Riem Hussein, Fabienne Michel, Katrin Rafalski, Karoline Wacker, Franziska Wildfeuer

Interview mit Christine Baitinger "Wir haben Top-Schiedsrichterinnen in Deutschland"

Stand: 20.10.2023 11:13 Uhr

In der Bundesliga der Frauen gab es in den vergangenen Wochen einige Fehlentscheidungen und Diskussionen über eine Einführung des VAR - die aus Kostengründen aber nicht geplant ist. Was ist auch ohne möglich und wie sehen die Bedingungen der Bundesliga-Schiedsrichterinnen aus? Ein Interview mit Christine Baitinger, Sportliche Leiterin der Schiedsrichterinnen beim DFB.

Sportschau: Frau Baitinger, Sie sind seit Anfang des Jahres Sportliche Leiterin der Schiedsrichterinnen. Was sind Ihre ersten Erkenntnisse?

Christine Baitinger: Ich habe das Amt vorher im Schiedsrichterausschuss schon ein Stück weit auf ehrenamtlicher Basis begleitet. Insofern war für mich nicht alles neu. Der Frauenfußball entwickelt sich rasant. Da müssen die Schiedsrichterinnen natürlich mithalten können. Zu meinen Aufgaben gehört, ihnen die entsprechenden Möglichkeiten zu schaffen.

Wie beurteilen Sie den aktuellen Leistungsstand in der Bundesliga der Frauen. Bei der WM 2023 stand keine deutsche Schiedsrichterin auf dem Rasen?

Baitinger: Wir hatten mit Riem Hussein eine Schiedsrichterin im WM-Kader, doch dann war sie verletzt. Wäre Riem fit gewesen, hätte die Nominierung wahrscheinlich anders ausgesehen. Aber das ist wie bei Spielerinnen auch: Wenn ich verletzungsbedingt monatelang nicht zur Verfügung stehe, ist eine Nominierung schwierig.

Insgesamt sind wir sehr gut aufgestellt. Wir haben Top-Schiedsrichterinnen, auch junge. Dazu haben wir ein solides Mittelfeld, das souverän die Bundesliga-Spiele leiten kann, gefolgt von jungen Schiedsrichterinnen, die wir nach und nach an die nächsten Anforderungen heranführen.

Wie sieht denn für die Schiedsrichterinnen eine typische Vorbereitung auf ein Bundesliga-Wochenende aus?

Baitinger: Sie beschäftigen sich mit der körperlichen Vorbereitung. Aber auch mit ihrem Beruf und der Familie, das muss ja alles organisiert werden. Wir haben auch Mütter dabei. Da muss man natürlich schauen: wo ist denn mein Kind, wenn ich unterwegs bin?

Dann gibt es unsere Videoplattform, über die sie sich über die Mannschaften und das Spiel informieren können. Um was geht es in dieser Partie? Wer sind die Schlüsselspielerinnen? Was war vielleicht in den Spielen davor? Vor wie vielen Zuschauern spiele ich?

Und im Nachgang fahren sie mit einem hoffentlich guten Gefühl nach Hause und arbeiten das Spiel nach. Es ist auch immer ein Beobachter im Stadion, der die Leistungen der Schiedsrichterinnen beurteilt. Auch mit diesem wird analysiert und dann mit dem Coach gesprochen, so dass man den weiteren Weg und Verbesserungsmöglichkeiten abstimmen kann.

Zuletzt gab es Diskussionen über den VAR, den es in der Bundesliga der Frauen noch nicht gibt. Was gibt es denn außerdem für Möglichkeiten, die Bedingungen für die Schiedsrichterinnen in der Liga zu verbessern?

Baitinger: Wir machen Lehrgänge, Stützpunkte, auch ganz intensiv Videoanalyse. Und wir haben zu dieser Saison zudem ein neues Video-Analysetool bekommen, in dem die Spiele aufgearbeitet werden. Was war gut, was nicht, was können sie beim nächsten Mal besser machen: durch eine andere Positionierung oder vielleicht eine andere Zusammenarbeit mit der Assistentin? Die Schiedsrichterinnen haben auch einen Fitnesscoach und einen Trainingsplan, um körperlich fit zu sein. Bei den Lehrgängen ziehen wir zudem Mentaltrainer hinzu.

