Foto-Montage: Giulia Gwinn (l.) und Lea Schüller (2.v.l.) von der deutschen Nationalmannschaft

Schlaues deutsches EM-Team Mit Köpfchen - und mit dem Kopf durch die Wand

Stand: 21.07.2022 07:41 Uhr

In der deutschen Mannschaft stehen viele Studentinnen. Ihre Köpfe benutzen sie sogar während der Europameisterschaft in England zum Lernen, aber auch zum Toremachen. Fünfmal traf das Team um Kapitänin Alexandra Popp schon per Kopf.

Von Florian Neuhauss (London)

Die Worte sind längst legendär: "Salopp gesprochen, verblöde ich seit zehn Jahren, halte mich aber über Wasser, weil ich ganz gut kicken kann." Nils Petersen vom SC Freiburg brach damit vor fünf Jahren eine Debatte los über vermeintlich "dumme" Fußballer. Er selbst habe nichts gelernt, keine Ausbildung gemacht und die Zuschauer in Freiburg sind "insgesamt wohl intellektueller und schlauer als ich".

Wir haben eine smarte Mannschaft. Viele beschäftigen sich abseits des Sports noch mit der Birne.
Marina Hegering

Solche Sätze würde es von der Frauen-Nationalmannschaft nicht geben. Einerseits sind die Spielerinnen dazu gezwungen, früh an die Zeit nach der Karriere zu denken, weil sie schlicht viel weniger Geld verdienen als die Männer. Deutschlands Nummer eins Merle Frohms betonte aber auch: "Es tut mir ganz gut, mich auch mit anderen Themen zu beschäftigen und auf andere Gedanken zu kommen." Sie brauche das Gefühl, auch etwas anderes zu können, als Fußball zu spielen.

Und so studiert die Torhüterin, die nach der EM wieder für Doublesieger VfL Wolfsburg zwischen den Pfosten stehen wird, nebenbei BWL - Lernen während der Saison und Nationalmannschaftsreisen inklusive. Aktuelles Thema einer Hausarbeit: Verändertes Rollenverständnis der Frau - Konsequenzen für die Wirtschaft. Es geht um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Gold bei Universiade wäre Team wohl sicher

Frohms ist da in sehr guter Gesellschaft. Neuropsychologie, Sportwissenschaften, Wirtschaftsmathematik, Sportmarketing und Sportjournalismus, Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftspsychologie, Sport und Angewandte Sportwissenschaften, Medienmanagement und Sportmanagement - die Liste der Studienfächer der deutschen Nationalspielerinnen ließe sich schier endlos fortsetzen.

"Wir haben schon eine smarte Mannschaft", stellte Routinier Marina Hegering fest. "Viele beschäftigen sich abseits des Sports noch mit der Birne." Bei der Universiade, den Sport-Weltspielen der Studierenden, würde diese Mannschaft höchstwahrscheinlich Gold im Fußball gewinnen. "Wir haben unfassbar viele Spielerinnen, die Köpfchen haben", sagte Kapitänin Alexandra Popp, die selbst zur großen Gruppe gehörte, die Anfang des Jahres ihre Trainerinnenlizenz B+ gemacht hat.

Doktorandin der Neuropsychologie und Abi-Schnitt von 0,7

Als Schlauste im Team nannten Tabea Waßmuth, die selbst wohlgemerkt gerade für ihre Doktorarbeit im Fachbereich Neuropsychologie gerade mit Patienten nach Schlaganfall arbeitet, und Jule Brand ihre Wolfsburger Teamkollegin Lena Lattwein. Die 22-Jährige, die ihr Abi mit 0,7 gemacht hat (900 von 900 möglichen Punkte), studiert Wirtschaftsmathematik, hat ihren Bachelor schon in der Tasche und macht nun ihren Master. Berufsziel: Controllerin.

Es war für mich nie anstrengend, Fußball und Schule zu kombinieren. Es war immer mehr ein Ausgleich als eine Pflicht, beides zu tun.
Lena Lattwein

"Ich habe eine Affinität für Zahlen und mag einfach Herausforderungen für den Kopf", erklärte Lattwein, die in allen drei EM-Spielen auf dem Platz stand und auch schon ein Tor erzielt hat. Das Thema Abischnitt ist für sie mittlerweile "ein leidiges". Sie sei immer gern in die Schule gegangen und "es war für mich auch nie anstrengend, Fußball und Schule zu kombinieren. Es war für mich immer mehr Ausgleich als Pflicht, beides zu tun."

Schlaue Köpfe mit feinen Antennen

Wie für Frohms ist es auch Giulia Gwinn während der EM wichtig, dass ihr Studium "nicht zu kurz kommt". Ihre Sportmanagement-Unterlagen hat sie dabei. "Man steckt manchmal in so einer Fußball-Blase, dass es wichtig ist, auch was für den Kopf zu machen", befand die 23-Jährige, die "immerhin" eine Eins vor dem Komma beim Abischnitt hatte.

Die schlauen Köpfe bringen nebenbei noch andere Vorzüge mit sich. "Wir haben eine gute Menschlichkeit in der Mannschaft, was ich dann auch ein bisschen mit Intelligenz verbinde", erklärte Linda Dallmann. "Die Startelf guckt nicht nur auf sich, sondern hat auch ein Auge für die anderen." Und Frohms fügte hinzu: "Es ist ein super angenehmes Arbeiten und Miteinander. Jede möchte sich einbringen und hinterfragt so ein bisschen das Spiel. Alle denken auch selber noch mal drüber nach: Woran könnten wir feilen, was würde uns guttun?"

Die deutsche Torhüterin Merle Frohms wärmt sich auf vor dem Spiel.

Merle Frohms hat bisher bei der Europameisterschaft noch kein Gegentor kassiert.

Die Köpfe sind auch zum Toremachen gut

Und dass sie ihre Köpfe auch für andere Dinge benutzen können, haben Popp und Co. ebenfalls schon bewiesen. Fünf ihrer neun Treffer in der Vorrunde machten die Deutschen mit dem Kopf. "Wir brauchen uns keine Sorgen um unsere Kopfballstärke zu machen", sagte Hegering.

Es geht eben mit Köpfchen, aber auch mit dem Kopf. "Beides vorhanden, würde ich sagen", so Frohms, die lachend meinte: "Die einen, die es eher ein bisschen strategischer angehen, und die anderen, die dann mit dem Kopf durch die Wand wollen."

Lattwein: "Nicht eindimensional auf Fußball fokussiert"

"Es sind durchweg sehr bodenständige, bescheidene, intelligente Mädels, mit denen man sich auch über Themen fern vom Fußball unterhalten kann - Familie, Studium oder Zukunftsgedanken, Deep-Talks und Philosophie", betonte Lattwein. "Das macht uns aus. Wir sind nicht nur eindimensional auf Fußball fokussiert."

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:15 Uhr