Victor Lafay auf dem Weg zum Sieg auf der 2. Etappe der Tour de France
Tourreporter

Überraschung in San Sebastián Lafay erlöst sein Team bei der Tour de France

Stand: 02.07.2023 20:28 Uhr

Mit einer Attacke auf dem letzten Kilometer sorgt Victor Lafay für den ersten französischen Etappensieg bei der Tour de France. Sein Team hat 15 Jahre auf einen solchen Erfolg warten müssen und hatte auch schon an Lafay gezweifelt.

Von Michael Ostermann, San Sebastian

Der Sieger des Tages wirkte noch etwas zersaust, als er nach seinem Etappensieg in San Sebastián den Coup erklären sollte, den er da gerade gelandet hatte. Victor Lafay hatte mit seiner Attacke an der Kilometermarke sie alle überlistet, die großen Favoriten auf den Etappensieg. Der Franzose war einfach davon gefahren und hatte seinen knappen Vorsprung bis ins Ziel gebracht.

"Die letzten 500 Meter waren schwierig, ich habe mich nur einmal umgedreht und gesehen, dass eine kleine Lücke da ist. Aber sicher war ich mir erst, als ich die Ziellinie überquert habe", sagte Lafay danach strahlend: "Es war alles oder nichts."

2. Etappe - die Siegerehrung

Sportschau, 02.07.2023 13:00 Uhr

Cofidis wartete seit 2008 auf einen Etappensieg

Nichts - das war in den vergangenen Jahren in der Regel das, was die französische Equipe Cofidis von der Tour mit nach Hause brachte. Im vergangenen Jahr musste Simon Geschke das gepunktete Bergtrikot auf der letzten schweren Bergetappe abgeben, was ihn immer noch schmerzt. Wenige Tage zuvor war der Franzose Benjamin Thomas in Carcassone als Ausreißer kurz vor dem Ziel gestellt worden. Meist blieb den Cofidis-Fahrern nur die Ehrung für den kämpferischsten Fahrer - eine Art Trostpreis.

Moritz Cassalette, Sportschau Tourfunk, 02.07.2023 19:24 Uhr

Thierry Marichal, der Sportliche Leiter des Teams, wurde in San Sebastián gefragt, ob er wisse, wann seine Mannschaft zuletzt einen Etappensieg bei der Tour de France gefeiert habe. "Vor 25 Minuten", sagte er lachend und hatte ja auch recht damit. Aber natürlich wusste auch Marchial, dass seine Equipe eine sehr lange Durststrecke hinter sich hat, bis Lafay nun für Erlösung sorgte.

Der Sponsor hält seit Beginn die Treue

Bei der Tour 2008 war zuletzt ein Fahrer von Cofidis als Tagessieger geehrt worden. Damals hatte der Franzose Sylvain Chavanel die 19. Etappe in Montloucon gewonnen. Das Rennen vor 15 Jahren war aber vor allem von Doping-Skandalen geprägt. Das Team Saunier-Duval - geleitet von Mauro Gianetti, der heute die UAE-Mannschaft um Tadej Pogacar anführt - musste das Rennen vorzeitig verlassen, nachdem die Italiener Riccardo Ricco und Leonardo Piepoli als Epo-Doper aufgeflogen waren. Später wurden auch dem deutschen Radprofi Stefan Schumacher seine beiden Etappensiege aberkannt.

Das Team Cofidis gibt es unter diesem Namen bereits seit 1997 - damals gehörte auch ein gewisser Lance Armstrong zum Kader. Diese Kontinuität im Namen ist eine Seltenheit im Radsport, bei dem sich die Namen der Mannschaften mit wechselnden Sponsoren ändern. Doch die französische Bank hat der Equipe jahrelang die Treue gehalten. Ganz egal, in welchem Fahrwasser sie sich bewegte. Auch ein eigener Dopingskandal, der Anfang der 2000er Jahre als "Cofidis-Affäre" in die unrühmliche Geschichte des Radsports eingegangen ist, änderte an dieser Treue nichts.

In Frankreich spricht man seither gerne vom Radsport der "zwei Geschwindigkeiten", wenn es um die Übermacht anderer Fahrer geht. Denn im Zuge der Cofidis-Affäre, die durch staatliche Ermittlungen ins Rollen kam, wurden auch die Anti-Doping-Regeln in Frankreich noch einmal verschärft.

Diesmal Bingo statt Fiasko

Victor Lafay hat selbstredend mit all dem nichts zu tun. Er wurde ein Jahr vor der Gründung des Teams geboren war zwölf Jahre alt, als Cofidis zuletzt bei der Tour de France einen Etappensieg feierte. Aber dass nun ausgerechnet er das lange Warten auf einen Erfolg bei der Tour beendet, war eine weitere Pointe dieses Tages.

Lafay habe zu Beginn seiner Karriere viele Probleme gehabt und darum länger gebraucht zu reifen, sagte sein Sportlicher Leiter Marchial. Beständig sind die Leistungen des 27-Jährigen aus Lyon aber bis heute nicht. "Wir sind eine große Wette eingegangen, als wir Victor für die Tour aufgestellt haben", sagte Marchial: "Bei ihm weiß man nie, es kann Bingo sein oder Fiasko."

Diesmal war es Bingo. So wie 2021 auch schon mal beim Giro d'Italia, wo er ebenfalls eine Etappe gewinnen konnte. Dieser Erfolg bei der Tour werde seiner Karriere nun aber sicher einen weiteren Schub geben, vermutete Lafay.

Alles wird nun leichter

Dass er bei der Tour in diesem Jahr auf der Gewinnerseite sein könnte, hatte sich schon auf der 1. Etappe angedeutet, als er gemeinsam mit den beiden Topfavoriten auf den Gesamtsieg, Tadej Pogacar und Jonas Vingegaard, über den letzten Anstieg des Tages gekommen war, dann aber nicht wusste, ob er eine Attacke wagen sollte oder nicht. Was ihn später schwer frustrierte. Doch diesmal nahm Lafay sein Herz in die Hand, wohl wissend, dass er im Sprint gegen Fahrer wie Wout van Aert und Pogacar keine Chance haben würde.

Für das Team Cofidis ist Lafays Etappensieg derweil nicht nur das Ende des langen Wartens, sondern auch die Befreiung von der Last, die französische Mannschaften immer spüren, wenn sie beim wichtigsten Radrennen der Welt antreten. "Die Tour ist jetzt schon gelungen", sagte Lafays Teamkollege Simon Geschke: "Alles, was jetzt noch kommt, wird ein bisschen leichter."