Das Team von Hajo Seppelt ist erreichbar unter TeamHajoSeppelt@ard.de.