Alles übrigens parallel zu einer oft 40-Stunden-Woche der Aktiven. Wir wissen, dass wir sehr viel von ihnen verlangen. Genau das ist auch eine meiner Aufgaben für die Zukunft: den Schiedsrichterinnen finanziell einen Freiraum zu schaffen, damit sie sich noch intensiver mit den Spielen auseinandersetzen und beruflich etwas kürzertreten können. Da muss man die Entwicklung im Frauenfußball weiter mitberücksichtigen.

Haben die Frauen einen schwierigeren Job als die männlichen Kollegen?

Baitinger: Es ist mit Sicherheit ein schwieriger Job, weil sie den Spagat zwischen Beruf und Familie schaffen müssen. Außerdem ist er sehr zeitintensiv. Und sie haben keinen Videoassistenten, der sie notfalls vor einer deutlichen Fehlentscheidung rettet.

Für die Vereine hängt viel daran, ob sie absteigen oder nicht, ob sie in die Champions League kommen oder nicht. Die Verantwortung der Schiedsrichterin, unter Umständen mit einer Fehlentscheidung Einfluss darauf zu nehmen, ist entsprechend groß.

Es ist noch nicht sehr lange so, dass jedes Spiel live übertragen wird. Inwieweit erhöht das den Druck, wenn man weiß, dass viele Menschen zuschauen und Entscheidungen noch lange diskutiert werden?

Baitinger: Der Druck ist definitiv deutlich größer, wenn man weiß, dass es im Fernsehen kommt. Es wird vielleicht in der Presse thematisiert, auch die Vereine können es noch mal anschauen. Und ob ich ein Spiel vor 1.000 oder 38.000 Zuschauern pfeife, macht auch einen Unterschied.

Da muss ich aber mal eine Lanze für unsere Schiedsrichterinnen brechen: Wir haben doch viele Naturtalente, die da einlaufen, das Ganze mit Anpfiff ausblenden und dann einfach ihren Job machen.

Die Schiedsrichterinnen haben nun eine größere Bühne. Denken Sie, dass das helfen könnte, mehr Nachwuchs für die Zukunft zu finden?

Baitinger: Es hilft uns auf jeden Fall, wenn der Frauenfußball sichtbar ist, umso mehr Schiedsrichterinnen können wir ansprechen und für unsere Tätigkeit begeistern.

Sie selbst haben auch lange gepfiffen, auch bei großen internationalen Turnieren wie der WM 2007 oder den Olympischen Spielen 2008. Wie hat sich das Schiedsrichterinnen-Dasein seither verändert?

Christine Baitinger: Auch damals war es für uns schon ein großer Zeitaufwand, speziell rund um solche Turniere. Auch ich musste es mit Familie und Beruf vereinbaren können. Aber die Entwicklung des Frauenfußballs ist natürlich schon spürbar, und die Schiedsrichterinnen müssen noch mehr leisten, als ich damals.

Auf und neben dem Platz sind die Anforderungen natürlich andere geworden. Allein durch die Tatsache, dass Frauenfußball in den Medien viel präsenter ist. Auch 2007 war ein Champions-League-Finale natürlich eine Hausnummer, aber mittlerweile hat es eine noch höhere Bedeutung.

Jetzt gab es ja in dieser Saison einige größere Fehlentscheidungen, die viel diskutiert wurden. Wie zufrieden sind Sie mit dem Saisonverlauf?

Baitinger: Wir hatten einige Fehlentscheidungen, das ist richtig. Jeder einzelne Fehler ärgert die jeweilige Schiedsrichterin und uns, aber die arbeiten wir auf: Und blicken dann nach vorne. Insgesamt muss ich sagen, es waren einzelne Entscheidungen. Ansonsten sind die Spiele weitgehend geräuschlos über die Bühne gegangen. Die Schiedsrichterinnen haben gute, unauffällige Leistungen geboten und so sind wir mit dem Saisonstart eigentlich zufrieden.