Die Südkurve im Stadion München wurde für die EM 2024 mit Sitzschalen umgerüstet.

EM 2024 Stehplätze - im Europapokal erlaubt, bei der EM nicht

Stand: 11.06.2024 08:40 Uhr

Die UEFA öffnete sich nach Jahren des Zwangs zu Sitzplätzen im Europapokal wieder für Stehplätze. Bei der EM 2024 in Deutschland gibt es aber nur Sitzplätze.

Für Fanbündnisse war es nach jahrelangem Kampf eine Erlösung. Zur Saison 2022/23 brach die UEFA eine seit 1998 geltende Bestimmung auf - die Pflicht zu reinen Sitzplatzstadien im Europapokal wurde aufgehoben. Nur eine Testphase sollte es sein und nur in den fünf Ländern Deutschland, Frankreich, England, Italien und Spanien.

In den zuständigen Gremien der UEFA herrschte über das Thema nicht immer Einigkeit, aber bislang setzt sich die Erkenntnis durch, dass Stehplätze beispielsweise in der Bundesliga nicht nur am Wochenende sicher sind. Und damit ging die Öffnung weiter: Ab der Saison 2024/25 dürfen auch Klubs aus den Niederlanden, Belgien, Portugal, Schottland und Österreich Stehplätze in der Champions League, der Europa League und der Conference League anbieten.

"Europe wants to stand", war das Motto von Fangruppen, "Europa möchte stehen". Doch bei der EM in Deutschland müssen alle Fans sitzen.

Die Südtribüne von Borussia Dortmund mit Stehplätzen.

Die Südtribüne von Borussia Dortmund mit Stehplätzen.

EM-Organisatoren: Aufteilung problematisch, nicht alle Fans wollen Stehplätze

Schon im September 2022 berichtete die Sportschau kurz nach Beginn der Testphase für Stehplätze im Europapokal, dass die EM mit reinen Sitzplatzstadien geplant wird. Die Ergebnisse der Testphase kämen zu spät, um noch ein Turnier mit Stehplätzen umzusetzen, teilte die EURO 2024 GmbH damals mit. Die EURO 2024 GmbH ist ein gemeinsames Unternehmen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und der UEFA, das 2020 für die Organisation des Turniers gegründet wurde.

Die Organisatoren teilten ein Jahr später die endgültige Entscheidung gegen Stehplätze mit und führten organisatorische Fragen zur Begründung an:

  • Die Stadien in Deutschland haben meist eine große Fankurve für die Heimmannschaft und einen kleineren Gästeblock, was eine gerechte Aufteilung der potenziellen Stehplätze zwischen den Teams erschwere, sagte Martin Kallen, der bei der UEFA für Turniere verantwortlich ist, bei einem Medientermin 2023.
  • Ein entsprechender Umbau für eine gerechte Verteilung sei mit hohen Kosten für die UEFA verbunden, das Ergebnis müsse dann für die Bundesliga zurückgebaut werden. "Das wollen auch die Stadionbetreiber nicht", sagte Kallen.
  • Nicht alle Fans aus allen Ländern wollen Stehplätze haben, die Nachfrage sei nicht bei allen teilnehmenden Teams gegeben, sagte Kallen, der auch von Einwänden der Polizei berichtete.

Auch kommerzielle Gründe spielen eine Rolle. Nach Informationen der Sportschau wurde in der Diskussion argumentiert, dass bei einer ungleichen Aufteilung der vorhandenen Stehplätze die Fans eines Teams vergünstigte Sitzplätze bekommen müssten - was die Einnahmen drücken würde.

Einnahmen aus dem Ticketverkauf spielen wegen der hohen TV-Gelder heute zwar eine kleinere Rolle als früher, machen aber noch immer einen beträchtlichen Teil der Einnahmen aus. 300 Millionen Euro ohne VIP-Tickets peilt die UEFA mit dem Kartenverkauf an, die Gesamteinnahmen sollen die Marke von 2,4 Milliarden Euro übertreffen.

