Hat schon mal zufriedener ausgesehen: Ungarns Dominik Szoboszlai
analyse

Auftaktniederlage bei der EM Ungarn und Kapitän Szoboszlai - gefährliche Abhängigkeit

Stand: 16.06.2024 11:27 Uhr

Ihr erstes Spiel bei der EM haben die Ungarn am Samstag (15.06.2024) gegen die Schweiz verloren - auch weil Dominik Szoboszlai diesmal nur einen starken Moment hatte.

Von Tim Beyer, Köln

Es blieb unklar, ob Julian Nagelsmann noch einmal alte Aufstellungen angeschaut und die Namen durchgezählt hatte, oder ob er sich einfach auf sein Gefühl verließ. Aber falsch lag er nicht, als er kurz nach dem Auftaktsieg gegen Schottland direkt auch nach Deutschlands nächstem Vorrundengegner Ungarn gefragt wurde. Nagelsmann sagte: "Das ist ein sehr eingespielter Haufen."

Als Deutschland das bislang letzte Mal gegen Ungarn gespielt hat, war Nagelsmann, 36, noch nicht Bundestrainer. Der hieß im September 2022, als die DFB-Auswahl in der Nations League gegen Ungarn verlor, Hans-Dieter Flick. Auf der "Sechs" neben Joshua Kimmich spielte İlkay Gündoğan, auch Thomas Müller stand in der Startelf. Auf der Bank saß Wolfsburgs Kapitän Maximilian Arnold. Die WM in Katar, die Graugänse und das Vorrundenaus, das kam ein Vierteljahr später.

Die Ungarn haben ihren Trainer nicht getauscht, er heißt seit sechs Jahren Marco Rossi. In der Nations League gegen Deutschland hieß der Siegtorschütze Ádám Szalai, er hat seine Karriere mittlerweile beendet. Sonst hat Rossi wenig verändert. Als die Ungarn am Samstag (15.06.2024) ihr Auftaktspiel bei der EM gegen die Schweiz verloren, vertraute er in seiner Startelf auf neun Spieler, die auch schon beim Sieg gegen Deutschland begonnen hatten.

Auch Taktik-Füchse sind manchmal überrascht

Die Nations League, die in Deutschland manchmal belächelt wird, war die Bühne der Ungarn. Sie verloren zweimal gegen Italien, aber spielten nicht schlecht. Sie ärgerten die Deutschen, und gegen England gewannen sie zweimal. In der Welt des Fußballs ist das natürlich registriert worden: dass die Mannschaft der Ungarn regelmäßig ein bisschen besser spielte, als die Summe ihrer Einzelteile das vermuten ließ.

Diese Entwicklung ist oft mit dem Wirken des Trainers Rossi verknüpft worden. Rossi, 59, kam vor zwölf Jahren aus seiner Heimat Italien nach Ungarn, zunächst als Vereinstrainer. Irgendwann rief der Verband an. Als Nationaltrainer setzt er auf Konstanz bei der Auswahl seiner Spieler. Und auf ein 3-4-2-1-System, in dem oft sechs oder sieben defensiv orientierte Feldspieler beginnen und trotzdem Freiräume bleiben für die Offensiven um Kapitän Dominik Szoboszlai.

Doch gegen die Schweiz ging der Plan nicht auf. Es fing damit an, dass der Schweizer Trainer Murat Yakin mit seiner Aufstellung auch Rossi narrte. Er stellte Dan Ndoye nicht wie zuletzt als linken Schienenspieler auf, sondern als rechten Angreifer. Ndoye ist ein Flügelspieler, er hält seine Position. Stattdessen spielte links Michel Aebischer, er ist eigentlich einer fürs Zentrum, ihn zog es auch gegen Ungarn oft dorthin. Die Statik des Schweizer Spiels war so eine andere.

"Rossi ist ein Taktik-Fuchs", sagte Yakin. Deshalb habe auch er sich etwas einfallen lassen, um Ungarns Trainer zu überraschen. Und der war überrascht. Ein "taktisches Missverständnis", so nannte Rossi das. Besser sei das Spiel seiner Ungarn erst in der zweiten Hälfte geworden, zumindest ein wenig. "Aber da hatten wir den Salat schon."

Wenn sogar Willi Orban Fehler macht

Für Ungarns Niederlage war dann aber natürlich nicht nur die Taktik der Schweiz verantwortlich. In der Defensive fehlte es nicht an Abwehrbeinen, aber an Geschick. Vor dem ersten Tor ließ sich Ungarn davon überrumpeln, dass der Schweizer Aebischer seine linke Seite verließ und im Zentrum auftauchte, wo er einen feinen Steckpass auf Kwadwo Duah spielte. Vor dem zweiten Tor zog Aebischer wieder ins Zentrum und dann selbst ab. Um ihn herum waren einige Ungarn, aber sie ließen ihn passieren.

Und vor dem dritten Tor war es Willi Orban, der einen langen Ball der Schweizer mit dem Kopf abfing. Nur köpfte er den Ball nicht dorthin, wo keine Gefahr drohte. Er köpfte ihn direkt vor die Füße des Schweizers Breel Embolo. Der Trainer Rossi wunderte sich anschließend über die individuellen Fehler seiner Fußballer, auch Abwehrchef Orban, 31, in der Bundesliga als zuverlässiger Verteidiger von RB Leipzig bekannt, durfte sich angesprochen fühlen.

Szoboszlai ist Ungarns Mann für das Kreative

Als Embolo den 3:1-Endstand erzielte, stand Ungarns Spielmacher Szoboszlai viele Meter entfernt vom Geschehen. Er schüttelte den Kopf, die Hände hatte er in die Hüften gestemmt. Szoboszlai, 23, ist Ungarns bester Fußballer, er war in Leipzig Orbans Mitspieler, ehe ihn der FC Liverpool lockte. Seitdem fürchten sich Torhüter in der Premier League vor seinen Distanzschüssen.

Bei den "Reds" ist Szoboszlai ein begnadeter Fußballer unter vielen. Wenn er zur Nationalmannschaft kommt, ist das anders. Die Ungarn sind abhängig von ihrem besten Spieler, von seinen Pässen, Vorlagen, Toren. Vielleicht zu abhängig. Zu beobachten war das auch gegen die Schweiz.

Seine beste Szene hatte Szoboszlai, als er das Tor von Barnabás Varga mit einer präzisen Hereingabe vorbereitete. Sonst fanden seine Pässe, Ecken und Freistöße selten einen Abnehmer, was manchmal an seinen Pässen, Ecken und Freistößen lag und manchmal an seinen Mitspielern. Und die Schweizer bewiesen großes Geschick darin, die Gestaltungsmöglichkeiten für ihn einzuschränken: Szoboszlai hatte nur 61 Ballkontakte, auf das Tor des Gegners schoss er nie.

Vor dem zweiten Vorrundenspiel gegen Deutschland am Mittwoch (19.06.2024) stehen die Ungarn nun unter Druck. Eine weitere Niederlage würde die Chancen auf das Weiterkommen erheblich verschlechtern. Die Hoffnung der Ungarn ist deshalb, dass es wieder so läuft wie im Herbst 2022, als der Gegner auch Deutschland hieß. Dass die Verteidiger ihr Tor so geschickt verteidigen wie damals. Und dass es auch sonst eine Parallelität der Ereignisse gibt. Der Siegtreffer in diesem Spiel fiel, als Szalai nach einer Ecke traf. Die Vorlage kam, na klar, von Szoboszlai.