DFB-Kapitänin Alexandra Popp (VfL Wolfsburg)

Rücktritt aus der Nationalmannschaft Ende, Legende - mit DFB-Kapitänin Popp geht eine der Größten

Stand: 30.09.2024 14:08 Uhr

Mit Alexandra Popp verlässt eine der Größten des deutschen Fußballs das DFB-Team. Die 33-Jährige ist in Deutschland ein riesiges Idol, die Fans haben sie bei ihren Erfolgen bejubelt und mit ihr geweint bei den bittersten Rückschlägen. Für den Fußball der Frauen hat sie viel getan.

Von Inka Blumensaat

Alexandra Popp hat im Fußball fast alles gewonnen: mit ihrem Verein, dem VfL Wolfsburg, sieben Meisterschaften, mit dem VfL und dem FCR Duisburg insgesamt 13 Mal den DFB-Pokal, das ist Rekord. Zweimal die Champions League. Mit der Nationalmannschaft wurde sie Olympiasiegerin 2016 und holte in diesem Jahr bei den Spielen von Paris Bronze.

Karriere wie eine Achterbahnfahrt

Auf anderen Seite stehen all die schlimmen Rückschläge. Die EM 2017 verpasste sie verletzt, bei der Euro 2022 schoss sie Deutschland nach einer langen Verletzungszeit bis ins Finale, das sie dann wegen muskulären Problemen versäumte - eine der bittersten Erfahrungen. "Im ersten Moment ist alles zerbrochen. Wie so ein Kartenhaus, was einfach ineinander gefallen ist", sagte sie damals nach dem Turnier. "Aber reibungslos hätte irgendwie auch nicht zu mir gepasst. Das wäre zu viel Happy End gewesen." Denn Popps Karriere ist eine Achterbahnfahrt der ganz großen Emotionen.

Länderspieldebüt 2010

Im Februar 2010 stürmte die im nordrhein-westfälischen Gevelsberg aufgewachsene Popp zum ersten Mal in der Nationalmannschaft, ein gutes Jahr später wurde sie hineingeworfen mitten in den bis dato größten Hype um den Frauenfußball in Deutschland: Bei der Weltmeisterschaft im eigenen Land spielte das Team in ausverkauften Stadien, ein Sommermärchen schien möglich - bis das Team im Viertelfinale an den späteren Titelgewinnerinnen aus Japan scheiterte.

Popp galt damals mit 20 Jahren als "junge Wilde". Ihr Markenzeichen war die heute längst geschlossene Zahnlücke. Bei der U20-WM im Jahr zuvor hatte sie nach ihren Toren zu choreographierten Jubeltänzen angesetzt, der damaligen Bundestrainerin Silvia Neid missfiel dies, aber "Poppi" - diesen Spitznamen hatte die Stürmerin schnell weg - schloss sie dennoch ins Herz.

Ausbildung zur Tierpflegerin

2012 wechselte Popp von Duisburg nach Wolfsburg. Ein Grund dafür: die mit Hilfe des VfL gefundene Ausbildungsstelle als Zootierpflegerin in einem Tierpark. Dreieinhalb Jahre pendelte sie zwischen Ställen, Trainingseinheiten und Spielen, schloss die Ausbildung ab, als sie bereits in der Champions League spielte, das war wichtig. Etwas in der Hinterhand zu haben, abgesichert zu sein, auch eine Lehre aus Erfahrungen in der Jugend. Alex Popps Eltern hatten eine Zeit lang finanzielle Probleme. Das Geld, das der DFB damals für Lehrgänge im Nachwuchsfußball zahlte, gab sie an die Familie ab. Sie musste schnell erwachsen werden, Verantwortung übernehmen.

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Immer wieder Verletzungen

2013 gewann der VfL das Triple aus Meisterschaft, Pokal und Champions League. Vor dem Finale in der Königsklasse gegen Olympique Lyon musste Popp wegen einer Innenband- und Kapselverletzung pausieren, kämpfte sich aber auf den Platz und spielte als Außenverteidigerin, weil andere auf dieser Position verletzt ausfielen. Anschließend verpasste sie wegen der Folgen ihrer Verletzung die Europameisterschaft, bei der Deutschland den Titel holte.

Olympiasieg 2016

2016 in Rio folgte für sie der größte Sieg mit dem Nationalteam: Olympia-Gold im berühmten Maracana-Stadion, ungläubig küsste sie damals die Medaille. Wertvolle Momente, bevor der nächste Tiefschlag kam: ein Meniskusriss vor der Euro 2017. In ihrer Verzweiflung dachte sie damals sogar an ein Karriereende. Und biss sich doch wieder durch. Popp wird auf dem Platz oft als "Mentalitätsmonster" beschrieben. Es ist nicht schwer zu erahnen, wie sich ihr besonderer Siegeswille und ihr "nie aufgeben"-Credo entwickelt haben.

"Ich will diese verdammte EM spielen!"

Der Weg zur EM 2022 wurde zum Krimi. 14 Monate vor dem Turnier zog sich die Wolfsburgerin die schwerste Verletzung ihrer Karriere zu - Knorpelabriss im rechten Knie. Popp wurde operiert, quälte sich durch die lange Reha. Ihre Motivation? "Ich will diese verdammte EM spielen! Ich habe noch keine EM gespielt!" Einmal mehr folgten viele Rückschläge. Sie fiel durch bei einem Medizincheck, musste erneut operiert werden, schaffte es aber zurück auf den Platz - und infizierte sich kurz vor dem Turnierstart mit Corona. Die Euro war in Gefahr.

