Stephan El Shaarawy beim Torschuss

Italien in der EM-Qualifikation Viel Hoffnung - und die Angst der Fans vor dem Elfmeter

Stand: 20.11.2023 20:09 Uhr

Vor dem Showdown gegen die Ukraine sind die Fans von Titelverteidiger Italien aufgrund der jüngsten Leistungen guter Dinge. Nur vor einer Situation haben sie Angst.

Auch seinen Jubel traut er sich wieder: Die Arme freudestrahlend in den Abendhimmel gereckt, rutschte Federico Chiesa auf Knien Richtung Eckfahne. Exakt 400 Tage, nachdem ihm im linken Knie das Kreuzband gerissen ist. Auf zehn Monate Verletzungspause folgte fast ein Jahr mühsamer Suche nach alter Form.

Federico Chiesa jubelt nach seinem Treffer

Federico Chiesa jubelt nach seinem Treffer

Ein Doppelpack plus Jubel beim Sieg gegen Nordmazedonien am Freitag (17.11 2023) bescheinigen: Alles wieder gut beim Stürmer von Juventus Turin. Italien kann auf seinen vielleicht besten Angreifer zählen, rechtzeitig vor dem EM-Showdown gegen die Ukraine (Montag, 20.11.2023, Live-Ticker bei sportschau.de). Den Italienern reicht ein Punkt, um die Qualifikation für die EURO in Deutschland klarzumachen. Bei einer Niederlage müssten sie den Umweg über die Nations-League-Playoffs gehen.

Spalletti: "Chiesa ist unser Sinner"

Italiens Nationaltrainer Luciano Spalletti jedenfalls hatte Chiesa bereits vor der Nordmazedonien-Partie als besten seinen Spieler geadelt. Mit dem in Italien derzeit größten verfügbaren Lob im Sport. "Auch wir haben einen Topplayer", meinte Spalletti zu Journalisten, als das Gespräch auf die ATP Finals in Turin und den Hype um Jannik Sinner kam: "Unser Sinner ist Chiesa." Der 26-Jährige dankte für die öffentliche Huldigung mit zwei Treffern und einer auch ansonsten starken Leistung.

Dass Italien mit neuem Mut in die Partie gegen die Ukraine in Leverkusen geht, hat aber nicht nur mit Chiesa zu tun. Die "Squadra Azzurra" insgesamt strahlte gegen Nordmazedonien, trotz ein paar Leistungsdellen, neue Spielfreude aus. Vor allem aber war der Wille erkennbar, hinter die für Italien leidvolle Zeit nach dem EM-Triumph im Sommer 2021 inklusive verpasster WM-Qualifikation 2022 einen Haken zu machen.

Spallettis Handschrift klar zu erkennen

Von der Handschrift Spallettis, der erst im September übernommen hat, ist in Italiens Nationalteam bereits einiges zu erkennen: dominantes Auftreten, Pressing, Druck über die Außenbahnen, manchmal durch vorrückende Mittelfeldspieler faktisch eine Fünfer-Angriffsreihe.

Gegen Nordmazedonien war allerdings auch zu sehen, was noch fehlt. In der Defensive ist die "Squadra Azzurra" noch entfernt von der Stabilität vergangener Tage, als Italien im Weltfußball Synonym für erfolgreiche Abwehrarbeit war. 

Spalletti aber, der mit Offensivfußball die SSC Neapel zum Meistertitel geführt hat, möchte seine Philosophie auch in der entscheidenden Phase der EM-Qualifikation nicht leugnen. "Wir wollen diese beiden Spiele unbedingt gewinnen", gab er vor den Partien gegen Nordmazedonien und die Ukraine zu Protokoll. Um sein Mantra hinterher zu schieben: "Gut Fußball zu spielen erhöht die Chancen auf einen Sieg."

