European-Championships-Bilanz
Bilanz

European Championships Ein neues Sommermärchen in München

Stand: 22.08.2022 10:08 Uhr

Nach eineinhalb Wochen European Championships 2022 steht fest: Deutschland kann noch Sportgroßveranstaltungen ausrichten, in München entwickelte sich ein Fest der Freude, das Sportler, Fans und Politik begeisterte. Zu einer möglichen Olympia-Bewerbung äußert sich Letztere trotz des Erfolges allerdings deutlich zurückhaltender als vor der Multi-EM.

Von Johannes Kirchmeier, München

Der Slalomlauf am Münchner Olympiaberg auf dem Weg zur Interviewzone der BMX-Fahrer erinnerte ein wenig an den an einem Strand viel weiter im Süden in dieser Jahreszeit. Da lagen Hunderte Menschen vor den Rampen der Sportler auf dem trockenen Grasboden, andere verteilten dicht dran großflächige Picknickdecken, brachten die ganze Familie samt etwas Hausrat mit und schnabulierten Tomaten oder schleckten ein Eis unter der strahlenden Sommersonne Münchens.

Zudem sorgten sie natürlich für die angemessene Jubelstimmung, während die Rad-Elite auf der Bühne vor ihnen mit spektakulären Tricks durch die Luft wirbelte. Tags darauf war es beim Klettern am Königsplatz nicht anders. Auch da standen die Menschen dicht an dicht, klatschten und sangen wie bei einem Musikfestival – ein Teil hatte auch wieder Decken dabei und setzte sich auf diese.

"EM der Picknickdecken" in München

Die European Championships 2022 in München könnten einmal als die "EM auf Picknickdecken" in die Sport-Geschichte eingehen, sie waren ganz und gar ein Fest für alle, ein Familienevent mitten in den bayerischen Sommerferien. Diesmal haben die Münchner und die Zugereisten daher eben nicht auf Balkonien oder am Gardasee Urlaub gemacht - sondern daheim im Olympiapark. Viele Menschen liefen in diesen eineinhalb Wochen mit einem breiten Grinsen über die Sportanlagen, die Stimmung steckte gegenseitig an.

"Es kommen Familien hier rein mit ihren kleinen Kindern. Ich habe Frauen Babys stillen und wickeln gesehen", erzählte Marion Schöne, Geschäftsführerin des Olympiaparks München, am Abschlusstag: "Ich habe gesagt: Wenn wir das noch länger machen, vielleicht werden hier dann auch noch Babys geboren." Sie lachte, weil auch sie ein zufriedenes Fazit zieht nach der Multi-EM in neun Sportarten.

Schöne: "Dieser Geist wird hier weiterleben"

Mehr als 1,2 Millionen Besucher sind bis zum Sonntag zu den Wettbewerben gekommen, bei einem Teil der Entscheidungen war der Eintritt frei - wie bei den BMX-, Triathlon- oder Mountainbike-Wettbewerben am Olympiaberg. Das hat Familien und Gruppen angezogen. "Ich glaube, es wird viel bleiben, nicht nur Erinnerungen an diese Zeit", sagte Schöne: "Wir haben wieder ein Sommermärchen geschafft nach 2006. Und dieser Geist wird hier weiterleben."

Selbst am verregneten Samstag, dem vorletzten Wettkampftag, schauten ja 9.000 Leute beim Biken am Berg zu, 200.000 guckten das Straßenradrennen durch Oberbayern bis zum Odeonsplatz sechs Tage zuvor. Das zeigte: Das Interesse ist da - und die Organisation stimmt. Deutschland kann noch Sportgroßveranstaltungen ausrichten.

Stimmungsvolle Beachvolleyball- und Kletter-Arenen am Königsplatz

Da konnte Schöne es auch verschmerzen, dass am Ende die angepeilte Marke von 450.000 verkauften Karten nicht erreicht werden konnte, es werden vermutlich 400.000 werden. Das Gros der Zuschauer war bei der Leichtathletik, ausverkauft waren dagegen wiederum vor allem die Entscheidungen im Beachvolleyball und Klettern in den kleineren, stimmungsvollen Arenen am Königsplatz, im Bahnrad an der Messe München und im Turnen in der Olympiahalle.

Das Sportfest wollte zudem Sport, Kultur und Musik verbinden. Das ist insofern gelungen, dass sich beim Wanda- oder Klassik-Konzert plötzlich alle Altersklassen tummelten, wenngleich noch nicht alle ganz text- oder rhythmussicher waren.

Gleich zur Eröffnungsfeier ist der Olympiapark voll

Am Eröffnungsabend trat der Rapper Marteria auf - und so voll wie da war es lange nicht. 55.000 Zuschauer tummelten sich im Park, alle kamen aber nicht in den Genuss des Konzerts, der Zugang zur Bühne am See wurde wegen Überfüllung gesperrt. Dafür bevölkerten die Gäste den Olympiaberg.

Diese Bilder nahmen auch die Sportler wahr. "Die Polizei hat es vielleicht nicht gefreut, weil sie absperren musste", sagte Turnerin Elisabeth Seitz, in München Europameisterin am Stufenbarren: "Uns hat es aber gefreut, weil wir gesehen haben: Hier sind die European Championships und die Leute kommen angestürmt."

Deutschland im Medaillenspiegel an der Spitze

Da war schon eine Feiermeute zu Gast und die Leute haben die Sportler mit ihrem Lächeln, ihrem in allen Arenen unentwegten Klatschen und Jubelrufen angesteckt. Bei den deutschen Athleten wurde es freilich oftmals am lautesten. "Die Stimmung beflügelt ungemein. Wie das Publikum hier Gas gibt, ist unglaublich", sagte etwa der Beachvolleyballer Clemens Wickler, der explizit auch für die Kletterer am Königsplatz mitsprechen wollte: "Ich glaube, bei allen Sportarten ist es so, dass München das richtig gut annimmt und die Sportler unterstützt."

