Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban

Fernziel Olympia Wie Ungarns Ministerpräsident Orbán die Leichtathletik-WM nutzt

Stand: 20.08.2023 17:28 Uhr

Sportereignisse lassen Autokraten glänzen. Das Muster, das in den vergangenen Jahren Länder wie Katar, Saudi-Arabien, China oder Russland genutzt haben, hat auch Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán für sich entdeckt.

"Ich würde gerne noch erleben, wie Ungarn die Olympischen Spiele ausrichtet", sagte Orbán 2021. Nun findet in Budapest zumindest die Leichtathletik-WM statt - und dieses Großereignis hilft Orbán in schwierigen Zeiten seines Landes.

Politologin: "Bei der wirtschaftlichen Situation hilft nur: Brot und Spiele"

"Die Leichtathletik-WM ist innenpolitisch sehr wichtig", sagt die ungarische Politikwissenschaftlerin Andrea Szabó im Gespräch mit der Sportschau. Der Zustand der Wirtschaft ist schlecht, Rezession und Inflation machen den Menschen in Ungarn das Leben schwerer. Die Preissteigerung lag im Juli bei 17,6 Prozent, bei Lebensmitteln lag sie zwischenzeitlich bei mehr als 45 Prozent.

"Bei solchen Schwierigkeiten bleibt nur das römische Motto: Brot und Spiele", sagt Szabó. So können Probleme verzerrt werden, der Sport soll Gemeinschaftsgefühl und Nationalstolz auslösen. "Und die Ungarn sind sehr stolz auf ihre Sportler", so Szabó.

Die ungarische Politikwissenschaftlerin Andrea Szabó

Die ungarische Politikwissenschaftlerin Andrea Szabó

Die WM werde bewusst mit dem ungarischen Nationalfeiertag am 20. August verknüpft. "Je schwieriger die wirtschaftliche Lage ist, desto größer muss der Zirkus sein", erklärt Szabó. Neben der WM wird in Budapest ein riesiges Feuerwerk veranstaltet, zu Besuch kommt auch noch der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan.

Das Stadion "Nemzeti Atlétikai Központ" ("Nationales Leichtathletikzentrum") kostete fast 700 Millionen Euro. "Natürlich gibt es kritische Stimmen dazu", sagt Szabó. "Das Stadion und die Gesamtorganisation der WM kosten fast eine Milliarde Euro, das hätte man auch für Bildung oder Gesundheit ausgeben können."

Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Ungarn in Gefahr

Orbáns Regierungsstil gilt als autokratisch. In Ungarn, wo 1990 die ersten freien Wahlen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs abgehalten wurden, geraten Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zunehmend in Gefahr.

Die Europäische Union leitete in den vergangenen Jahren mehrere Verfahren gegen Ungarn ein. Dabei ging es um den Umgang mit Flüchtlingen, die Rechte der LGBTQIA+-Gemeinschaft und vor allem um die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards. Ein Vorwurf: Die Regierung versucht, Justiz und Medien unter ihre Kontrolle zu bringen und deren Unabhängigkeit auszuhöhlen.

Wie fast alle anderen Verbände veranstaltete auch der Weltverband World Athletics in den vergangenen Jahren immer wieder seine WM in autokratisch geführten Ländern oder in Diktaturen: in Moskau 2013, in Peking 2015 und in Doha 2019. Verbandspräsident Sebastian Coe räumte ein, dass die Regierungen den Sport nutzen, behauptete aber zugleich, dass Veranstaltungen wie die WM der Bevölkerung auch Vorteile brächten. Zu Budapest sagte Coe: "Es ist deutlich geworden, dass wir in einer WM-Stadt sind und dass uns die Stadt wirklich hier haben will."

Die Leichtathletik-WM 2019 fand in Doha statt.

Die Leichtathletik-WM 2019 fand in Doha statt.

Olympia-Bewerbung 2024 gescheitert, neuer Versuch möglich

Den Sport für sich nutzen will Orbán weiter. Die Fußball-EM der Männer fand teilweise in Budapest statt. Auch das Finale der UEFA Europa League im Fußball wurde in Budapest ausgetragen. Die Schwimm-Weltmeisterschaften 2017 und 2022 richtete Ungarn ebenfalls aus - der Schwimm-Weltverband will nun seinen Hauptsitz nach Budapest verlegen.

Das große Fernziel sollen Olympische Spiele sein. 2024 scheiterte eine Bewerbung in einem frühen Stadium am Widerspruch aus der Bevölkerung. Die hatte in einer Petition ein Referendum gefordert, das dann aber durch den Rückzug der Bewerbung nicht mehr nötig war. Orbán sprach von einem "Staatsstreich". Viele Veranstaltungen wie die Leichtathletik-WM könnten nun einen weiteren Versuch für 2036 vorbereiten. Balázs Fürjes, Ungarns früherer Innenminister, sagte bei dem Portal "inside the games", dass Ungarn den Traum "nie aufgegeben hat", aber bei einem weiteren Versuche bräuchte es breite Unterstützung.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 20.08.2023 | 07:00 Uhr