Giulia Gwinn ist zurück im Kreis des deutschen Frauen-Nationalteams

DFB-Frauen Das ersehnte Comeback der Giulia Gwinn

Stand: 21.09.2023 11:28 Uhr

Ihr Ausfall hatte bei der WM eine riesige Lücke gerissen: Mit der Rückkehr von Giulia Gwinn sind zum Auftakt der Nations League bei den deutschen Fußballerinnen viele Hoffnungen verbunden.

Laura Freigang und Sydney Lohmann schauten beim Aussteigen ein bisschen gequält, als der Charterflieger die deutsche Frauen-Nationalelf bei wolkenverhangenem Himmel und frischer Brise in Karup absetzte. In der dänischen Kleinstadt der Region Midtjylland fühlt es sich schon an wie im Herbst, während die deutschen Fußballerinnen zuvor in Frankfurt noch das Spätsommerwetter genossen hatten.

Doch vor dem Auftaktspiel der DFB-Frauen gegen Dänemark in Viborg (Freitag 18 Uhr/live ARD) in der Nations League sind die Zeiten ja ohnehin ein bisschen ungemütlicher geworden, nachdem die vermasselte WM mit dem historischen Aus in der Vorrunde wegen der erkrankten Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nicht umfänglich aufgearbeitet werden konnte.

Nur aus der Ferne beobachtete damals Giulia Gwinn das kollektive Versagen. Sie war zwar im Sommer nach einem Kreuzbandriss wieder ins Training eingestiegen, hatte aber kein Pflichtspiel für den FC Bayern bestritten. Ihre WM-Teilnahme wäre ein unverantwortliches Risiko gewesen, obwohl Voss-Tecklenburg bis zuletzt auf ihre Teilnahme gehofft hatte.

Fast ein Jahr ist Giulia Gwinns zweiter Kreuzbandriss jetzt her

Als sie Anfang Oktober vergangenen Jahres bei einem Training des Nationalteams vor dem Freundschaftsspiel gegen Frankreich (2:1) mit schmerzverzerrtem Gesicht liegen blieb, brach Voss-Tecklenburg die Einheit in Dresden sofort ab - und es flossen nicht nur bei der betroffenen Spielerin viele Tränen, die das zweite Mal diese schwere Knieverletzung erlitt.

Fast ein Jahr später will die 24-Jährige mithelfen, dass ein Stimmungsumschwung nach den vielen Zerwürfnissen in "Down Under" gelingt. "Ich bin stolz, wieder mit dem Adler auf der Brust im Training zu sein. Ich freu mich auf alles, was kommt", sagte sie am Dienstag bei der öffentlichen Einheit im Stadion am Brentanobad vor knapp 1000 Fans, als alle Protagonisten bei sanfter musikalischer Untermalung gute Laune verbreiteten. Auch Gwinn knipste für die vielen Selfies am Spielfeldrand ihr schönstes Lächeln an.

Gwinn ist der Liebling vieler Fans

Die 33-fache Nationalspielerin ist schließlich eines der bekanntesten Gesichter im deutschen Frauenfußball. Der Spielerin vom FC Bayern folgen auf Instagram inzwischen 578.000 Menschen. Zum Vergleich: Der Kanal der DFB-Frauen hat 400.000 Follower. Wohl auch deshalb verschickte der Verband gleich zu Beginn der Länderspielmaßnahme ein Bild der Münchner Rückkehrerinnen Linda Dallmann und Gwinn mit der Aufforderung, möglichst viele Kommentare zu posten.

Doch über allem schweben noch einige heikle Themen. Das Fehlen der erkrankten Bundestrainerin Voss-Tecklenburg wollte Gwinn aktuell selbst gar nicht weiter kommentieren. "Man konnte den Medien gut entnehmen, dass es ihr nicht so gut geht. Martina ist krank, das sollte man akzeptieren. Alles andere wird besprochen, wenn sie wieder da ist." Doch auch sie weiß, dass die Mission zum dritten Stern in" Down Under" krachend scheiterte, weil nie dieser Zusammenhalt wie noch bei der EM in England hergestellt werden konnte.

