Starkes Turnier: Murat Yakin, Trainer der Schweiz
analyse

Schweizer Auftaktsieg bei der EM Murat Yakin - Balsam für die Trainerseele

Stand: 16.06.2024 00:15 Uhr

Die Schweiz hat am Samstag (15.06.2024) ihr Auftaktspiel bei der Europameisterschaft gegen Ungarn gewonnen. Auch weil zwei Spieler trafen, deren Nominierung für die Startelf eine Überraschung war. Nicht nur damit lag Trainer Murat Yakin richtig.

Von Tim Beyer, Köln

Vor einigen Tagen ist die Schweizer Nationalmannschaft mit dem Zug nach Köln gereist. Trainer Murat Yakin nutzte die Zeit, um Schach zu spielen. Er spielt gerne - und offenbar nicht schlecht. Auf der Fahrt gewann er zweimal. So jedenfalls hat Yakin die Geschichte erzählt, als es eigentlich um Fußball ging und um die Nationalmannschaft der Schweiz, die gerade ihr Auftaktspiel bei der Europameisterschaft gegen Ungarn 3:1 (2:0) gewonnen hatte.

Yakin spielt lieber Schach als Poker

Auf das Schachspielen kam Yakin, als er über das Pokern sprechen sollte. Ein Journalist hatte gefragt, ob er, Murat Yakin, 49, eigentlich ein Pokerspieler sei? So hat es begonnen. Yakin, das weiß man jetzt, spielt lieber Schach als Poker. Da, sagt er, wisse man "nie, was der Gegner in der Hand hat". Beim Schach hingegen ließen sich die Figuren kontrollieren.

Das Schachspielen ist eine knifflige Angelegenheit, es braucht Geduld und Übung. Auch strategisches Denken hilft und die Fähigkeit, die Pläne des Gegenüber zu entschlüsseln. Es geht beim Schach immer auch darum, den Gegner zu überraschen, obwohl das Spielfeld offen da liegt.

Yakin ist das zuletzt nicht nur beim Schach gelungen. Er hat auch Ungarns Fußballer und ihren Trainer überrascht.

Erst die Vorlage, dann das Tor - Aebischer zieht es ins Zentrum

"Wir haben die Schweiz anders erwartet", sagte Marco Rossi, Trainer von Gegner Ungarn. Zwar hatte Yakin seine Mannschaft wieder in einem 3-4-2-1-System aufgestellt, für diese Taktik hatte er sich vor einigen Monaten entschieden. Darauf war Rossi vorbereitet.

Aber Dan Ndoye, 23, der für die Schweiz zuletzt oft als linker Schienenspieler gespielt hat, hatte er nicht rechts vorne erwartet. Und Michel Aebischer, 27, der eigentlich zentral im Mittelfeld spielt, hatte er nicht anstelle von Ndoye auf der linken Seite erwartet.

Das habe die Statik im Spiel der Schweizer verändert, sagte Rossi. Seine Spieler seien damit zunächst gar nicht zurechtgekommen, etwas besser gefiel ihm der Auftritt seiner Spieler erst in der zweiten Hälfte. "Aber da hatten wir den Salat schon."

Zur Pause führten die Schweizer mit zwei Toren. Das erste hatte Aebischer mit einem feinen Steckpass vorbereitet, nachdem er von der linken Seite ins Zentrum gelaufen war. Den zweiten Treffer erzielte er selbst. Nach einem Angriff über die rechte Seite hob Aebischer beide Arme, einmal, zweimal, dreimal. Den Ball bekam er tatsächlich. Er legte ihn sich auf den rechten Fuß, dann schoss er flach in die lange Ecke. Für Aebischer war es im 21. Länderspiel das erste Tor.

Aebischer spielt zusammen mit Ndoye für den FC Bologna in der Serie A, sie haben sich gemeinsam für die Champions League qualifiziert. Auch Nationaltrainer Yakin hat das natürlich registriert. Ndoye hat schon länger einen Stammplatz in der "Nati", wie die Schweizer ihre Nationalmannschaft nennen. Aebischer war fast immer im Kader, aber oft nur Joker.

Auf seiner besten Position im zentralen Mittelfeld sind bei Yakin Granit Xhaka und Remo Freuler gesetzt. Doch die Lösung mit Aebischer auf der linken Seite war auch keine schlechte. Er legte ja nicht nur ein Tor vor und traf selbst, er gewann auch 56 Prozent seiner Zweikämpfe. Und seine Passquote lag bei 89 Prozent.

Tor-Debütant Duah sagt: "Ein Traum ist in Erfüllung gegangen"

Den taktischen Kniff mit Aebischer darf Yakin für sich als Erfolg verbuchen, das gilt auch für seine Entscheidungen im Angriff. Dort begann Kwadwo Duah, er traf in seinem zweiten Länderspiel gleich mal zur Führung. Es war sein erstes Tor für die Nationalmannschaft. Er sagte: "Für mich ist ein Traum in Erfüllung gegangen. Ich kann es noch gar nicht glauben."

Duah, 27, spielt für Ludogorets Razgrad in Bulgarien, zuvor war er ein Jahr beim 1. FC Nürnberg in der 2. Bundesliga. Die ganz große Fußball-Bühne hat er gegen Ungarn zum ersten Mal betreten. Yakin sagte: "Wir in der Schweiz kennen ihn schon ganz gut. Jetzt kennt ihn auch der Rest der Welt."

Welche Rolle Duah im weiteren Verlauf der EM einnehmen wird, hängt auch von Breel Embolo, 27, ab. Er ist der beste Angreifer der Schweiz, doch zuletzt hat er mit einem Kreuzbandriss lange gefehlt. Für seinen Verein AS Monaco hat Embolo in dieser Saison nur fünf Spiele gemacht. Yakin berief ihn trotzdem in den Kader. Gegen Ungarn wechselte er Embolo in der Schlussphase ein - und wird das nicht bereut haben. Mit einem feinen Lupfer sorgte Embolo in der Nachspielzeit für die Entscheidung.

Yakins Zukunft ist ungewiss

Für Murat Yakin dürfte all das Balsam für seine Trainerseele sein. Er trainiert die "Nati" seit fast drei Jahren, war in dieser Zeit aber nicht immer unumstritten. Zwar hat die Schweiz seit dem Achtelfinal-Aus bei der WM in Katar nur ein Spiel verloren, aber überzeugt hat sie trotzdem nicht immer. In der Qualifikation zur EM gewann die Schweiz gegen Rumänien, Israel, Belarus, den Kosovo und Andorra nur vier von zehn Spielen.

Nun, nach dem Auftaktsieg gegen Ungarn, sagte Yakin: "Natürlich ist das eine Genugtuung." Vor dem Spiel hatten ihn die Fans der Schweizer mit Sprechchören gefeiert, nach dem Spiel lobte ihn sogar der Trainer des Gegners. Doch wie es mit Yakin und der Schweiz weitergeht, ist offen. Nach der Europameisterschaft läuft sein Vertrag aus. Der Verband hätte gerne vor dem Turnier noch verlängert, doch Yakin wollte lieber abwarten.

Natürlich ist Yakin zuletzt manchmal nach seinen Plänen gefragt worden. Nach dem gelungenen EM-Auftakt sprach Yakin aber lieber über seine Mannschaft. Er sagte: "Es entsteht etwas. Meine Person ist da unwichtig."