Eckfahne mit Schriftzug RWE

Sexismus im Stadion Verpasste Essener Chancen

Stand: 21.05.2025 15:10 Uhr

20.000 Euro - so hoch ist die Strafe, die Rot-Weiss Essen für die sexistischen Gesänge seiner Fans zahlen muss. Trotzdem sieht der Verein Sexismus nach wie vor nicht als eigenständiges Problem.

Verbale, sexualisierte Gewalt und sexistische Beleidigungen in Richtung der Schiedsrichterin Fabienne Michel - für diese Ausfälle aus der Essener Fanszene beim Auswärtsspiel in Verl hat RWE in der vergangenen Woche eine empfindliche Strafe vom DFB erhalten. 20.000 Euro muss der Verein zahlen, bis zu 6.500 Euro davon kann Rot-Weiss Essen für präventive Maßnahmen gegen Diskriminierung verwenden. Ein Anreiz, sich mit dem Problem und der eigenen Fanszene auseinanderzusetzen.

Bereits einen Tag vor dem Urteil des DFB-Sportgerichts veröffentlichte RWE eine Kampagne: Statt mit einem Trikotsponsor läuft das Team im Endspiel des Niederrheinpokals am kommenden Samstag (24.05.25) gegen den MSV Duisburg mit dem Slogan "Essen ist bunt" auf. Laut Pressesprecher des Klubs ist das ein Ergebnis der Aufarbeitung des Vorfalls innerhalb des Vereins.

Die Kampagne wird mit Print-Anzeigen und Plakaten im gesamten Essener Stadtbild verbreitet. Auch in Social-Media-Posts hat der Verein die Aktion angekündigt. Das AWO-Fanprojekt Essen begrüßt die Aktion ausdrücklich, schreibt auf Anfrage der Sportschau aber auch: "Leider sind wir in die Aktion 'Essen ist bunt' nicht involviert gewesen."

Nicht alle Essener Fans sind allerdings davon begeistert. Unter den Posts geht es zum Teil hoch her, der Verein selbst tritt aber in den Kommentaren nicht weiter in Erscheinung, um die Kampagne zu verteidigen. Stattdessen ließen der Vorstandsvorsitzende Marc-Nicolai Pfeifer und Vorstand Alexander Rang in der Pressekonferenz zur Kampagne verlautbaren, RWE sei selbstverständlich weiterhin rot-weiß. Und während das Wort "bunt" auf Plakaten und in Anzeigen in Regenbogenfarben zu sehen ist, ist es auf dem Trikot weiß.

Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen bei der Pressekonferenz zur Aktion "Essen ist bunt"

Essen ist bunt. Oder doch rot-weiß? Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen auf der PK von Rot-Weiss Essen

Idee für ein Awarenesskonzept seit 2023

In der Auseinandersetzung mit Sexismus und geschlechtsbezogener Diskriminierung im Stadion hat Essen bisher wertvolle Chancen verstreichen lassen. Nach Recherchen der Sportschau gab es bereits im Juli 2023 erstmals die Idee, ein Awareness-Konzept bei RWE ins Leben zu rufen. Dazu hatte der damalige Fanbeauftragte unter anderem Kontakt zur Meldestelle Diskriminierung im Fußball in NRW (MeDiF) aufgenommen. Ein Jahr später gab es ein Treffen bei RWE, an dem unter anderem die MeDiF, das Netzwerk gegen Sexismus und sexualisierte Gewalt im Fußball, das AWO-Fanprojekt und Vereinsvertreter beteiligt waren.

Ziel war die konkrete Erarbeitung und Umsetzung eines Awareness-Konzepts bei RWE. Laut MeDiF geht es beim Etablieren eines Awarenesskonzepts im ersten Schritt darum, eine vereinsinterne Grundhaltung zu etablieren. "Das bedeutet, dass sich der Verein (basierend auf der Vereinssatzung) aktiv und betroffenenzentriert mit diskriminierendem und übergriffigem Verhalten auseinandersetzt", so Projektleiterin Elena Müller. Dazu gehörten auch eine Sensibilisierung, Schulungen und klare Positionierung nach innen und außen, die nicht nur bei Worten bleibt.

"Sicherer Hafen" in der Schublade

Rot-Weiss Essen lässt dazu durch seinen Pressesprecher mitteilen: "Unsere Fanarbeit verantwortungsvoll zu betreiben, ist eines unserer absolut priorisierten Themen." Das Awarenessprojekt solle unter dem Titel "Sicherer Hafen" in Essen etabliert werden. Auch Räumlichkeiten seien bereits voll eingerichtet. "Aufgrund der hohen Bedeutung ist das Awareness-Projekt direkt auf unserer Vorstandsebene angesiedelt", so RWE. Auch Schulungen für alle beteiligten Mitarbeitenden sowie das gesamte Sicherheitspersonal seien in Planung: "Ziel ist es, jeder Person, die sich in unserem Stadion nicht sicher fühlt, eine sichere Anlaufstelle über das Projekt 'Sicherer Hafen' zu bieten."


Zudem wird eine enge Zusammenarbeit mit der MeDiF angeführt. Die Projektleitung wurde allerdings zuletzt im Dezember 2024 von RWE offiziell kontaktiert durch den damaligen Fanbeauftragten. Seitdem gab es offenbar lediglich ein informelles Gespräch zwischen RWE-Vorstandsmitglied Alexander Rang und einem MeDiF-Vertreter, das jedoch zunächst ohne konkretes Ergebnis verlief.

