Eva-Maria Distel, die Vorsitzende Richterin im Sommermärchen-Prozess

Sommermärchen-Prozess 6,7 Millionen Euro wofür? Es geht um mehr als Steuerhinterziehung

Stand: 07.03.2024 16:25 Uhr

Im sogenannten Sommermärchen-Prozess überlagert die Frage nach dem Verwendungszweck der 6,7 Millionen Euro die nach der möglichen Steuerhinterziehung. Die Angeklagten deuten nur an, Zeugen könnten Licht ins Dunkel bringen, auch wenn sie keine Lust auf eine Aussage haben. Das Gericht will sie zwingen.

Der Schweizer Urs Linsi zahlte vor gut zwei Jahren 150.000 Euro an die deutsche Staatskasse. Für ihn war das Verfahren, in dem ihm Beihilfe zur schweren Steuerhinterziehung zur Last gelegt worden war, damit beendet. Er sei froh darüber, ließ er über einen Sprecher mitteilen. Selber wollte er nichts mehr sagen.

Linsi vermittelte zwischen DFB und FIFA

Linsi, 74 Jahre alt, wollte auch nichts in dem Verfahren vor dem Frankfurter Landgericht sagen, in dem drei ehemalige Spitzenfunktionäre des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) der schweren Steuerhinterziehung angeklagt sind, bei der Linsi geholfen haben soll. Der ehemalige Generalsekretär des Weltverbandes FIFA vermittelte damals zwischen DFB und FIFA, als es darum ging, ein Darlehen zurückzuzahlen, das der längst verstorbene Unternehmer Robert Louis-Dreyfus dem kürzlich verstorbenen Franz Beckenbauer gewährte.

Die ominöse Zahlung von 6,7 Millionen Euro diente nach Darstellung Beteiligter dazu, der FIFA umgerechnet zehn Millionen Schweizer Franken zuzuschustern, damit die dem Organisationskomitee (OK) der Weltmeisterschaft gar 250 Millionen Franken Zuschuss gewährt, um das Turnier 2006 zu finanzieren.

Diese Zusammenhänge werfen viele Fragen auf, und dabei ist noch nichtmal die dabei, warum die 6,7 Millionen Euro auf dem Konto einer Firma von Mohamed bin Hammam in dessen Heimat Katar landeten. Der war zwar damals Vizepräsident der für einen Zuschuss zuständigen Finanzkommission der FIFA, aber eben auch schon der Korruption verdächtig, wegen der er später lebenslang vom Weltverband gesperrt wurde.

Hoeneß am 15. April als Zeuge geladen

Linsi hätte sicher Licht ins Dunkel bringen können, das einen Schatten auf das sogenannte Sommermärchen wirft. Er wolle aber weder in Frankfurt als Zeuge aussagen noch in seiner Schweizer Heimat einvernommen werden, teilte Linsi der Großen Strafkammer in Frankfurt mit, die ihn als Zeuge geladen hatte.

Zur Begründung führte er nach Angaben der Vorsitzenden Richterin Eva-Marie Distler an, dass er keine Lust verspüre und außerdem gerade dabei sei, auf die Insel Madeira umzusiedeln. Ob Linsi wohl nicht wisse, dass Madeira zu Portugal und damit zur EU gehöre, fragte Distler süffisant, um anzukündigen: "Wer nicht kommen will, da werden wir schon Wege finden."

Ob Uli Hoeneß Lust hat, am 15. April in Frankfurt auszusagen, hat er noch nicht verlauten lassen. Es wurde allerdings auch erst am Donnerstag (07.03.2024) bekannt, dass er als Zeuge zu jenem Termin geladen ist. Der Ehrenpräsident des FC Bayern deutete mehrmals an, dass er wisse, wofür die Zahlung der 6,7 Millionen tatsächlich gedient habe. Im Podcast "11 Leben", in dem , der Hoeneß' Leben nachgezeichnet wird, hatte er gesagt: "Die WM ist nicht gekauft worden. Da bin ich ganz sicher."

