Martin Häner bei den Olympischen Spielen in Tokyo. Quelle: imago images/Moritz Mueller

Berliner Hockey-Olympiasieger Häner "Ich bin mir sicher, dass die Frauen und Männer ins Halbfinale kommen werden"

Stand: 15.08.2023 13:55 Uhr

Olympiasieger Martin Häner prägte jahrelang das deutsche Hockey-Team. Im Interview vor der Heim-EM spricht der Berliner über das Turnier, den weltbesten Eckenschützen, drastische Worte eines Nationalspielers und blauen Kunstrasen.

rbb|24: Herr Häner, zwischen Ihrem ersten und Ihrem letzten Länderspiel für die deutsche Hockey-Nationalmannschaft lagen mehr als 16 Jahre. Nach den Olympischen Spielen in Tokio haben Sie Ihre Laufbahn im Jahr 2021 beendet. Sie waren Kapitän der deutschen Elf und in der Hockey-Welt unter dem Spitznamen "Sheriff" bekannt. Wie schaut der Sheriff auf die bevorstehenden Europameisterschaften in Mönchengladbach?
 
Martin Häner: Ich verfolge die Nationalmannschaft natürlich weiterhin eng, weil ich hockeyinteressiert bin und mit den meisten Spielern selbst jahrelang zusammengespielt habe. Nachdem die Herren im Januar schon den WM-Titel geholt haben, freue ich mich jetzt sehr auf die Heim-EM. Die Ticketverkäufe scheinen gut zu laufen und ich bin gespannt darauf, die Spiele vor vollem Haus am Fernseher verfolgen zu können.

Die Männer haben nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft in Indien - durch einen Finalsieg gegen Titelverteidiger Belgien im Penaltyschießen [sportschau.de] - die historische Chance, innerhalb eines Kalenderjahres sowohl Welt- als auch Europameister zu werden. Die EM in Mönchengladbach ist das erste große Feldhockey-Turnier in Deutschland seit 2011, als die Wettbewerbe an selber Stelle stattfanden. 2013 standen die deutschen Männer und Frauen zuletzt an der europäischen Spitze. Den neuen Europameistern winkt ein Ticket für die Olympischen Spiele 2024 in Paris.
 
Das ist natürlich ein Anreiz und ein schöner Nebeneffekt, sich über die Europameisterschaft für die Olympischen Spiele qualifizieren zu können. Das Besondere an einer Heim-EM ist aber vor allem, die seltene Chance zu bekommen, sich im eigenen Land zu präsentieren. Wie schon in den zurückliegenden Jahren werden die deutschen Teams oben mitspielen. Die Dichte an der Spitze ist aber extrem. Die Herren treffen in der Gruppenphase unter anderem auf Frankreich, eine aufstrebende Nation im Hockey, die uns bei der letzten EM schon vor Probleme gestellt hat. Es wird nicht leicht, sich für das Halbfinale zu qualifizieren, aber die Jungs sind nicht ohne Grund Weltmeister geworden und gehören auch bei der EM zu den absoluten Topfavoriten.

Gibt es Spielerinnen und Spieler, denen Sie besonders gerne zuschauen?
 
Ich finde es immer schwierig, sich zu sehr auf einzelne Spieler zu fokussieren - wie das im Fußball zum Beispiel mit Messi oder Ronaldo gerne der Fall ist. Im Damen-Bereich spielen die Niederlande seit Jahren auf einem eigenen Level und gewinnen alles (zuletzt drei Mal in Folge sowohl die Welt- als auch die Europameisterschaft, Anm. d. Red.). Es macht wirklich Spaß, den Niederländerinnen zuzugucken. Sicherlich ist es für die Deutschen der größte Ansporn, sich mit den Niederlanden zu messen und endlich mal wieder ein wichtiges Spiel gegen sie zu gewinnen. Auch im Herren-Bereich haben die Niederländer zuletzt sehr stark gespielt und hohe Siege gegen Top-Nationen eingefahren - vielleicht sind sie der kleine Favorit auf die Europameisterschaft.

Bundestrainer Valentin Altenburg hat Charlotte Stapenhorst von den Zehlendorfer Wespen und Linnea Weidemann vom Berliner Hockey-Club (BHC) - Ihrem langjährigen Verein - für die EM nominiert. Weidemann ist gerade einmal 19 Jahre alt: die jüngste Spielerin im deutschen Aufgebot. Bei den Herren ist neben den Berlinern Johannes Große und Thies Prinz, die für den Deutschen Meister Rot-Weiss Köln aktiv sind, auch Routinier Martin Zwicker vom BHC dabei, der im Kader von Bundestrainer André Henning der mit Abstand erfahrenste Mann ist. Was zeichnet die Berliner aus?
 