Es sei der Schlüssel, sagte die vom Bodensee stammende Fußballerin in einem Interview mit dem Sportinformationsdienst, "dass man die WM aufarbeitet, und es nicht einfach so weiterläuft, wie es war". Einerseits weiß natürlich auch sie von zwischenmenschlichen Verstimmungen aus der mangelhaften Kommunikation gegenüber einem Großteil des Kaders, andererseits gebietet es der Respekt vor der fehlenden Bundestrainerin, dieses Problem jetzt öffentlich nicht zu vertiefen.

Ihre Lücke war bei der WM nicht zu schließen

Fakt ist: Niemand fehlte in Australien so sehr wie diese spiel- und kampfstarke Rechtsverteidigerin, die defensiv wie offensiv besondere Qualitäten hat. Ihren Posten bekleidete in den WM-Gruppenspielen gegen Marokko (6:0), Kolumbien (1:2) und Südkorea (1:1) die zurückgezogene Stürmerin Svenja Huth, die allerdings dann vorne eine Lücke riss.

Nun bietet die Nations League eine schnelle Chance zur Wiedergutmachung, denn die Uefa vergibt auf diesem Weg erstmals die noch zwei freien Startplätze zum Fußballturnier bei den Olympischen Sommerspielen 2024 in Paris. Eine Olympia-Teilnahme - es wäre die erste, seit dem Gold-Coup unter Silvia Neid 2016 - sieht Gwinn als lohnenswertes Ziel an, gemeinsam die Enttäuschung des Sommers abzuschütteln.

Olympia würde der 24-Jährigen viel bedeuten

"Mir würde es viel bedeuten, bei Olympia dabei zu sein. Und am Ende vielleicht auch um eine Medaille zu spielen. Das ist unser Anspruch, es wird aber schwierig." Immerhin: Alle seien gewillt, die neuen Aufgaben positiv anzugehen, versicherte die Rückkehrerin: "Es ist als Sportlerin immer schön, wenn man nach einem Negativereignis relativ schnell die Chance hat, die Leute von etwas Besserem zu überzeugen."

Britta Carlson, in Abwesenheit von Voss-Tecklenburg von der Co- zur Cheftrainerin aufgerückt, sehnt die Rückkehr "einer wichtigen Persönlichkeit und Spielerin" herbei. "Ich glaube, dass Giulia vielleicht noch Zeit braucht, aber sie hat gezeigt, dass es nicht mehr lange dauert, bis sie die Alte ist", erklärte die in die Verantwortung gerückte Trainerin. Als Ersatz rechts hinten in der Viererkette kämen laut Carlson ansonsten Sophia Kleinherne (Eintracht Frankfurt) und Sarai Linder (TSG Hoffenheim) infrage.

Gwinn ist sicherlich noch nicht bereit für 90 Minuten, aber sie könnte dem Team wieder Stabilität geben: Sie würde gegen den WM-Achtelfinalisten Dänemark auf ihre neue Vereinskollegin Pernille Harder treffen, die gerade zum FC Bayern gewechselt ist.

Viel Respekt vor Pernille Harder

"Dass sie eine herausragende Spielerin ist, sehe ich tagtäglich im Training. Es wird wichtig sein, unsere Tugenden auf den Platz zu bringen. Wir müssen wieder ein Selbstverständnis entwickeln." Helfen könnte die Erinnerung an den Auftaktsieg bei der EM vor einem Jahr, als der Vize-Europameister die Däninnen mit 4:0 dominierte.

Damals spielte insbesondere Gwinn ein herausragendes Turnier, die laufstärkste Akteurin stand im von der Uefa nominierten "Team des Turniers". Die Folgen ihres ersten Kreuzbandrisses 2020 waren ihr damals gar nicht mehr anzusehen. "Aus der ersten Verletzung bin ich gestärkt zurückgekommen, das gibt mir ein gutes Gefühl und Sicherheit, dass ich es auch beim zweiten Male schaffen kann", sagt sie jetzt. "Ich habe volles Vertrauen in meinen Körper, und das ist die wichtigste Basis." Vielleicht sogar für bessere Zeiten bei der deutschen Frauen-Nationalmannschaft.