Thomas Tuchel bei seinem Trainer-Debüt beim FC Bayern

Bayerns Topspiel in Dortmund Tuchels Wiedersehen mit der BVB-Vergangenheit

Stand: 04.11.2023 11:06 Uhr

Thomas Tuchel ist seit sieben Monaten Trainer des FC Bayern. Am Samstag trifft er mit seinem Verein auf seinen ehemaligen Arbeitgeber Borussia Dortmund (ab 18.30 Uhr live in der Radio-Reportage und im Live-Ticker bei der Sportschau). Dort findet man Hinweise darauf, warum nun beim Rekordmeister der Gegenwind heftiger wird.

Von Raphael Weiss

Wenige Tage nach Thomas Tuchels tumultartiger Ankunft Ende März beim FC Bayern München wartete direkt das Topspiel gegen Borussia Dortmund. Sein neuer Verein befand sich in Aufruhr. Gerade hatte man Julian Nagelsmann auf unschöne Art und Weise verabschiedet, es drohte eine fast schon historische titellose Saison.

Der FC Bayern gewann in einem starken Spiel mit 4:2 - nur um wenige Tage später aus dem Pokal auszuscheiden. Eine emotionale Achterbahnfahrt binnen weniger Tage, die mittlerweile wie eine Vorahnung wirkt, auf das, was Tuchel in seinen ersten sieben Monaten beim Rekordmeister erwarten sollte.

Nach Aufs und Abs, Vorstandsentlassungen und einer Last-Minute-Meisterschaft, Wunschtransfers und einem Deadline-Day-Desaster trifft Tuchel erneut auf seinen alten Arbeitgeber Dortmund (Dortmund gegen FC Bayern am Samstag, 4. November ab 18.30 Uhr in der Radioreportage). Und es schreibt sich derzeit das nächste negative Kapitel in der bewegten Biografie des FC-Bayern-Trainers. Das Pokal-Aus beim 1. FC Saarbrücken kam unerwartet, in einer Phase, in der der FC Bayern endlich seine Form gefunden zu haben schien. Und in einer Situation, in der Tuchel dennoch ein wenig angezählt war in München.

Hoeneß und Tuchel: Interne Spannungen treten ans Licht

Trotz Siegesserien rumorte es beim Rekordmeister. Die vorab erwarteten Minibeben, wenn die charakter- und meinungsstarken Tuchel und Uli Hoeneß aufeinandertreffen, sie erfolgten in einer ziemlichen Regelmäßigkeit. Tuchel biss sich nicht auf die Zunge, als es um Wunschtransfers ("Holding six") und Kaderbreite ("Auf Kante genäht") ging.

In der Folge wurde über Missmut bei den FC-Bayerns-Bossen gesprochen. Wohl auch, weil Tuchel sich mit seiner Kritik an die Führungsetage wendete - und damit nicht ganz Unrecht hatte. Zwar wurden diese Unstimmigkeiten im Verein stets ins Reich der Fabeln verwiesen, doch spätestens seit Hoeneß öffentlich zum Gegenschlag ansetzte und von "unklugen Äußerungen" sprach, sind interne Spannungen nicht mehr wegzureden.

Tuchel beim BVB: Die Konflikte erinnern an die Situation beim FC Bayern

Dabei erinnert die Situation an Tuchels Zeit in Dortmund. Immer wieder waren kleinere und größere Störfeuer während Tuchels sportlich durchaus erfolgreicher Amtszeit aufgeflammt. Immer wieder konnte oder wollte er sich nicht bei öffentlichen Äußerungen zurückhalten, wenn es um Fragen nach dem Kader ging - oder um Kritik an seinen Vorgesetzten. Als der BVB 2017 im Meisterschaftskampf mit dem FC Bayern ins Hintertreffen geriet, sagte er etwa: "Ich plädiere seit Monaten dafür, anzuerkennen, dass wir das eben auch sind. Auch bei uns intern dachte ich, dass das schon angekommen ist."

Immer wieder weigerte er sich, als alleiniger Sündenbock für sportlich schwierige Situationen hingestellt zu werden, zog Kaderplaner und Vereinsfunktionäre auch öffentlich zur Verantwortung. Ob Tuchel das aus Kalkül machte, oder weil er generell ein Mensch ist, der sich selten verbiegt und daher auch in Pressekonferenzen versucht, ehrliche Antworten auf Fragen zu geben, die womöglich unangenehm sind. Oft versucht er es auf eine schelmische Art wegzulächeln, manchmal gelingt ihm das nicht und das trifft bei den Hierarchen in großen Fußballvereinen nun mal selten auf Verständnis.

Watzke über Tuchel: Kein Vertrauen, keine Perspektive

Auch in der Diskussion um den Anschlag auf den Mannschaftsbus des BVB ging Tuchel nicht in die Defensive, als Watzke ihn öffentlich kritisiert hatte. Er gab Kontra. Am Ende stand die Trennung der beiden Parteien nach zwei Jahren. Es war eine, auf die ausnahmsweise die Formulierung passte: "In beiderseitigem Einverständnis". Denn sowohl BVB-Verantwortliche als auch Trainer hatten keine Lust mehr auf die ständigen Querelen. Hans-Joachim Watzke schrieb damals in einem offenen Brief, es gäbe: "keine Grundlage mehr für eine auf Vertrauen ausgelegte und perspektivisch erfolgreiche Arbeit.

Reibung zwischen Chefs und Trainer: Förderlich oder abnutzend?

So weit ist es in München noch nicht. Wie angespannt das Verhältnis zwischen Führungsetage und Trainer tatsächlich ist, lässt sich derzeit kaum einschätzen. Tuchel sprach kürzlich nach der Hoeneß-Schelte von einem "Top-Verhältnis", schien die Episode mit Humor zu nehmen. Und auch die Chefs loben immer wieder ihren Coach. Zuletzt wurde sein Handling des Falles um Noussair Mazraoui anerkennend zur Kenntnis genommen.

Doch klar ist: Es gibt Reibung zwischen den Chefs und ihrem wichtigsten Angestellten. Das kann natürlich förderlich sein, denn ein ehrlicher Trainer kann deutlich bereichernder sein, als einer, der abnickt, was von oben kommt. Zudem ist Entspannung in Aussicht. Denn das größte Ego dürfte sich in Form von Hoeneß demnächst, wenn ein neuer Sportvorstand gefunden ist, wieder etwas aus dem operativen Geschäft zurückziehen - auch wenn der Ehrenpräsident die Zügel nie ganz aus seiner Hand gleiten lassen wird.

Ein Sieg gegen Dortmund würde die Lage entspannen

Aber klar ist auch: Reibung erzeugt Abnutzung. Sowohl bei Tuchel, der sich neben sportlichen Fragen auch immer wieder mit Hauspolitik beschäftigen muss - deutlich mehr, als es selbst für FC-Bayern-Verhältnisse üblich ist. Und auf der anderen Seite wird die Führungsriege sicherlich nicht vergessen, wie sie öffentlich von Tuchel kritisiert wurde, als sie ihren Job nicht auf Höchstniveau ausgeführt haben. Wenn es sportlich schwierig wird, könnte das für den FC-Bayern-Trainer zu einem Bumerang werden.

Bei seiner zweiten Trainerstation in Dortmund hat Tuchel bereits diese Erfahrung gemacht. Welche Schlüsse er daraus gezogen hat, wird sich in den kommenden Wochen und Monaten zeigen. Zweifellos ist jedoch, dass ein Sieg bei seinem alten Arbeitgeber die Stimmung in München deutlich entspannen würde.