Eine Spielszene zwischen Schweden und USA im Rectangular Stadium in Melbourne.
analyse

WM ohne "Sporthauptstadt der Welt" Warum für Melbourne nach den Achtelfinals Schluss ist

Stand: 08.08.2023 15:01 Uhr

Mit dem Achtelfinale zwischen Kolumbien und Jamaika ist für Melbourne die WM gelaufen. Das entspricht eigentlich nicht dem Selbstverständnis der Menschen in "Melbs", die überaus sportbegeistert sind. Der Grund für das Aus ist typisch australisch.

Von Florian Neuhauss, Melbourne

Der Mann im feinen Anzug stellt sich schnell in die Schlange vor dem FIFA-Fanartikel-Container. Als er dran ist, sagt er nur: "Zwei US-Schals, bitte." Er bezahlt und eilt zu seiner Begleiterin im schicken Kostüm, wirft ihr einen der dunkelblauen Schals mit der Aufschrift "USA" zu und hängt sich den zweiten um den Hals. "Jetzt können wir reingehen", sagt der Mittvierziger und lacht. Willkommen in Melbourne - der selbsternannten Sporthauptstadt der Welt.

Wie beim WM-Achtelfinale zwischen Schweden und den USA (5:4 nach Elfmeterschießen) haben die Zuschauenden in der Hauptstadt des Bundesstaates Victoria auch in den übrigen Spielen vollen Einsatz für das größte Sportereignis Down Under seit den Olympischen Spielen vor 23 Jahren gezeigt. Ob beim Spiel Australien - Kanada oder Deutschland - Marokko. Bei den insgesamt sechs Spielen (vier in der Vor- und zwei in der ersten K.o.-Runde) waren im Rectangular Stadium immer deutlich mehr als 20.000 Fans.

Am Montag darauf angesprochen, ob das Stadion wohl auch beim zweiten Achtelfinale Kolumbien - Jamaika tags darauf voll würde, musste der Volunteer, der alle Spiele verfolgt hat, nicht lange überlegen. "Natürlich, Melbourne liebt Sport", sagte der Mitt-Sechziger und schaute nachsichtig. Woher sollte der Typ aus irgendeinem fernen Land das auch wissen.

Melbourne ist das Zuhause der "Matildas"

Frauenfußball ist in Melbourne wirklich auf dem Vormarsch. Auf dem Campus der La Trobe University ist das "National Centre of Excellence" für aufstrebende Fußballerinnen entstanden. Dieser Teil des rund 70 Millionen Euro teuren Sportparks der Uni soll die neue Heimat der "Matildas", wie das Frauen-Nationalteam gerufen wird, werden.

Ich wäre auf jeden Fall zu weiteren Spielen in Melbourne gegangen. Aber es würde bestimmt keine Tickets mehr geben. Ich habe sogar schon in Sydney geschaut - keine Chance.
Fußball-Fan Sandra aus Melbourne

Auch die WM-Generalprobe zwischen Australien und Frankreich fand in "Melbs" statt. "Es ist eine unglaubliche Gelegenheit für die australischen und viktorianischen Fans, kurz vor der WM schon einmal die Atmosphäre der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft in vollen Zügen zu erleben", hatte Präsident James Johnson von Australia Football gesagt. Und beim umjubelten 1:0-Erfolg der "Matildas" war das Marvel Stadium mit 50.629 Zuschauenden rappelvoll.

Harter Schlag im Wettstreit mit Sydney

So weit, so gut. Aber: Mit dem Spiel Kolumbien - Jamaika ist die WM in Melbourne bereits Geschichte. Die restlichen Spiele auf australischem Boden finden in Sydney und Brisbane statt. Ein harter Schlag für die sportbegeisterten Menschen in Victoria, die im ewigen Wichtigkeitswettstreit mit Sydney stehen.

Schon als Australien eine Hauptstadt suchte, konnten sich die beiden Großstädte nicht einigen - sodass mit Canberra Anfang des 20. Jahrhunderts eine Kompromisslösung gewählt wurde. Als das US-Team im Vorfeld des Achtelfinals bei Social Media unter einem Bild vom Training bei Flutlicht schrieb, "under the lights of Melby" - trat es damit einen Shitstorm los. "Melby" ist eine Verniedlichungsform, die gern aus Sydney kommt, um Melbourne kleinzumachen.

Während in Sydney die Spiele wegen des großen Zuschauerzuspruchs vom Sydney Football Stadium teilweise ins fast doppelt so große Stadium Australia verlegt wurden, schaut Melbourne in die Röhre.