Einnahmen EM-Turniere (Quelle: UEFA)
Turnier Gesamt € Tickets inkl. VIP Anteil
1992 40,9 Mio. 12,3 Mio. 30,1%
1996 147,3 Mio. 64,7 Mio. 43,9%
2000 229,9 Mio. 82,5 Mio. 35,9%
2004 855,2 Mio. 111,4 Mio. 13,0%
2008 1.350,9 Mio. 255,6 Mio. 18,9%
2012 1.390,9 Mio. 238,1 Mio. 17,1%
2016 1.916,0 Mio. 397,3 Mio. 20,7%
2021* 1.882,5 Mio. 226,2 Mio. 12,0%

*Wegen der Coronavirus-Pandemie gab es an vielen Standorten der europaweit ausgetragenen EM Einschränkungen bei der Anzahl der zugelassenen Fans.

Viele Fans stehen sowieso - so wir hier englische Fans beim Achtelfinale gegen Deutschland 2021.

Viele Fans stehen sowieso - so wir hier englische Fans beim Achtelfinale gegen Deutschland 2021.

Fanbündnis kritisiert: "Es ist eine verpasste Chance"

Das europäische Fanbündnis Football Supporters Europe (FSE) teilte auf Anfrage der Sportschau mit, dass es die Entscheidung gegen Stehplätze bei der EM in Deutschland bedaure. "Es ist eine verpasste Chance - in einem Land, das seit Jahrzehnten bewiesen hat, dass Stehplätze bei Fußballspielen absolut sicher sind", kritisierte FSE. "Stehplätze sind ein integraler Bestandteil der Fußballkultur und den Fans sollte die Möglichkeit gegeben werden, zwischen Sitz- und Stehplätzen zu wählen. Wir werden weiterhin auf die Wiedereinführung in allen UEFA-Wettbewerben hinarbeiten."

Der entscheidende Punkt für das Fanbündnis: In Deutschland laufen zahllose Spiele von der Bundesliga bis in die unteren Ligen seit Jahrzehnten problemlos ab, ohne dass die Stehplätze ein Risiko darstellen. Mit Ausnahme von Berlin findet die EM in Stadien statt, die im Ligabetrieb Stehplätze anbieten, die Erfahrung wäre gegeben.

Kapazitäten der EM-Stadien laut UEFA
Stadion Kapazität EM Stehplätze Liga?
Berlin 71.000 nein
München 66.000 ja
Dortmund 62.000 ja
Stuttgart 51.000 ja
Gelsenkirchen 50.000 ja
Hamburg 49.000 ja
Frankfurt 47.000 ja
Düsseldorf 47.000 ja
Köln 43.000 ja
Leipzig 40.000 ja

Neuendorf: "Hätte mich über Stehplätze gefreut"

Der DFB, der 2018 den Zuschlag für die Ausrichtung des Turniers erhielt, organisiert die EM gemeinsam mit der UEFA. "Wir machen in Deutschland sehr gute Erfahrungen mit Stehplätzen und ich hätte mich gefreut, wenn dieses Angebot für Fans auch bei der EURO 2024 möglich gewesen wäre", sagte Präsident Bernd Neuendorf einer DFB-Mitteilung aus dem September 2023 zufolge.

"Gleichzeitig haben die Fans für künftige Turniere eine wichtige Diskussion angestoßen. Wir werden dieses Anliegen der Wiedereinführung seitens des DFB weiterhin in den Gesprächen mit der UEFA und deren Verantwortlichen transportieren", so Neuendorf. Für die EM in Deutschland - dem europäischen Kernland für Stehplätze - kommt das zu spät. Die Fans werden mit Sitzplätzen Vorlieb nehmen und teilweise sehr hohe Preise bezahlen müssen.