Das Problem: Seit Dezember 2024 ist der Verein ohne hauptamtlichen Fanbeauftragten. Die Stelle ist seit Anfang des Jahres auf der RWE-Website ausgeschrieben. Einen Nachfolger zu finden, scheint nicht so leicht. Und so nennt RWE auf Nachfrage auch keinen konkreten Zeitplan, bis wann das Projekt "Sicherer Hafen" umgesetzt sein soll, trotz der hohen Priorisierung. Grund dafür sei die Neustrukturierung im Bereich Fanarbeit, heißt es.

Wie wichtig es wäre, die Probleme zeitnah in Angriff zu nehmen, zeigen weitere Vorfälle, die der MeDiF zuletzt anonym gemeldet wurden. So sollen RWE-Fans bei den Spielen gegen Rostock und in Cottbus erneut Gesänge angestimmt haben, die nicht nur sexistisch sind, sondern verbalisierte sexuelle Gewalt enthalten. Sie richteten sich gegen die Mütter der gegnerischen Fans: "Wir f*** eure Mütter in den A***".

Selbstorganisation in der Fanszene

Für Teile der Essener Fanszene ist deshalb das Warten darauf, dass der Verein ein Awarenesskonzept an den Start bringt, keine Option. Auch, weil sie selbst betroffen sind. Bereits Anfang April, kurz nach Bekanntwerden der Vorfälle gegen Schiedsrichterin Fabienne Michel, gründete sich das Fanbündnis "Rot-Weisse Solidarität". Ihr Ziel: eine solidarische, diskriminierungsfreie Fankultur, zum Beispiel mit Hilfe von Bildungs- und Aufklärungsarbeit in den sozialen Netzwerken, Infoveranstaltungen oder Workshops.

"Wir haben über die letzten Jahre immer wieder negative Erfahrungen im Stadion und bei Auswärtsspielen gemacht - vor allem durch diskriminierende Gesänge und ein Klima, das uns und anderen zunehmend die Freude am Fußball genommen hat", schreiben die Initiatoren, die anonym bleiben wollen. "Um unser Gefühl der Machtlosigkeit zu überwinden, haben wir uns zusammengeschlossen, um nicht länger tatenlos zuzusehen und gemeinsam mit gleichgesinnten RWE-Fans aktiv zu werden."

Dass sich die Initiative "Rot-Weisse Solidarität" außerhalb der vom Verein angebotenen Strukturen organisiert, ist bezeichnend. Man beobachte seit Jahren, "dass der Verein hinter seinen Möglichkeiten zurückbleibt, sich klar gegen Diskriminierung zu positionieren", heißt es auf Anfrage der Sportschau.

Dass niemand aus dem Bündnis namentlich in Erscheinung treten möchte, spricht für sich. "Die Frauen in unserer Gruppe haben alle schon sexistische Kommentare bis hin zu sexueller Belästigung erlebt", heißt es auf Nachfrage. "Besonders Auswärtsspiele, bei denen das gewohnte Stadionumfeld verlassen wird, waren für uns oft unsichere Orte: Rassistische, antisemitische, homophobe und sexistische Äußerungen bleiben häufig unkommentiert und werden einfach hingenommen. Einschüchterungen und Gewaltandrohungen sind keine Seltenheit."

RWE verweist auf Bildungsarbeit mit Schülern

Dass Sexismus in der Essener Fanszene ein gesondertes Problem ist, darauf geht RWE nicht ein. "Uns ist es wichtig, dass wir wichtige Themenfelder der Diskriminierung wie beispielsweise Rassismus oder Sexismus nicht voneinander trennen", lässt der Verein wissen. Und verweist darauf, dass sich die Fans von RWE sehr wohl zu Wort melden, wenn sie Rassismus im Stadion erleben.

Dabei zeigen Statistiken, dass Sexismus und geschlechtsspezifische Gewalt im Fußball ein eigenes Thema sind, nicht nur bei Rot-Weiss Essen. Im 2. Jahresbericht der MeDiF 2023/24 ist Sexismus die mit Abstand am häufigsten gemeldete Form der Diskriminierung. Das in der Fanarbeit gesondert zu thematisieren, wäre auch im Hinblick auf Gewaltprävention wichtig.

RWE stellt in diesem Kontext immer wieder die Arbeit im Lernort an der Hafenstraße in den Vordergrund: "Wir haben im vergangenen Jahr erfolgreich 27 Workshops zum Thema Antidiskriminierung mit rund 500 Schüler*innen veranstaltet." Ein ohne Frage wichtiges gesellschaftliches Engagement, das sich allerdings nicht an Fans, sondern an den Nachwuchs richtet.

Symbolisches Handeln statt Probleme anpacken

Raum für Fanarbeit gäbe es hingegen in den vom DFB vorgeschriebenen Klub-Fan-Dialogen, die mindestens drei Mal im Jahr durchgeführt werden sollen. Der bislang letzte Klub-Fan-Dialog in Essen fand am 6. Mai 2025 statt. Laut bestätigten Aussagen von Anwesenden wurden die sexistischen Fangesänge bei dieser Gelgenheit nicht thematisiert.

Die eigentliche Fanarbeit wird derzeit ehrenamtlich von Fans geleistet. Fans, die vom Verein enttäuscht sind: "Wir bedauern, dass das Engagement von Fans ungenutzt bleibt, statt gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Unsere Initiative wurde bislang ignoriert", schreibt das Fandbündnis "Rot-Weisse Solidarität". "Dabei wollen wir nicht gegeneinander, sondern im Dialog miteinander arbeiten." Ein Angebot, dass sich der Verein zunutze machen könnte, um nachhaltig Veränderungen anzustoßen. Rot-Weiss Essen erklärt, man kenne die Fan-Initiative und verfolge, was diese auf den sozialen Kanälen veröffentliche. Einen Kontakt aber gäbe es bislang nicht.