Die damalige Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg hielt unbeirrt an ihrer Kapitänin fest, legte sich auch fest auf deren Position im Sturm - zuvor war Popp sowohl im Verein als auch im Nationalteam wegen ihrer Robustheit häufig im defensiven Mittelfeld eingesetzt worden.

Märchen ohne Happy End in England

Popps Turnier auf der Insel ist zunächst mit "Märchen" noch unzureichend beschrieben. Nach ihrer langen Leidenszeit traf sie in jedem Spiel, doppelt im Halbfinale gegen Frankreich und führte das DFB-Team ins Finale. Ganz Europa staunte über die Wucht ihrer Kopfbälle, ihr Timing vor dem Tor, ihre Schlitzohrigkeit wie beim Treffer gegen Österreich im Viertelfinale, als sie eine Nachlässigkeit der Torhüterin ausnutzte.

Popp zählt bis heute zu den besten Kopfballspielerinnen der Welt, hat einen unnachahmlichen Torinstinkt und ist überaus durchsetzungsfähig. Wie viel Gefühl sie für den Ball hat, wie stark auch ihre Technik ist, wird manchmal vergessen - blitzt aber immer wieder auf.

Popps Drama von Wembley

Am Tag vor dem Finale gegen die englischen Gastgeberinnen absolvierte das deutsche Team im Wembley-Stadion sein Abschlusstraining. Am Ende stand Elfmeterschießen auf dem Programm. Popp vergab beim ersten Übungsschuss, trat ein zweites Mal an, dann zog es im Oberschenkel. Nach einigen Behandlungen und einer bangen Nacht war sie am folgenden Tag beim Aufwärmen vor dem Finale dabei, 80.000 Fans fieberten dem Spiel entgegen - und Popp musste zurückziehen. Schnell laufen, schießen - nicht möglich. Nach all dem Kampf ums Turnier, den überragenden Leistungen, dem Höhenflug in England verpasste sie das Finale wegen schnöden muskulären Problemen. Was für ein Drama.

Nach dem verlorenen Finale tröstete sie die weinenden Mitspielerinnen. "Meine Verletzungen haben mich nicht geprägt. Ich wusste, wie ich relativ schnell mit meiner Situation umgehen kann, um dann trotzdem den anderen wieder zu helfen, ihnen eine starke Schulter anzubieten."

Gesicht des Frauenfußballs

Nach dem Turnier stieg die Popularität des Frauenfußballs in Deutschland enorm, aus heutiger Sicht kann man sagen, dass es kein Hype, sondern eine nachhaltige Entwicklung war. Popp, die Kapitänin der Nationalelf, ist dabei das bekannteste Gesicht, das größte Idol. Mit ihrer Geschichte ohne Happy End, mit ihrer kurvigen Karriere voller Höhepunkte und Tiefschläge. Sie entwickelte sich mehr und mehr zum Sprachrohr, kämpft für bessere Bedingungen im Frauenfußball, für Spielerinnen, die unzureichend bezahlt werden. Sie sitzt in Talkshows und sogar bei "Wetten, dass…" Der Aufschwung des Frauenfußballs ist untrennbar mit ihrem Namen verbunden.

Die neue Popularität hat nicht nur schöne Seiten. Popp ist kein Glamour-Typ, sie hat auch gern mal ihre Ruhe - die aber ist seit zwei Jahren nirgendwo mehr zu finden, überall wird sie erkannt. Das setzte ihr eine Weile sehr zu. Sie lehnt auch Anfragen ab, versucht, sich Pausen zu nehmen.

Abschluss mit Bronzemedaille in Paris

Bei der WM 2023 war die Stürmerin beim Vorrundenaus des deutschen Teams der einzige Lichtblick, auch danach blieb sie wichtig. Ihre Karriere im Nationalteam ist auch ohne EM- und WM-Titel keinesfalls unvollendet: Bronze bei Olympia in diesem Jahr, das ist ein gelungener Abschied nach gut 14 Jahren im DFB-Trikot, nach allem, was sie erlebt und was sie geleistet hat. Auch in Frankreich ging Popp voran und riss andere mit. Sie ist nicht die einzige Nationalspielerin mit Führungsqualitäten - und wird dennoch fehlen.

"Was soll noch kommen?"

Ob sie über diese Saison hinaus weiter Fußball spielt, in Wolfsburg oder anderswo, darüber möchte Popp im Winter entscheiden. "Was soll noch kommen?", könnte eine Frage lauten, die sie sich stellt. Auf der anderen Seite aber sieht man immer wieder den großen Spaß, den sie selbst bei einem Trainingskick hat. Weil es für sie nicht selbstverständlich ist, gesund und ohne Schmerzen auf dem Platz zu stehen, weil sie eine tiefe Dankbarkeit empfindet, für all das Erlebte genauso wie das Hier und Jetzt.

Dieses Thema im Programm:
Sport aktuell | 30.09.2024 | 14:17 Uhr