
Mit Gier und Mentalität HSV kurz vor dem Ende der Zweitliga-Leidenszeit
Der HSV hat die Tür zur Fußball-Bundesliga durch den 4:0-Erfolg bei Darmstadt 98 weit aufgestoßen. Die überzeugende Hamburger Vorstellung bei den heimstarken Hessen war nach zuvor schwachen Auftritten überraschend. Und der selbstbewusste Auftritt zeugte davon, dass der HSV in dieser Saison das hat, was ihm in den vergangenen Jahren fehlte: Gier und mentale Stabilität.
Mit seinen gerade einmal 34 Jahren kann sich Merlin Polzin naturgemäß sehr gut in seine überwiegend nicht viel jüngeren Schützlinge hineinversetzen. Und so wollte der Hamburger Coach seinen Spielern nach den für die Psyche sehr antrengenden vergangenen Wochen und dem nun erfolgten Befreiungsschlag in Darmstadt etwas Zeit gewähren, um auf andere Gedanken zu kommen.
"Ich habe die Jungs gefragt, ob sie zwei Tage freihaben wollen. Aber sie haben nein gesagt. Sie wollen morgen ganz normal trainieren und das Ganze von heute aufarbeiten", verriet Polzin im NDR Interview. Nicht ohne Stolz fügte der gebürtige Hamburger hinzu: "Und das ist genau das Mindset, das wir über die Monate entwickelt haben."
Tatsächlich scheint Trainer Nummer sieben in der Zweitliga-Historie des Traditionsclubs gelungen zu sein, woran all seine Vorgänger gescheitert waren: Er hat ein Team geformt, das Widerständen trotzen kann.
HSV hat gelernt, Widerständen zu trotzen
Das Zauberwort beim HSV unter Polzin heißt Resilienz. Wobei der junge Fußballlehrer weit davon entfernt ist, diese neue Stärke des früheren Bundesliga- und jetzigen Zweitliga-"Dinos" ausschließlich auf sein Zutun zurückzuführen. Der ganze Verein arbeite sehr eng zusammen, erklärte der 34-Jährige. "Wir versuchen alle, jeden Tag besser zu werden. Und deswegen bin ich auch davon überzeugt, dass wir am Ende den großen Schritt gehen können."
Besagter großer Schritt ist der Aufstieg. Noch nie in den vergangenen sieben Zweitliga-Jahren war er für die Hanseaten so nah. Vier Zähler Vorsprung haben sie vor den letzten beiden Spieltagen vor Relegationsplatz drei, den aktuell die SV Elversberg belegt. Hinzu kommt die weitaus beste Tordifferenz im Vergleich mit allen Verfolgern. Am kommenden Sonnabend (20.30 Uhr, im Livecenter bei NDR.de) gegen den Vorletzten SSV 1846 Ulm kann der neue Tabellenführer - der bisherige Spitzenreiter 1. FC Köln patzte beim 1:1 gegen Absteiger Jahn Regensburg - den Aufstieg perfekt machen.
Ein Umstand, der beinahe etwas suspekt ist nach Wochen, in denen der HSV doch wieder einmal in alte Verhaltensmuster verfallen war und durch schwache Auftritte und Pleiten gegen Eintracht Braunschweig und den Karlsruher SC erneute Zweifel an seiner Aufstiegsfähigkeit hatte aufkommen lassen. Auch bei den Spielern selbst, wie Sportvorstand Stefan Kuntz nach dem Sieg in Darmstadt durchklingen ließ.
Sportvorstand Kuntz als Psychiater und Motivator
"Der eine oder andere musste sicherlich über einen ziemlich steilen Berg gehen", sagte der frühere Top-Stürmer und sprach damit auf die mentale Verfassung einiger Akteure vor dem Duell mit den "Lilien" an. Kuntz hatte sich in den Tagen nach der ängstlichen Heimvorstellung gegen den KSC als Psychiater verdingt und viele Einzelgepräche mit den teilweise offenbar sehr verunsicherten Spielern geführt. Mit Erfolg.
"Alle Ängste und Befürchtungen, die sie im Kopf haben, kenne ich. Ich bin unglaublich oft gescheitert. Dann redest du einfach darüber, welche Möglichkeiten es gibt, um über diesen Weg zu gehen. Das haben wir jetzt für heute toll hinbekommen", sagte der Europameister von 1996. Der HSV-Boss war jedoch sofort bemüht, auf die Euphorie-Bremse zu treten: "Aber bis zum Gipfel ist es noch ein kleines Stückchen."
Selke: "Die Erfahrung von Stefan tut uns gut"
Der Nachfolger von Jonas Boldt wird vermutlich auch in den kommenden Tagen das eine oder andere Gespräch mit den Spielern führen und dabei darauf achten, dass die Sinne der Polzin-Schützlinge geschärft bleiben. Der Coach ("Wir machen alles miteinander") und das Team begrüßen es ausdrücklich, dass Kuntz in der "Crunchtime" noch näher als zuvor an die Mannschaft herangerückt ist.
"Die Erfahrung von Stefan tut uns gut. Er hat die richtigen Worte gefunden", lobte Torjäger Davie Selke den Mann, mit dem er gerade um eine Vertragsverlängerung feilscht. Aber nicht nur Kuntz habe großen Anteil daran, das nun in Darmstadt die Wende gelang, so der Angreifer: "Auch das Trainer-Team hat uns überragend eingestellt und die richtigen Worte gefunden nach dem Karlsruhe-Spiel."
HSV plant noch keine Aufstiegsfeier
Gegen Ulm kann der HSV nun mit einiger Verspätung die Bundesliga-Rückkehr perfekt machen. Eine Party ist für den Fall der Fälle noch nicht geplant, versicherte Kuntz. "Wir müssen das erst zu Ende bringen", mahnte der Sportvorstand: "Und wenn es dann etwas zum Feiern gibt, schafft man das auch aus dem Stegreif heraus." Im Volkspark herrscht nach sechs gescheiterten Aufstiegen in Folge mit vielen Nebengeräuschen und noch mehr bundesweitem Hohn Demut.
Auch Anlauf Nummer sieben kann noch immer schiefgehen. Die ausgezeichnete Ausgangslage sowie die in Darmstadt nach der Mini-Krise gezeigte Reaktion sprechen aber dafür, dass Selkes selbstbewusste Prognose für das Ulm-Spiel Wirklichkeit wird: "Da werden wird den finalen Schritt gehen."
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Sportclub | 04.05.2025 | 22:50 Uhr