Ticketpreise EM 2024
Runde Kat. 4 Kat. 3 Kat. 2 Kat. 1
Eröffn. 50 195 400 600
Gruppe 30 60 150 200
AF 50 85 175 250
VF 60 100 200 300
HF 80 195 400 600
F 95 300 600 1.000

Katastrophen führten zum Verbot von Stehplätzen bei internationalen Spielen

Im Zuge der Katastrophen von Heysel in Belgien 1985 mit 39 getöteten Menschen und Hillsborough 1989 mit 97 Toten wurden die Stehplätze in der Politik als Teil der Ursache betrachtet, obwohl später bauliche Zustände der Stadien, die Organisation oder das Versagen von Polizei und Sicherheitskräften als Gründe ermittelt wurden.

In Hillsborough 1989 kamen 97 Menschen ums Leben, Ermittlungen ergaben eine Fehlorganisation.

In Hillsborough 1989 kamen 97 Menschen ums Leben, Ermittlungen ergaben eine Fehlorganisation.

In England verschwanden die Stehplätze aus den Stadien nach dem "Taylor Report" im britischen Parlament. Dieser Bericht eines Parlamentariers enthielt mit Blick auf Hillsborough als Hauptforderung die vollständige Beseitigung aller Stehplatzbereiche. Die UEFA übernahm 1998 dieses Prinzip für internationale Spiele.

Stehplatzkultur: In Deutschland verankert wie in kaum einem anderen Land

Auch in Deutschland wurde in den 1990er Jahren durch den DFB zwischenzeitlich die generelle Einführung von Sitzplätzen erwogen. Dank des Einsatzes aktiver Fangruppen hat Deutschland sich eine Stehplatzkultur erhalten, die woanders gestorben ist. Auch im Zuge des Neubaus und der Renovierung vieler Stadien rund um die WM 2006 blieben die Stehplätze erhalten.

Fast alle Stadien im deutschen Profifußball haben aktuell Stehplätze. Sie gelten vielen Fans heute als Ort der Begegnung, an dem man sich freier als auf Sitzplätzen bewegen kann. Heute wie früher sind Stehplätze der Ort, von dem die Stimmung im Stadion ausgeht. Niedrigere Preise als auf den Sitzplätzen ermöglichen zudem finanziell schwachen Menschen den Stadionbesuch. Das macht sich auch heute im Europapokal bemerkbar, Gästefans zahlen in Deutschland oft weniger als deutsche Fans im Ausland.

Neben den Spielen in München 2021 war Deutschland zuvor Gastgeber der WM 2006, die ausschließlich mit Sitzplätzen stattfand. Bei der EM 1988 und der WM 1974 gab es noch Stehplätze bei Turnieren in Deutschland. Letztmals Stehplätze bei einem großen Turnier im Männerfußball gab es bei der EM 1992 in Schweden. Der DFB richtete auch bei den Frauen mehrere Turniere aus. Bei der EM 2001 gab es zahlreiche Stehplätze bei den Spielen, bei der EM 1989 sowieso. Die WM 2011 wurde ausschließlich mit Sitzplätzen ausgetragen.

Stehende Fans aus Deutschland und Dänemark bei der EM 1988 in Gelsenkirchen.

Stehende Fans aus Deutschland und Dänemark bei der EM 1988 in Gelsenkirchen.

DFB wollte im März 2020 Stehplätze anbieten - dann kam Corona

Der DFB hatte in einem für März 2020 geplanten Test gegen Italien in Nürnberg erstmals bei einem Länderspiel wieder Stehplätze eingeplant, was als erster Vorstoß galt. Stehplätze gehörten in Deutschland fest zum Stadionerlebnis, sagte der damalige DFB-Präsident Fritz Keller im Vorfeld des angesetzten Spiels: "Das darf bei der Nationalmannschaft, die Anhänger aus allen Gruppen der Gesellschaft hat, nicht anders sein." Der Beginn der Coronavirus-Pandemie verhinderte aber die Austragung des Spiels, ein weiterer Versuch folgte nicht.