Zwicker ist seit Jahren eine Bank und ein wichtiger Spieler, der im Mittelfeld auf einem extrem hohen Niveau abliefert. Johannes Große war zwar bei der WM verletzungsbedingt nicht dabei, hat aber auch schon viele wichtige Turniere für Deutschland gespielt. Er ist technisch sehr versiert. Thies Prinz hat eine super Weltmeisterschaft gespielt und sich im Laufe der letzten zwei, drei Jahre in Köln sehr stark entwickelt.
 
Bei den Damen ist Stapenhorst, auch wenn sie leider nicht zum BHC gewechselt ist, wahrscheinlich eine der besten Stürmerinnen der Welt. Sie ist unheimlich torgefährlich. Und schon bei vorherigen großen Turnieren war es beeindruckend, mit welcher Selbstverständlichkeit, wie unaufgeregt und abgezockt Linnea Weidemann in ihren jungen Jahren in der Abwehr gespielt hat. Auch in der Bundesliga sieht man eindeutig, dass da eine Nationalspielerin auf dem Platz steht, die das Geschehen beim BHC unter Kontrolle hat. Ich hoffe, dass der Verein sie noch lange halten kann.

Die deutsche Hockey-Nationalmannschaft jubelt über bei der WM. Quelle: imago images/Belga

Deutscher Jubel bei der Hockey-WM.

Martin Zwicker ist inzwischen 36 Jahre alt und könnte nach dem Turnier bei genau 299 Einsätzen für die Feldhockey-Nationalmannschaft stehen. Sie sind jahrelang mit ihm für den BHC und Deutschland aufgelaufen, wurden unter anderem 2012 gemeinsam Deutscher Meister, 2013 Europameister und holten 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro die Bronzemedaille. Wird die EM der krönende Abschluss Zwickers Karriere?
 
Ich glaube nicht. Auch wenn es eine Heim-EM ist, denke ich, dass er noch bis Paris weitermachen will. Olympische Spiele sind schon nochmal etwas anderes, zumal nach Paris auch mal eben Familie und Freunde rüberkommen können, was bei den Spielen in Rio oder Tokio so nicht möglich war. Zwicker wird also versuchen, im kommenden Jahr nochmal anzugreifen. Er äußert sich nie so richtig dazu, ich kann mir aber vorstellen, dass nach Paris dann Schluss ist (lacht).

Ein weiterer, besonders spannender Spieler im deutschen Kader ist Gonzalo Peillat. In Buenos Aires geboren, läuft der 31-Jährige seit 2016 für den Mannheimer Hockeyclub in der Bundesliga auf. Mit Argentinien wurde Peillat 2016 Olympiasieger, seit Anfang 2022 spielt er - einer deutschen Staatsbürgerschaft sei Dank - für die deutsche Auswahl und wurde im Januar 2023 prompt Weltmeister. Für seine Qualitäten als Strafeckenschütze wird er von gegnerischen Teams gefürchtet...
 
Schon bei der Weltmeisterschaft, als er im Halbfinale gegen Australien drei Mal erfolgreich war, hat man gesehen, dass Gonzalo Peillat der weltbeste Eckenschütze ist. So jemanden aus dem Nichts für sein Land zu gewinnen, hat natürlich einen sehr positiven Effekt (lacht). Ohne gute Strafecken hat man im Hockey eigentlich kaum eine Chance, ein Turnier zu gewinnen. Es war jahrelang unsere Schwäche, keinen absoluten Weltklasse-Schützen zu haben. 2016 hat Peillat uns bei den Olympischen Spielen noch mit drei Toren aus dem Halbfinale geschossen. Bei der Heim-EM wird es wieder schön zu sehen sein, ihn auf deutscher Seite zu haben. Da weiß man, dass man als Mannschaft viele Ecken herausholen sollte.

Zuschauer, die den Hockey-Sport nicht ganz so eng verfolgen oder bei der EM vielleicht zum ersten Mal überhaupt einschalten, könnten sich darüber wundern, dass auf knallblauem statt auf grünem Kunstrasen gespielt wird. Eine Entwicklung, die seit rund zehn Jahren im Feldhockey zu beobachten ist, insbesondere bei internationalen Turnieren. Was hat es damit auf sich?
 
Es ist schwierig genug, Hockeyspiele im Fernsehen vernünftig übertragen zu können, weil der Ball sehr klein und sehr schnell unterwegs ist. Die Überlegung dahinter, auf blauem Kunstrasen zu spielen, ist also, den Ball etwas sichtbarer und den Sport insgesamt telegener zu machen. Ich finde auch, dass es moderner aussieht, auf blauem statt auf grünem Kunstrasen zu spielen.

