Emma Hinze und Lea Sophie Friedrich

Kürzung ohne Konzept? Bundesinnenministerium will Sport-Gelder kürzen

Stand: 03.09.2023 16:39 Uhr

Das Bundesinnenministerium will die Mittel für den Sport um 27 Millionen Euro kürzen, das sind fast zehn Prozent des Sport-Etats. Besonders betroffen sind mit dem FES in Berlin und dem IAT in Leipzig zwei international renommierte Forschungseinrichtungen für den deutschen Hochleistungssport. Dabei geht es um vier Millionen Euro, ein Fünftel des Etats. So "könnten IAT und FES praktisch in der heutigen Form nicht mehr existieren", sagt FES-Direktor Michael Nitsch.

Von Peer Vorderwülbecke und Eik Galley

Das Ziel des Instituts für angewandte Trainingswissenschaft (IAT) und des Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES) ist klar: Medaillen für Deutschland gewinnen, am besten bei Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Kaum ein Athlet setzt dieses Ziel so eindrucksvoll um wie der Bobpilot Francesco Friedrich. Vier Mal Gold bei Olympia, 14 Mal bei Weltmeisterschaften. Möglich ist das nur durch die Zusammenarbeit mit dem FES. In Berlin wird der Sieger-Bob gebaut und immer weiter verbessert. 

An drei Viertel der jüngsten Olympiamedaillen beteiligt

"Das verwundert uns natürlich sehr", kommentiert Friedrich die Kürzungspläne. "Aber es geht nicht nur um die Bobs, sondern auch die Eisschnellläufer, die Radfahrer, die Kanuten, die Skispringer – alle bei denen das FES beteiligt ist." Tatsächlich sind IAT und FES bei rund drei Viertel der zuletzt gewonnen Olympiamedaillen direkt beteiligt gewesen. Bahnrad-Olympiasiegerin Franziska Brauße spricht Klartext: "Ohne FES und IAT könnten wir mit unserem Sport aufhören." Denn das FES baut die Fahrräder und das IAT wertet die Trainingsleistungen aus. Ohne die beiden Institute würde der ganze Bahnradsport zurückgeworfen, ist sich Brauße sicher.

Existenzängste in Berlin und Leipzig

Anfang Juli waren die beiden Institute von den Kürzungsplänen "hart und überraschend getroffen worden", erzählt IAT-Direktor Marc-Oliver Löw rückblickend. Die Einsparungen in Höhe von 20 Prozent stehen seither im Haushaltsentwurf für 2024. Die Kürzung hat auch deshalb überrascht, weil IAT und FES in den vergangenen beiden Jahren deutlich mehr Geld bekommen haben. Jetzt also die Rolle rückwärts. Aber so einfach lassen sich die gestarteten Projekte nicht abwickeln.

"Wir würden deutlich mehr als 20 Prozent an Leistungsfähigkeit einbüßen", ist sich Löw sicher. Sein Kollege Michael Nitsch vom FES in Berlin geht noch weiter: "Der Wegfall dieser Mittel würde zu Einschnitten in unseren Häusern führen, sodass IAT und FES praktisch in der heutigen Form nicht mehr existieren könnten."

Große Sorgen auch im Parasport

Betroffen wäre wahrscheinlich besonders der Parasport. Dafür haben sich die Mittel in den vergangenen drei Jahren massiv erhöht. Aber ist das das Konzept des Innenministeriums? Den Hochleistungs-Parasport kaum noch zu fördern? Marc-Oliver Löw weiß es tatsächlich nicht. "Eine Begründung für die Kürzungen haben wir noch keine bekommen", sagt der IAT-Direktor. "Ich kann nicht genau sagen, was die Beweggründe sind, warum diese Kürzung so drastisch ausgefallen sind." Denn insgesamt muss das Bundesinnenministerium nur 1,5 Prozent seiner Etats einsparen. Der Sporthaushalt ist um neun Prozent reduziert worden. IAT und FES sollen aber 20 Prozent weniger Geld erhalten.

