Fußball "Völlig absurde Veranstaltung" - Fanvertreter kritisieren Sicherheitsgipfel in München
Randale im und rund ums Stadion auf der einen und häufig überhartes Vorgehen der Polizei auf der anderen Seite: Immer wieder geraten Fußballanhänger mit den Sicherheitsbehörden aneinander. Um das Problem in den Griff zu bekommen, treffen sich am Freitag (18. Oktober 2024) in München Vertreter aus Politik und Sport. Nicht dabei sind dagegen die Fans. Diese befürchten sogar eine Verschlimmerung der Situation.
Wie umgehen mit Pyrotechnik? Wer zahlt die Kosten der Polizeieinsätze bei Fußballspielen? Wie kann man gegen Intensivtäter vorgehen? Diese und weitere Fragen wollen Politiker und Sportfunktionäre bei einem Sicherheitsgipfel am Freitag in der bayerischen Landeshauptstadt beraten.
Mit dabei sind auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann. Auch der Vorstandschef der Deutschen Fußball Liga (DFL), Hans-Joachim Watzke, und Bernd Neuendorf, Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) sitzen mit am Tisch. Keine Einladung gab es für die, die die Interessen derer wahren wollen, über die hier bestimmt wird - die Fans und Fanvertreter.
Hans-Joachim Watzke (li.) und Bernd Neuendorf sind als Vertreter des Fußballs beim Gipfel dabei.
Fanhilfe Magdeburg kritisiert Treffen
Der Dachverband der Fanhilfen spricht von einer "populistischen Veranstaltung", die "im Zweifel ganz konkrete Folgen hat und das irgendwann auch für alle anderen gesellschaftlichen Gruppen - Fußballfans sind hier erst der Anfang!" Die Fanhilfe Magdeburg, die dem Dachverband angehört, blickt ebenfalls kritisch auf das Treffen. "Es ist in unseren Augen eine völlig absurde Veranstaltung, weil mal wieder über Fans gesprochen werden soll, ohne diese oder Vertreter dort mit einzubeziehen", erklärt Fanhilfen-Sprecher Oliver Wiebe im Gespräch mit SPORT IM OSTEN. Auch das bisher nur wenig über das Treffen bekannt geworden ist, sei "völlig intransparent".
Die Fanhilfe hätte sich im Vorfeld des Treffens einen Austausch gewünscht. Der Dachverband hat einen offenen Brief an Faeser geschickt und "Augenhöhe" eingefordert. "Wir möchten nicht länger hinnehmen, dass neue Sicherheitsmaßnahmen für den Fußball diskutiert werden, ohne die Fans mit einzubeziehen", so Wiebe.
Politiker mit Drohkulisse gegen die Klubs
In der jüngsten Vergangenheit hatten Aussagen von CSU-Politiker Herrmann für Aufsehen gesorgt. In einem Interview der Sport Bild hatte er eine "massive Distanzierung der Proficlubs von Gewalt und Pyrotechnik" gefordert und mit Geisterspielen gedroht, falls der Fußball das Problem nicht in den Griff bekomme. Herrmann brachte die Einführung von personalisierten Tickets in der Bundesliga, vermehrte Stadionverbote für Randalierer und Spielabbrüche sowie Punktabzüge für Vereine ins Spiel.
Auch der Bremer Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) schlug Punktabzüge für Vereine vor, deren Fans im Stadion Pyrotechnik einsetzen. So könne man Clubs zu konsequenteren Einlassdurchsuchungen bringen, sagte er dem Bremer Multimediaportal Deichstube (€).
Fans und Vereine wehren sich gegen Aussagen
Dafür gab es natürlich Kritik von den Fan-Vertretern. "Die Politik aus Bremen, Niedersachsen, Bayern und NRW hat durch Aussagen der letzten Zeit sehr deutlich gemacht, dass es um Populismus und nicht um Inhalte geht. Wählerstimmen vor Sachkenntnis", heißt es von der Faninteressenvertretung "Unsere Kurve".
In Magdeburg sorgen die Aussagen von Herrmann für Unverständnis. "Er hat da teilweise Maßnahmen vorgeschlagen, die es bereits gibt, wie die personalisierten Tickets", sagt Wiebe. Andere Vorschläge, wie die Einführung von Schnellgerichten widerspreche "allen rechtsstaatlichen Grundsätzen".