Der Hockeypark in Mönchengladbach

Der Hockeypark in Mönchengladbach

Vor wenigen Tagen hat Nationalspieler Timur Oruz im "Tagesspiegel" ein ewiges Thema unter Hockeyspielern angesprochen: mangelnde mediale Präsenz und überschaubare finanzielle Unterstützung. Oruz bezeichnete es als einen "Schlag ins Gesicht", dass die Spiele bei der EM 'nur' im Livestream laufen und lediglich mögliche Finalspiele mit deutscher Beteiligung im linearen Programm von ARD und ZDF zu sehen sein würden. Oruz zufolge: "ein Witz". Stimmen Sie ihm zu?
 
Ich würde zwar andere Wörter wählen, aber man muss einfach sagen, dass Hockey seit Ewigkeiten die mit Abstand erfolgreichste deutsche Ballsportart bei Olympischen Spielen ist. Egal wie erfolgreich wir sind: Die Aufmerksamkeit ist, außer bei Olympischen Spielen, kaum vorhanden. Diese Diskussion wird in anderen Sportarten auf ganz anderem Niveau auch geführt, gerade wenn es um Frauen- und Männervergleiche geht. Man muss sich aber nichts vormachen: Wenn zu unseren Bundesliga-Spielen nur 300 Menschen kommen und beim Fußball Stadien mit 80.000 Plätzen gefüllt werden, hat die Vermarktung für Fernsehsender eine andere Qualität. Man würde es sich aber schon wünschen, dass sich gerade die öffentlich-rechtlichen Sender hinsichtlich der Übertragung sehr erfolgreicher Randsportarten mehr beteiligen würden.

Oruz befand allerdings auch, dass Hockey nach wie vor ein sehr elitärer Sport sei, was sich unter anderem anhand hoher Mitgliedsbeiträge ablesen lasse. Dadurch sei es quasi unmöglich, die gesamte Gesellschaft zu erreichen. Wie könnte der Sport für breitere Bevölkerungsschichten attraktiver werden?
 
Ich weiß gar nicht, ob der finanzielle Aspekt hauptausschlaggebend ist. Die meisten Vereine haben gar keine Kapazitäten mehr, neue Mitglieder aufzunehmen, da es gar keine Platzzeiten gibt; im Winter noch schlimmer: keine Hallenzeiten. Hockey ist sogar eine Sportart, die - im Gegensatz zu vielen anderen - von den Teilnehmerzahlen her noch wächst. Der Weg ist eigentlich sehr positiv. Noch weiter zu wachsen, scheitert häufig aber daran, keine weiteren Platz- und Hallenzeiten zu bekommen. Das ist ein sehr komplexes Thema, von dem ich nicht genug Ahnung habe. Man muss einfach sagen: Deutschland ist ein Land mit sehr vielen Sportarten, die sehr beliebt und in denen wir sehr gut sind. Wir konkurrieren ja eigentlich nicht mal mit dem Fußball, sondern eher mit Volleyball oder Handball - und selbst von diesen Sportarten sind wir in finanzieller Hinsicht noch meilenweit entfernt.

Mittlerweile sind Sie zweifacher Familienvater und als Assistenzarzt in der Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie am Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin tätig. Es braucht nicht viel Fantasie, um sich auszumalen, dass Sie - auch nach der Sportkarriere - mehr als ausgelastet sind. Spielen Sie dennoch mit dem Gedanken, auf Vereins- oder Verbandsebene nochmal in die Hockey-Welt zurückzukehren?
 
Irgendwann kann ich mir das vorstellen, so kurz nach der aktiven Karriere aber noch nicht. Über viele Jahre habe ich - im Privaten - vieles hintenangestellt und meine Kinder wenig gesehen. In meine aktuelle Lebensphase passen solche Planungen nicht. Wenn die Kinder älter sind, ist vielleicht wieder mehr Zeit für so etwas da. Man wird im Hockey nicht wirklich bezahlt - am Ende ist es ein zeitintensives Hobby.

Zum Abschluss die Fragen aller Fragen an einen Experten und Kapitän a.D.: Wie werden die deutschen Teams bei der EM abschneiden? Und wer wird Europameister?
 
Ich bin mir sicher, dass es die Frauen und Männer ins Halbfinale schaffen werden. Bei den Damen dürfte es auf das Finale Deutschland gegen die Niederlande hinauslaufen. Ich drücke den Damen natürlich die Daumen - die Niederlande werden aber schwer zu schlagen sein und sind absoluter Favorit. Bei den Herren spielen drei Nationen auf Augenhöhe: Belgien, Niederlande und Deutschland. Da tippe ich bei dieser Heim-EM mal wohlgesonnen darauf, dass die Deutschen gewinnen werden (lacht).

Vielen Dank für das Gespräch!
 
Das Interview führte Anton Fahl, rbb Sport.