"Australian Football ist hier das Ding"

Das hat sich die Stadt allerdings selbst zuzuschreiben, beziehungsweise ihrer Begeisterung für Australian Rules Football, der seine Wiege in Victoria hat. Dabei handelt es sich um eine Mischung aus Rugby, Football und Fußball. Die Einheimischen, die liebevoll nur von "Footy" sprechen, sind ganz verrückt danach.

Gleich neun Clubs der Ersten Liga (AFL) kommen aus Melbourne - von insgesamt 18. Und die Liga läuft während der Frauenfußball-WM unbeirrt weiter. Auch an den Spieltagen der Weltmeisterschaft finden Ligaspiele statt - beim Spiel der Saints gegen Carlton am Tag des Duells USA - Schweden waren zum Beispiel knapp 43.000 Zuschauende im Marvel Stadium dabei.

Im Melbourne Cricket Ground (MCG) mit seinen über 100.000 Plätzen sind am Wochenende gleich zwei Spiele angesetzt. "Australien Football ist hier das Ding", sagt der Australian-Football-Fan Adam, der aber auch dem "Soccer" bei einem der WM-Spiele mal eine Chance gegeben hat.

Die Betreiber der Arenen hätten für die Weltmeisterschaft insgesamt für rund zwei Monate den sonstigen (Spiel-)Betrieb unterbrechen müssen. Und dazu waren sie nicht bereit.

FIFA, Fußball-Verband und Betreiber finden nicht zusammen

Die FIFA verlangt ab zwei Wochen vor den Spielen uneingeschränkten Zugang zu den Stadien, erklärt Sprecher Richard van Poortvliet vom Weltverband im Gespräch mit der Sportschau. Dabei gehe es einerseits um technische Fragen, wie die Vorbereitung für die TV-Übertragungen, und das Herrichten des Stadions. "Aber wenn auf dem Platz auch noch AFL-Spiele ausgetragen würden, wäre der Rasen einfach nicht mehr adäquat", sagt van Poortvliet. "Das können wir den Spielerinnen einfach nicht zumuten."

Es ist eine Schande. Vor allem, weil ich glaube, dass wir Fußball-Fans sogar den MCG vollbekommen hätten.
Fußball-Fan Hugh aus Melbourne

Mit knapp 28.000 Fans ist das Rectangular Stadium ausverkauft. Der Melbourne Cricket Ground (MCG) wäre mit seinen über 100.000 Plätzen für die WM wohl ohnehin zu groß gewesen. "Zumal sich so ein Stadion einfach leer anfühlt, wenn vielleicht 15.000 Zuschauer da sind", gibt der FIFA-Sprecher zu bedenken. Aber das Marvel-Stadium, in dem die WM-Generalprobe stattfand, wäre eigentlich ideal gewesen.

Hätte das gut 50.000 Fans Platz bietende Stadion zur Verfügung gestanden, hätte mit Sicherheit noch mindestens ein weiteres Spiel in Melbourne stattgefunden. Darüber entschieden hätte allerdings final der australische Fußball-Verband, erklärt van Poortvliet.

Auch Perth stellt nur das kleine Stadion zur Verfügung

Übrigens ist Melbourne ob seiner Bedeutung zwar ein besonderer, im Endeffekt aber kein Einzelfall. Auch das große Stadion in Perth (über 60.000 Plätze) steht nicht zur Verfügung. Und das Kleinere (knapp 20.000) wurde mit demselben klangvollen Namen Rectangular (zu deutsch "rechteckig") versehen, um den Sponsorennamen zu überschreiben. Währenddessen wurden in Sydney für die Weltmeisterschaft Spiele in der Rugby-Liga verschoben.

"Es ist eine Schande", findet Fußball-Fan Hugh. Der 26-Jährige ist davon überzeugt, dass Melbourne zur Frauen-WM auch das riesige MCG vollkommen hätte. Am liebsten zum Finale - mit australischer Beteiligung. Andere Fans haben sich schon nach Alternativen umgeschaut: "Ich habe sogar schon nach Tickets in Sydney geschaut - keine Chance", sagt die traurige Sandra.

Heavy Metal und Golf statt Frauenfußball

Im Marvel Stadium finden in diesem Jahr allerdings doch noch andere Veranstaltungen als Australian Football statt. Im Oktober tritt Paul McCartney auf, es folgt ein großes Heavy-Metal- und Hardrock-Konzert, bevor beim Australian Grand Prix im World Supercross die Motorräder durch die Luft fliegen. Und sportlich wird es auch noch mal: Im September, wenn die AFL "nur noch" ihre Finalespiele austrägt, können sich Interessierte zum Golfen anmelden. Dann wird das Stadion zur Driving Range.

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau FIFA Frauen WM | 02.08.2023 | 08:35 Uhr