Fehlstart im 1. Halbfinal über 100m
analyse

Busemanns EM-Kolumne Ein "Pöff" ist Mist - Schießpulver für die Sprinter bitte!

Stand: 09.06.2024 00:36 Uhr

Ein 100-Meter-Halbfinale geht auf die Reise, zwei mit eingeschaltetem Hörgerät hören den "Rückschuss", zwei anderen kommt das alles seltsam vor und vier Herren im Tunnel ballern sich die Seele aus dem Leib. Als Athlet muss man mit Fehlstart-Verwirrungen umgehen können, meint ARD-Leichtathletik-Experte Frank Busemann in seiner EM-Kolumne.

Da haben die vor einigen Jahren die neue Fehlstartregel eingeführt, damit die Sprinter nicht immer den Zeitplan mit ausufernden Frühzuckungen torpedieren. Einige Zeit davor wurde schon alles verkabelt und mit Elektronik versehen, sodass kein Fehltritt ungeahndet bleibt.

Leider wurde im Rahmen aller Modernisierungen auf das gute alte Schießpulver verzichtet. Früher kam mit lautem Getöse ein Donnerhall mit Feuerball aus dem Startgerät. Heute macht es noch: "Pöff!" Und bei einem Fehlstart noch so ein mechanisches Tonbandgeräusch wie "ÄÄÄÄÄ-ÄÄÄÄÄ-ÄÄÄÄÄ". Seit Samstag haben wir den Beweis: ist Mist. Hört man nämlich schlecht.

Ein 100-Meter-Halbfinale der Männer geht auf die Reise, zwei mit eingeschaltetem Hörgerät hören den "Rückschuss", zwei anderen kommt das alles seltsam vor - und vier Herren im Tunnel ballern sich die Seele aus dem Leib. Ein Aufschrei geht durchs Stadion. Aber was denkt der Leistungssportler in Führung? Verdammt, bin ich heute gut drauf. Die Leute flippen komplett aus, und ich sehe auch keinen anderen. Läuft!

"Blende alles aus"

Vor zwanzig Jahren hat der Sportler schon beigebracht bekommen: "Gucke nach vorne, nicht zur Seite, konzentriere dich auf dich selbst. Blende alles aus." Da reicht kein "Pöff" oder "ÄÄÄÄ-ÄÄÄÄ-ÄÄÄÄ", um die wieder einzufangen.

Aber was nun? Die bestrafen, die die Tugenden eines Sprinters beherzigt haben, und den Lauf sofort noch mal starten? 100 Meter sind lang. Manche fliegen um die halbe Welt, nur um einmal 100 Meter zu laufen, da kann man nicht innerhalb von fünf Minuten zweimal Vollgas geben. Selbst schuld, kann man denken. Zum Glück bekamen sie ein Pause und der Lauf wurde nach hinten geschoben.

Volles Entertainment-Programm

Ging aber weiter. Fehlstart. Alle kriegen es mit. Geht doch. Aber wer war es jetzt? Die Technik zeigt eindeutig den Polen auf Bahn 9. Das italienische Schulterzucken im Block auf Bahn 8 sieht aber nur das Auge. Diskussion. Volles Entertainment-Programm. Der Pole quatscht sich wieder rein und kann unter Vorbehalt mitlaufen. Da ist was los. 35 Minuten später als gedacht sind sie endlich da.

Was sagt uns das jetzt? Früher war alles besser? Nein, es gibt immer diese unglückliche Ausnahme, die Regeln oder Planungen über den Haufen wirft. Ist doof, darf nicht passieren, passiert aber. Und zwar so selten, dass ich eine ganze Seite drüber schreibe.

Robin Ganter als vermeintlicher Nutznießer

Als Athlet muss man damit umgehen können. Das würde nämlich in der Stellenbeschreibung stehen. Arbeit in klar definierten rechtlichen Rahmenbedingungen mit besonderen Vorkommnissen, die klaglos zu tolerieren sind.

Robin Ganter war der vermeintliche Nutznießer. Zum Glück hat er den Schuss gehört. Aber dann muss man sich in dem Zirkus erstmal schadlos halten und seine Leistung auf den Punkt bringen. Wie bitter letztlich: Obwohl fürs Finale qualifiziert, konnte er aufgrund muskulärer Probleme nicht mehr mit Owen Ansah im Finale teilnehmen.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 09.06.2024 | 08:55 Uhr