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50+1 vor dem Kollaps? Kartellamt stellt "objektive Notwendigkeit" für sportlichen Wettbewerb infrage

Stand: 13.06.2024 13:34 Uhr

Die neue Bewertung des Bundeskartellamts zur 50+1-Regel setzt die Verbände weiter unter Druck. DFL und DFB sind in der Pflicht nachzuweisen, warum die Regel für den Fußball überhaupt sinnvoll ist. Ansonsten könnte deren Ende drohen.

Der Druck auf die 50+1-Regel im deutschen Profifußball wird stärker, seitdem das Bundeskartellamt die Bewertung der Regel neu aufrollt. Der Sportschau liegt ein 18-seitiges Schreiben der obersten Wettbewerbshüter an die Verfahrensbeteiligten vor. Darin heißt es, dass "eine objektive Notwendigkeit der 50+1-Regel für die Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs nicht zu erkennen" sei.

Diese Einschätzung ist brisant, denn bisher stand die Regel selbst in dem seit 2018 laufenden Verfahren nicht im Fokus, sondern nur die Ausnahmeregelung für die von Konzernen geförderten Klubs wie Bayer 04 Leverkusen und den VfL Wolfsburg.

50+1-Regel

Die 50+1-Regel besagt, dass die Mehrheit der Stimmanteile einer ausgegliederten Profiabteilung eines Vereins immer in den Händen des von Mitgliedern bestimmten Muttervereins liegen muss. Der Einfluss von Investoren wird somit begrenzt. Eine Ausnahmeregelung gilt für Bayer 04 Leverkusen und den VfL Wolfsburg. Begründet wurden diese Ausnahmen mit einer „ununterbrochen und erheblichen Förderung über mindestens 20 Jahre".

Frage nach dem Mehrwert von 50+1

Doch von diesen Ausnahmen und der Frage, ob diese den sportlichen Wettbewerb verzerren, ist nun gar nicht mehr die Rede. Stattdessen schreibt das Bundeskartellamt, dass hinsichtlich der Stabilität des sportlichen Wettbewerbs nicht erkennbar sei, welchen Mehrwert die 50+1-Regel neben dem Lizenzierungsverfahren der DFL leiste. Aus Sicht der Wettbewerbshüter ist es nämlich schon per se eine Aufgabe der Sportverbände eine solche Gleichbehandlung der Klubs sicherzustellen - auch ohne Extraregel. 

Den Befürwortern der 50+1-Regel nimmt das ein wichtiges Argument. "Wenn so ein wichtiger Aspekt wie die Ausgeglichenheit des sportlichen Wettbewerbs plötzlich unter den Tisch fällt, haben die Befürworter der Regel, zum Beispiel die DFL, nur noch eine statt bisher zwei Patronen im Magazin, um die Sinnhaftigkeit der Regel zu belegen", sagt Christian Müller, der ehemalige Geschäftsführer für Lizenzierung und Finanzen bei der Deutschen Fußball Liga (DFL), der das Schreiben des Kartellamts insgesamt für schlüssig hält.

DFL und DFB geben sich gelassen

Die Deutsche Fußball Liga (DFL) beurteilt das Schreiben des Bundeskartellamts dennoch positiv und verwest dabei auch auf die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) zur Super League. Daraus lässt sich aus Sicht der DFL schließen, dass die 50+1-Regel kein unzulässiges Verbot sei, das den freien Wettbewerb einschränke. Das Ziel der Rechtssicherheit für 50+1 könne unter diesen Voraussetzungen also weiter erreicht werden.

Auch der Deutschen Fußball-Bund (DFB) sieht die Regel nicht am seidenen Faden hängen, "da es angesichts der übrigen Wertungen der Behörde nicht allein darauf ankomme". Christian Müller stuft die modifizierte Bewertung dagegen als gefährliche Entwicklung für den Bestand der 50+1-Regel ein. Als einziges Argument für die Anwendung von 50+1 könne nun nur noch der vereinsgeprägte Wettbewerb gelten.

Vereinsprägung rückt in den Mittelpunkt

Nach der aktuellen Einschätzung des Kartellamts ist die Anbindung an die Vereine für dieses Ziel objektiv notwendig. Damit stärkt die Behörde zwar das einzig verbliebene Argument für den Erhalt der 50+1-Regel im deutschen Profi-Fußball. Allerdings schicken die Wettbewerbshüter auch direkt ihre Einschränkung hinterher, dass die konkrete Ausgestaltung der Regel Defizite aufweise.

Dabei wird unter anderem auf geschlossene Mitgliedermodelle hingewiesen, die keine hinreichenden Partizipationsmöglichkeiten für breite Bevölkerungsschichten erlaubten. Das zielt offenbar auf das Modell Rasenballsport Leipzig ab. Denn dort kann man nur stimmberechtigtes Mitglied werden, sofern der Verein einen dafür selbst bestimmt. Alle anderen können lediglich Fördermitglieder ohne Stimmrecht werden. Aktuell sind bei RB Leipzig nur etwas mehr als 20 Personen stimmberechtigte Mitglieder.

Bestimmender Einfluss der Vereine gegeben?

Die Wettbewerbshüter sehen darüber hinaus auch Defizite bei der Frage, ob die Regel tatsächlich den bestimmenden Einfluss der eingetragenen Vereine auf die ausgegliederten Kapitalgesellschaften der Profis sicherstellt. Das Kartellamt weist in seinem Schreiben darauf hin, dass die Ausgestaltung des internen Verhältnisses zwischen Vereins- und Kapitalseite nicht unberücksichtigt bleiben könne.

Hier hat wohl der Fall Hannover 96 und das Abstimmungsverhalten des Geschäftsführers und Investors Martin Kind beim DFL-Investorenprozess für Zweifel gesorgt. Kind war vom Verein angewiesen worden, gegen den Einstieg eines Investors bei der DFL zu stimmen. Ob er sich an diese Weisung gehalten hat, ist allerdings unklar. Die Wahl war geheim und Kind hat sein Abstimmungsverhalten bislang nicht öffentlich gemacht.

"Regel konsequent durchsetzen"

Für Christian Müller beinhaltet das Kartellamts-Schreiben jedenfalls eine klare Handlungsanweisung an DFL und DFB, damit die Regel weiter Bestand haben kann. Seiner Einschätzung nach ist die Behörde bereit, 50+1 zu dulden: "Aber nur unter der Bedingung, dass DFB und DFL die Regel konsequent und gegen jeden, auch gegen die Großen, gleich durchsetzen. Falls nicht, droht der Verlust von 50+1."

Die DFL hat angekündigt, dem Kartellamt noch einmal aufzeigen, wie die Regel in der Praxis konsistent angewendet werde. Und auch der DFB betont, dass unabhängig vom Bundeskartellamt eine sachgerechte Ausgestaltung der Regel im ständigen Bemühen des Verbandes liege.