Italiens Trainer Luciano Spalletti

Italiens Trainer Luciano Spalletti

Barella als zweiter Hoffnungsträger

Neben Chiesa ist Nicolò Barella einer der Hoffnungsträger Italiens für eine erfolgreiche Mission Euro 2024. Der Inter-Mittelfeldmann, der in seinem Spielstil an den Lothar Matthäus besserer Tage erinnert, war mit Chiesa einer Jüngsten in Italiens Team, das 2021 in Wembley auf Europas Fußballthron stieg. Auch Barella ging danach durch Leistungstäler. Nun, gegen Nordmazedonien, war der 26-Jährige an fast jeder erfolgreichen Offensivaktion Italiens beteiligt, zwei Assists inklusive. "Ein Leader", verbeugte sich die "Gazzetta dello Sport".

In der von Spalletti neu sortierten "Squadra Azzurra" hat auch Barellas Inter-Teamkollege Federico Dimarco (26) seinen Platz gefunden. Seine in der Liga seit Wochen beeindruckenden Vorstellungen auf der linken Außenbahn setzte der dynamische Mann mit der formidablen Schusstechnik nahtlos im Nationalteam fort.

Auch Giacomo Raspadori (23) von Spallettis früheren Klub SSC Neapel ist Teil des Neustarts. Der kleine und schmächtige, aber technisch starke Mittelstürmer hielt gegen Nordmazedonien Italiens Angriffsspiel flüssig und legte noch einen Treffer obendrauf.

Alter schützt vor Nominierung nicht

Ansonsten setzt Spalletti beim Personal weniger auf Generations- als auf einen Gesichterwechsel. Wer in der Liga gut performt, bekommt eine Chance im Nationalteam. Wie der 34 Jahre alte Giacomo Bonaventura vom AC Florenz. Der offensive Mittelfeldspieler, zurückgeholt nach vielen Jahren Nationalmannschaftspause, war gegen Nordmazedonien Leistungsträger.

Wie auch der 33 Jahre alte Matteo Darmian von Inter Mailand. Unter Mancini fünf Jahre nicht mehr berücksichtigt, zeigte sich der Abwehrmann hinten verlässlich und gab vorne mit seinem Führungstreffer den Dosenöffner.

Bekanntester Rückkehrer unter Spalletti ist Jorginho. Nachdem der bald 32-Jährige bei Arsenal wieder in die Spur gefunden hat, darf er jetzt auch wieder im Nationalteam Regie führen. Begleitet von einer fußballerischen Liebeserklärung seines Trainers.

Bis zum Treffen der Nationalmannschaft vergangene Woche, räumte Spalletti ein, habe er Jorginho nur aus dem Fernsehen gekannt. Bereits in den ersten Trainingseinheiten aber, schwelgte der Trainer, habe Jorginho auf ihn "einen unglaublichen Eindruck gemacht. Wie er sofort die Mannschaft an die Hand genommen hat. Welche fußballerische Intelligenz er besitzt. Welche Freude er ausstrahlt, in dieser Gruppe dabei zu sein."

Jorginho erneut erfolglos vom Punkt

Ähnlich wie Chiesa beflügelte Jorginho das Lob seines Trainer (für den das Starkreden seiner Kicker seit Jahrzehnten zum Instrumentenkoffer gehört). Der Europameister überzeugte beim Comeback als Strippenzieher im Zentrum. Allerdings pflegte Jorginho auch seine bei den Fans ungeliebte neue Marotte: Zum vierten Mal in Folge blieb der vermeintliche Spezialist mit einem Elfmeter im Nationalteam erfolglos. Ein Fehlschuss Jorginhos gegen die Schweiz war mit ein Grund, warum Italien die WM in Katar verpasste.

Die Begeisterung Spallettis für seinen neuen Bekannten führt aber dazu, dass er an ihm als Elfmeterschützen nicht rütteln will. Sollte es am Montagabend gegen die Ukraine einen Strafstoß für Italien geben, darf sich erneut der Arsenal-Spieler den Ball schnappen.

"Jorginho bleibt ein spezieller Elfmeterschütze", verkündete Spalletti ungeachtet der empirischen Erfahrung der vergangenen Versuche. Er habe Jorginho nach dem Nordmazedonien-Spiel gesagt, dieser dürfte auch den nächsten Elfmeter schießen - "und er hat mit Ja geantwortet". Eine Ankündigung, die den Tifosi eher Sorgen macht.