Für ein Interview mit Sport im Osten und Sportschau stand im Innenministerium niemand zur Verfügung. Die schriftlich eingereichten Fragen nach Gründen und dem dahinterstehenden Konzept wurden nicht beantwortet. Lediglich die lapidare Auskunft: "Der gegenüber dem Vorjahr absinkende Ansatz beim FES und beim IAT geht auf den durch die Bundesregierung eingeschlagenen Konsolidierungskurs zurück." Auch der SPD-Abgeordnete Frank Ullrich aus Thüringen – immerhin Vorsitzender des Sportausschusses des Bundestages – hat eine Interviewanfrage ignoriert.

Opposition beklagt "Schweigen im Walde"

Die Opposition verhält sich natürlich ganz anders. André Hahn, Sportpolitischer Sprecher der Linken, findet die Sparpläne bei IAT und FES "völlig unangemessen". Auch er als Mitglied des Sportausschusses des Bundestages hat vom Innenministerium keine Informationen zu den Einsparungen erhalten. "Da ist bis jetzt Schweigen im Walde."

Auch der Stephan Mayer, sportpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, kritisiert die Kürzungen. "Diese beiden Institute sind Leuchttürme. Jetzt an diese gewachsenen, guten Strukturen heranzugehen, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis." Und schon gar nicht zum jetzigen Zeitpunkt: "Wir haben im kommenden Jahr die Sommerspiele in Paris. Wir wollen wieder an die Weltspitze zurückkehren", sagt Mayer. "Da sind jegliche Kürzungen im Sporthaushalt ein absolut falsches Signal."

Kritik auch von "Athleten Deutschland"

In die sportpolitischen Planungen ist seit dieser Legislatur der Verein "Athleten Deutschland" immer mehr eingebunden worden. Das ist eine Art Lobbyorganisation für die deutschen Spitzensportlerinnen und Sportler, die immer wieder innovative Ideen in die Sportpolitik miteinbringen. Geschäftsführer Johannes Herber war bei den Entscheidungen über die Einsparungen für das IAT und das FES allerdings nicht beteiligt: "Aus meiner Sicht, soweit ich das beurteilen kann, wurde relativ undifferenziert gekürzt, ohne dass mit gegenwärtigen Planungen und konzeptionellen Überlegungen abzugleichen."

Tatsächlich ist es wohl so, dass im Innenministerium gerade diverse politische Großprojekte für den deutschen Hochleistungssport geplant werden. Die Kürzungen für IAT und FES wurden Anfang Juli festgeschrieben. Zu diesem Zeitpunkt waren viele Planungen schlicht noch gar nicht abgeschlossen, sagt Herber. Erste Ergebnisse sollen Mitte September auf der Sportministerkonferenz bekannt gegeben. "Dann ist auch eine ehrliche Bewertung möglich, wo wir Investitionen beziehungsweise möglicherweise auch Kürzungen vornehmen können", glaubt Herber.

IAT und FES geben am Montag Pressekonferenz

Den Wert der beiden Spitzeninstitute kennt das BMI sehr wohl. "Dem Bundesinnenministerium ist sehr daran gelegen, das bisherige Spitzenniveau der beiden Institute auch im kommenden Jahr nicht nur wegen der bevorstehenden Olympischen und Paralympischen Spiele zu halten und stimmt hierfür derzeit ergänzende Lösungsansätze ab", teilte das Ministerium auf Anfrage schriftlich mit.

Zu dieser Abstimmung mit den Spitzen des IAT und des FES ist es wohl vor einigen Tagen gekommen. Am Montag (4. September) geben beide Institute eine Pressekonferenz – und möglicherweise wird in diesem Rahmen verkündet, dass die Sparpläne erstmal entschärft werden. Ob das Bundesinnenministerium in den nächsten Wochen dann tatsächlich die angekündigten richtungsweisenden Konzepte für den deutschen Hochleistungssport veröffentlicht, bleibt abzuwarten.