Er sei bis zu dessen Tod sehr eng mit dem früheren Adidas-Chef Louis-Dreyfus befreundet gewesen. "Und ich weiß ziemlich genau, was damals los war - und es war keine Bestechlichkeit." Auch künftige Recherchen würden nichts ergeben, sagte Hoeneß. "Alle Beteiligten sind tot: Robert Schwan, Gerhard Mayer-Vorfelder, Robert-Louis Dreyfus." Auf Franz Beckenbauer angesprochen, der zum Zeitpunkt des Gesprächs noch lebte, sagte Hoeneß: "Der weiß gar nix."

Richterin will offenbar Geheimnis lüften

Richterin Distler gab am zweiten Verhandlungstag deutlich zu verstehen, dass sie großes Interesse daran hat, das Geheimnis um die 6,7 Millionen Euro zu lüften. Jene Zahlung vom 27. April 2005, die der DFB in der Steuererklärung 2006 als Betriebsausgabe und damit steuermildernd auswies. Ob das rechtens war, ist der Grund des Verfahrens. Es geht um Steuerhinterziehung in besonders schweren Fällen.

Die angeklagten Horst R. Schmidt (82 Jahre alt), Theo Zwanziger (78) und Wolfgang Niersbach (73) führten am Donnerstag jeweils ausführlich aus, warum sie unschuldig seien. "Den Vorwurf der Steuerhinterziehung weise ich entschieden zurück. Er ist falsch und ehrabschneidend", sagte Schmidt, dem das Verfahren sehr zusetze.

Zwanziger ging, wie schon am ersten Verhandlungstag am Montag (07.03.24), weiter. Er warf den Ermittlungsbehörden vor, "nicht fair" zu sein. "Sind wir eigentlich noch dicht? Das wird der Justiz in Hessen noch auf die Füße fallen", polterte der ehemalige Präsident des DFB.

"In der FIFA sind die Korrupten"

Theo Zwanziger wandte in seiner Einlassung wesentlich mehr Zeit für den Versuch auf, die Vorwürfe der Steuerhinterziehung zu entkräften. Er ging aber auch auf die Vorgeschichte der ominösen Zahlung und fraglichen Verbuchung ein. Dabei berichtete Zwanziger von einem Gespräch mit dem verstorbenen DFB-Präsidenten Egidius Braun. Die Chance, dass Deutschland den Zuschlag für die WM 2006 erhalte, sei 1998 gesunken, habe Braun ihm gesagt, weil damals Sepp Blatter die Wahl zum FIFA-Präsidenten gegen Lennart Johansson gewonnen habe.

Der Schweizer Blatter wollte Südafrika als Ausrichter, der Schwede Johansson galt als sichere Stimme, die bei Gleichheit doppelt gezählt hätte. Deutschland gewann letztlich mit 12:11, auch weil ein inzwischen ebenfalls verstorbenes Mitglied des damaligen Wahlgremiums kurz vor der Abstimmung unter dubiosen Umständen den Raum verließ.

"In der FIFA, da sind die Korrupten, nicht beim DFB", zitierte Zwanziger aus dem Gespräch mit Braun, ohne die Andeutung näher auszuführen. Schmidt berichtete, zusammen mit Zwanziger mal Louis-Dreyfus besucht zu haben, um die Angelegenheit zu klären. Der habe aber "nichts sagen" wollen: "Wir haben wie begossene Pudel die Heimfahrt angetreten."

Angeklagte lassen keine Rückfragen zu

Niersbach beteuerte, erst im Sommer 2015, wenige Monate vor der Veröffentlichung im Nachrichtenmagazin "Der Spiegel", die das Verfahren ins Rollen brachte, von der ominösen Zahlung erfahren zu haben. Weit früher habe er allerdings "vage Gerüchte über eine Gegenleistung" gehört, in dem Zusammenhang sei auch der Name Bin Hammam gefallen.

Weder Zwanziger noch Niersbach noch Schmidt ließen Rückfragen des Gerichts nach ihren Einlassungen zu. Dabei hätte sie bei jedem viele gehabt, sagte Richterin Distler und verwies auf die weiteren Verhandlungstage.

Der Prozess wird am 28. März fortgesetzt, aber noch ohne Zeugen. Wenn Hoeneß und vielleicht Linsi, vielleicht auch Günter Netzer als damaliger Strippenzieher bei einer Rechtvermarktungsfirma, vielleicht auch Fedor Radmann als Mitglied des WM-OK und engem Vertrauten von Beckenbauer geladen und aussagen würden, dürfte das Dunkel zumindest ein bisschen erhellt werden.