Vermutlich hat diese Hilfe von den Rängen und das Highlight Heim-Europameisterschaft auch den Athleten einen Schub gegeben. Im Medaillenspiegel grüßt Team Deutschland von der Spitze. Die meisten Verbände ziehen daher zufriedene Bilanzen, einzig die eigentlich erfolgsverwöhnten Sportarten Rudern und Beachvolleyball haben aus deutscher Sicht einen schwachen Eindruck hinterlassen.

Turnerin Kim Bui beendet ihre Karriere - und wird zur Fernsehzuschauerin

Die Turnerin Kim Bui, die in München ihre Karriere beendete, fand es ebenfalls "sensationell, was hier auf die Beine gestellt worden ist. Ich habe mir mein Karriereende nicht schöner vorstellen können. Wir sind getragen worden von dieser Euphorie." Zur ersten Mannschafts-EM-Bronze überhaupt.

Auch nach ihrer Abreise sei daheim der Fernseher bis abends gelaufen. Das hier war nicht nur eine "normale" Heim-EM, das war ein Stück "Mini-Olympia", wie die Sportler so oft sagten. Ob dieser Analogie und der Stimmung weckte die Veranstaltung Erinnerungen an die Olympischen Sommerspiele 1972 in München, die letzten in Deutschland. Was eine Debatte um eine neuerliche Olympia-Bewerbung nach sieben gescheiterten Anläufen in Gang brachte.

München würde bei Olympia an Grenzen stoßen

In München selbst würde man damit allerdings an Grenzen stoßen, verriet Schöne. Die neun Sportarten bei den European Championships passten noch genau, Olympia bietet jedoch drei Mal mehr Sportarten und durch Teams wie im Fußball, Handball oder Hockey würden viel mehr Teilnehmer erwartet.

Ich weiß nicht, ob die Nummer Olympische Spiele noch ein Stück zu groß ist.
Karla Borger, Beachvolleyballerin

Olympia wäre um ein Vielfaches teurer

Zudem kostete die Veranstaltung 130 Millionen Euro, 100 Millionen Euro kamen von Stadt, Land und Bund. Olympia wäre um ein Vielfaches teurer, dazu kommt die Angst vor Gigantismus, Kommerz und Verträgen, die die finanziellen Risiken auf die Austragungsorte abwälzen. Nicht ohne Grund herrscht im Land deshalb eine allgemeine Skepsis dem IOC gegenüber, die man von der Stimmung bei den European Championships 2022 vermutlich trennen muss. Und wie München würde es auch anderen Großstädten noch an der Infrastruktur fehlen.

"Ich weiß nicht, ob die Nummer Olympische Spiele noch ein Stück zu groß ist", sagte daher auch die Athletensprecherin und Beachvolleyballerin Karla Borger. Laut Staatssekretär Mahmut Özdemir vom für Sport zuständigen Bundesinnenministerium gibt es dagegen einen Austausch mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), die Regierung sei offen für eine Bewerbung, Details nannte er am Sonntag nicht.

Nachhaltigkeit in München imponierte

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) befürwortet einen weiteren Anlauf. "Es wird eigentlich jetzt schon höchste Zeit, dass mal wieder Sommer- oder Winterspiele in Deutschland stattfinden." Bewerben könnte sich das Land aber ohnehin erst für Winter 2030 oder Sommer 2036. Angesichts der Kritik an anderen Ausrichtern angesichts ökologischer Sünden oder der Menschenrechtslage müsse Deutschland mit gutem Beispiel vorangehen, findet Herrmann.

In der Tat imponierte an der Multi-EM in München, dass anders als bei den immer gigantischeren und teureren Olympischen Spielen die alten Sportstätten wieder genutzt wurden. Die Picknickdecken lagen ja auf den vor etwas mehr als 50 Jahren angelegten Parkflächen. Und weil die Bäume nun so lange Zeit zum Wachsen hatten, wirkt der Park nun so, als sei er jetzt erst richtig fertiggestellt.

Medaillengewinner pflanzen Blumen

Alle Medaillengewinnerinnen und -gewinner bei den European Championships bekamen zudem neben ihrem Edelmetall auch eine Pflanze. Die ist Bienen- und Schmetterlings-freundlich, wird in den sogenannten "Champions-Garten" im Olympiapark eingepflanzt und soll dort Jahre bleiben.

Andererseits geht auch in Sachen Nachhaltigkeit noch mehr, wenn man bedenkt, dass die Zuseher ihren Senf im Olympiastadion aus einer eingeschweißten Packung dazugeben mussten.

Neben den Olympiapark-Gästen wurden die Championships auch zum TV-Event, in ganz Europa wurden sie geschaut. "Vielleicht haben wir es so ein bisschen geschafft, einen europäischen Geist zu wecken. Dass wir zeigen, für was wir stehen: für demokratische Werte und Weltoffenheit", hofft Schöne.

Weitere Sport-Events in Deutschland geplant

Das soll den Ton für weitere Großevents in der Republik vorgeben. Schließlich ist München 2022 - auch wenn in der nächsten Zeit keine Olympischen Spiele in Deutschland stattfinden - nur der Auftakt zu weiteren Sportgroßveranstaltungen in Deutschland.

Es folgen die Biathlon-WM 2023 in Oberhof, die Special Olympics in Berlin 2023, Handball- sowie Fußball-EM 2024 oder die Universiade 2025. Deren Veranstalter wissen nun, wo sie sich informieren müssen, wenn sie "Spiele für alle" ausrichten wollen.