Aber auch die Vereinsoffiziellen reagierten teils verärgert auf die Aussagen. "Dass wir ein Problem haben, lässt sich nicht von der Hand weisen. Aber mir hat die deutliche Rhetorik nicht so gut gefallen. Ich sehe auch viele Probleme in der Politik und haue nicht jeden Tag drauf", hieß es von DFL-Vorstandschef Watzke.
Aktuell keine Sicherheitsprobleme in den Stadien
Dass die Situation in den Stadien in den letzten Jahren deutlich schlimmer geworden sein könnte, lässt sich anhand der Zahlen erst einmal nicht bestätigen. Zwar ist in den drei höchsten deutschen Ligen zuletzt mehr Pyrotechnik verwendet worden, die erfasste Anzahl der Verletzten durch Pyrotechnik ging aber zurück.
Ein immer häufigeres Bild: Pyrotechnik im Stadion - hier beim Spiel Köln gegen Mönchengladbach im Oktober 2023.
Die Gesamtzahl der Verletzten innerhalb der Stadien ist jedoch minimal gestiegen. In der letzten Vor-Corona-Saison (2018/19) wurden laut dem Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) der Polizei 1.127 Personen verletzt. Bei 22 Millionen Stadionbesuchern entspricht das einem Anteil von 0,00512 Prozent. In der Saison 2022/23 waren es 0,00516 Prozent (1.176 bei 22,8 Mio.).
Wiebe: Keine weitere Aufrüstung der Polizei
"Über diese Zahlen müsste bei dem Treffen diskutiert werden", findet Wiebe und fügt an: "Braucht es wirklich eine stärkere Aufrüstung der Polizei? Da sagen wir als Fanhilfe vor Ort und als Dachverband ganz klar: Nein!" Stattdessen bedürfe es einer effektiveren Planung der Polizeieinsätze, die auf Deeskalation fußt. Gefahrenprognosen entsprächen oft nicht der Realität. So werden Kontrollen unverhältnismäßig durchgeführt oder Grundrechte werden nicht beachtet. "Beim Auswärtsspiel auf St. Pauli hat die Polizei in die Toiletten hineingefilmt und damit tief in die intimen Rechte eingegriffen", berichtet Wiebe.
Er findet, dass die Stadien bundesweit sicher sind. Ein Besuch beim Spiel sei nicht gefährlicher als der auf dem Stadtfest oder bei einem großen Konzert: "Dort wo Menschen zusammenkommen, kommt es zu Konflikten. Dort sind auch Leute unterwegs, die unter dem Deckmantel der Massen versuchen, aus der Reihe zu tanzen und Straftaten zu begehen. Aber der Großteil der Menschen im Stadion ist friedlich."
Gerade Auswärtsfans haben häufig Konflikte mit der Polizei.
Vorschlag aus Magdeburg: Kein Pfefferspray und zurück zum Kontaktbeamten
In Magdeburg selbst gebe es laut Wiebe für die Heimfans aktuell keine Probleme mit der Polizei. Es sind eher die Auswärtsfans, die durch Polizeimaßnahmen drangsaliert werden. Aber er weiß auch, dass es immer wieder Probleme von und für FCM-Fans gibt, wenn sie auf Reisen sind. Zuletzt war dies in Berlin und Hamburg der Fall, wo es von der Polizei "provozierte Einsätze" gab.
Statt "polemischer Debatten" solle es einen "vernünftigen Umgang" miteinander geben. Dazu zähle auch, dass die Polizei auf den Einsatz von Pfefferspray verzichtet, da es dabei immer auch zahlreiche Unbeteiligte trifft und das Pfefferspray somit nicht geeignet sei, um Ruhe in den Fanblöcken herzustellen.
Auch das Modell der Kontaktbeamten im Stadion, wie es zur WM 2006 erprobt und dann auch in Magdeburg angewendet wurde, solle zurückkehren. Statt Hundertschaften der Polizei würden vereinzelte Polizisten in Uniform oder zivil als Ansprechpartner bei Problemen dienen. "Da konnte man ganz viele Missverständnisse klären", sagt Wiebe. Leider sei das Modell dann eingestampft worden, dabei könnten "Politik und die Polizei selbst damit zu einer Befriedung der Lage und zur Entschärfung von Konflikten beitragen."
Raphael Crass mit Material von dpa