Starke Ambitionen: EM-Zweiter Lita Baehre will als nächstes den Weltrekordler Duplantis schlagen.

Frank Busemanns EM-Kolumne Schönwettersportler werden keine Helden

Stand: 21.08.2022 08:41 Uhr

Die Stabhochspringer hatten in München mit widrigen Umständen zu kämpfen. In der Herausforderung lag für den ARD-Leichtathletikexperten Frank Busemann aber auch eine Chance.

Von Frank Busemann

Der Himmel war grau, unaufhörlich prasselte der Regen hernieder. Hoffnung. Immer wieder Hoffnung. Aus dem Hintergrund spürte man die Sonne, die Sonne müsste kommen, so wie die letzten Tage auch. Sie kam aber nicht. Doch, am Nachmittag. Aber nicht am Abend. Wann würde ein Stabhochsprungwettkampf eigentlich abgebrochen werden? Wann ließe man ihn erst gar nicht beginnen? Die Antwort für Zuschauer erfreulich: eigentlich erst, wenn die Bahn zentimeterweise unter Wasser steht oder die Matte so vollgesogen wäre, dass ernsthafte Rückenverletzungen beim horizontalen Klatscher auf diese passieren könnten. Die Antwort für Athleten: Puh, das wird ekelig. Der Show des Mondo Duplantis und seiner Flugbegleiter stand also nichts im Wege.

Schwer können nicht alle

Sport bei schönem Wetter ist weitaus angenehmer, als in pladdernasser Umgebung mit Werkzeugen zu hantieren, die trockene Hände für festen Griff erfordern. Aber Schönwettersportler werden keine Helden und Warmduscher sind halt warme Duscher. Den Thrill schlechthin ermöglicht der Stabhochsprung im Regen. Das ist was für echte Adrenalinjunkies. Da trennt sich die Spreu vom Weizen. Das Magnesia vom Stab. Das Harz von der Hand. Das ist schwer. Und schwer können nicht alle. Deshalb ist die Hälfte schon mal weg. So rein mental. Die kommen auf den Platz und denken… Das ist der Fehler. Über das Wetter nachdenken. Warum eigentlich? Es ist nicht zu ändern und für alle gleich. Man kann das Ganze und man muss das Ganze ganz anders angehen. Plötzlich tun sich Chancen auf. Rahmenbedingungen akzeptieren und trotzdem die Freude auf seine Kernkompetenz ausleben.

Regen als Chance

Stabhochsprung und Regen vertragen sich nicht gut. Aber Bo Kanda Lita Baehre hatte da anderes im Sinn. Er wollte hoch springen. Mit dem Stab in der Hand. Bei Regen. Das war mal ein Plan. So leicht war das aber nicht. Doch irgendwann ließ der Regen auch nach. Es war nachher nur noch kalt. Brrrr, kalt. Mitten im Sommer. Noch so ein Ding zum denken. Lass es, es bringt nichts. Genau - ist für alle kalt. Kann man nutzen. Ist schon wieder eine Chance. Aber keine für Warmduscher.

Pokern und zocken

Die Chance hat der Stabhochspringer drei Mal pro Höhe. Oft nutzt er sie. Bo brauchte selten den dritten Versuch. Er sprang gestern recht eindrucksvoll eine Höhe nach der nächsten und bei 5,85 Meter fiel es sehr vielen Athleten sehr schwer, darüber zu springen. Bo Kanda Lita Baehre schaffte es. Geschmeidig und beeindruckend. Mondo Duplantis auch. Okay, ist klar, aber der Typ ist nicht der Maßstab. Der springt in einer anderen Liga. Als der Schwede die 5,90 Meter übersprang und Lita Baehre den ersten riss, ließ er die Latte auf 5,95 Meter legen. Warum eigentlich? Wollte er sich etwa mit dem Weltrekordler anlegen? Pokern und zocken. Klar. Warum nicht?! Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Außerdem steht seine Bestleistung schon bei 5,90 Meter. Warum soll er die nochmal springen? Es bringt nichts. Außer einem guten Gefühl. Leider klappten die 5,95 Meter nicht mehr.

Irgendwann Duplantis schlagen

Im Interview bei Claus Lufen sinnierte er ein wenig über seine Ansprüche: Klar freue er sich über Silber, aber der zweite sei schon der erste Verlierer. Und ja, irgendwann wolle er Duplantis schlagen. Dafür trainiere er. Wir sprachen mit dem Weltmeister von 2013 Raphael Holzdeppe darüber. Wir waren uns einig: In Amerika sagt ein Athlet genau solche Sätze und wird durch 25 von 20 Menschen darin bestärkt, genau dieses Ziel zu haben. Bei uns hat das ein leichtes Geschmäckle. Warum eigentlich? Dürfen wir keine großen Ziele haben? Wir müssen große Ziele haben. Und solang der Athlet daran glaubt, dass er es schafft, oder es ihm Auftrieb und Ansporn bringt, ist es okay. Mehr als okay. Wenn er nicht daran glaubt, dass er Duplantis schlagen kann, dann wird es so sein. Und dann ist er genauso weit, als wenn er es optimistisch versucht hat, es aber nicht geklappt hat.

Silber als Belohnung

Aber auch Duplantis muss erst einmal über 6 Meter springen. Nun gut, das macht er oft und nach Belieben. Schon über 50 Mal in seiner Karriere. Aber genau diese Höhe wird irgendwann bei Bo Kanda auch da stehen. Und wenn Mondo irgendwann schwächelt, dann steht er parat. Sonst tut es ein anderer. Und das muss ja nicht sein. Letztlich muss jeder Sportler das Mindset für sich ganz persönlich finden und dann wird man eines Tages auch mit der Silbermedaille bei den Europameisterschaften belohnt.

Das ist Frank Busemann

Geboren:
26. Februar 1975 (Recklinghausen)
Disziplinen:
Zehnkampf, Hürdensprint
Sportliche Erfolge:
Olympia-Silber 1996 (8.706 Punkte)
WM-Bronze 1997 (8.652 Punkte)
U23-Europameister 110 m Hürden 1997 (13,54 Sek.)
Juniorenweltmeister 110 m Hürden 1994 (13,47 Sek.)
Auszeichnungen:
Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis 2004
Sportler des Jahres 1996
Karriereende:
23. Juni 2003
Karriere nach der Karriere:
Vorträge/Seminare zum Thema Motivation
Buch-Autor
ARD-Leichtathletik-Experte
(Morgenmagazin, Das Erste, sportschau.de)