Johannes Thingnes Bö freut sich bei der Zeileinfahrt über seinen Weltmeister-Titel in der Verfolgung
analyse

Vor dem Weltcup-Start Biathlon-Favoritencheck: Die Männer - wer kann Bö gefährden?

Stand: 21.11.2023 06:00 Uhr

Läuft Johannes Thingnes Bö in der am Wochenende beginnenden Saison ungefährdet zu neuen Rekorden und seinem fünften Weltcup-Gesamtsieg? Wer könnte Bö gefährlich werden? Wir haben den Favoritencheck gemacht - auch ein Deutscher ist dabei.

Der gejagte Überflieger: Johannes Thingnes Bö

Dieser Sommer verlief für den Biathlon-Dominator der vergangenen Jahre überhaupt nicht nach Plan – Johannes Thingnes Bö erlebte ein Missgeschick nach dem anderen. Der 30-Jährige stürzte mit Skirollern und knallte dabei gegen eine Wand, zog sich eine Augeninfektion zu, verletzte sich bei einem Trampolinsturz am Rücken – und wurde von einer Schlange gebissen. Wegen des Schlangenbisses musste Bö sogar in die Notaufnahme und scherzte später: "Hoffen wir, dass mir die Schlange die gleichen magischen Superkräfte verleiht wie Spiderman der Spinnenbiss."

Der Blick auf die letzten Ergebnisse vor dem am Wochenende beginnenden Weltcup verrät: Schlangenbiss und die ganzen anderen Missgeschicke haben den Norweger zumindest nicht schwächer gemacht. Beim traditionell letzten Test vor dem Weltcup Mitte November in Sjusjoen gewann Bö Sprint und Massenstart überlegen. Die Sjusjoen-Rennen zeigten Bö nicht nur in starker Form. Ein Blick auf das Material der in Sjusjoen anwesenden Norweger, Deutschen, Italiener oder Tschechen verriet auch: Die Norweger scheinen das beste Wachsrezept für das seit diesem Jahr geltende Verbot von Fluorwachsen zu haben.

Zudem scheint Bö im Sommer noch einmal verstärkt an seinem Schießen und vor allem der Schießgeschwindigkeit gearbeitet zu haben – das lassen einige Videos auf Instagram vermuten. Bö wird auch in dieser Saison der Gejagte sein. Und könnte in der ewigen Weltcup-Bestenliste weiter nach vorn rücken: Aktuell ist Bö nach Weltcup-Podestplätzen (133) noch Dritter hinter Ole Einar Björndalen (199) und Martin Fourcade (151). Knüpft Bö in der neuen Saison an den vergangenen Winter an, wo er bei 22 Einzel- oder Staffel-Starts 21 Mal auf dem Podest stand, gerät zumindest Fourcades zweiter Platz in Gefahr. Bei der WM im Februar in Nove Mesto könnte der 17-fache Weltmeister Bö seinen Landsmann Björndalen (20) bereits überholen.

Norge-Herausforderer: Tarjei Bö und Sturla Holm Laegreid

Die größte Gefahr für die Bö-Rekordjagd geht ausgerechnet vom eigenen Team aus. Den besten Eindruck bei der Generalprobe für den in dieser Woche beginnenden Weltcup in Östersund hinterließen dabei in Sjusjoen Bruder Tarjei Bö und Sturla Holm Laegreid. Der 35-jährige Tarjei scheint aktuell läuferisch mit Johannes Thingnes Bö auf einem Niveau zu sein. Laegreid, in den vergangenen beiden Saisons schon bester Schütze im Weltcup, hat in diesem Sommer noch einmal an seinem Schießen gearbeitet.

Stehend möchte er seine 85 Prozent Trefferquote aus dem vergangenen Jahr auf über 90 Prozent im kommenden Winter steigern und dabei noch schneller schießen. "Sturla hat sehr hart gearbeitet, um ein Super-Level zu erreichen", attestierte Norwegens Trainer Siegfried Mazet Laegreid auf "biathlonworld.com".

Benedikt Doll – Besser als Rang vier?

Biathlet Benedikt Doll lief auf den vierten Platz.

Biathlet Benedikt Doll lief auf den vierten Platz.

Wer kann aus dem internationalen Starterfeld vorn mitmischen? Kann ein Deutscher den Norwegern gefährlich werden? Im Sprint von Sjusjoen mischte Benedikt Doll zumindest vorn mit. Als Siebter war er einziger Nicht-Norweger in den Top 10. Doll geht mit neuem Lauftrainer, einer neuen Waffe und Unterstützung eines neuen Sportwissenschaftlers am Heim-Stützpunkt in die neue Saison – die vermutlich die letzte sein wird, wie er im Sportschau-Podcast verriet.

Doll zählt bereits zu den Top-Läufern im Weltcup. In der neuen Saison will er nun auch am Schießstand zu den Top-Athleten gehören. Von 83 Prozent Trefferquote in der vergangenen Saison soll es bis auf 90 Prozent in der neuen Saison nach oben gehen.

Sportschau-Wintersport-Podcast, 25.10.2023 12:00 Uhr

Sebastian Samuelsson "will der Beste sein"

Parallel zu den offenen norwegischen Ausscheidungsrennen in Sjusjoen testeten die Schweden in Idre Fjäll ihre Form. Ein dickes Ausrufezeichen setzte dabei Sebastian Samuelsson. Der 26-Jährige ist läuferisch bereits auf einem Top-Niveau. Den 10-Kilometer-Sprint von Idre gewann der vierfache WM-Medaillengewinner von Oberhof, im verkürzten 15-Kilometer-Einzel wurde er trotz fünf Schießfehlern Zweiter und hatte auch hier die beste Laufzeit. "Ich will der Beste sein", so die selbstbewusste Ansage des Schweden, der die vergangene Saison immer wieder von Infekten gebremst wurde. "In der neuen Saison will ich Johannes Thingnes Bö herausfordern. Ich will den Norwegern einen besseren Kampf bieten als letztes Jahr." Dafür habe er vor allem am Schießen gearbeitet.

Sebastian Samuelsson im WM-Einzel in Oberhof

Sebastian Samuelsson im WM-Einzel in Oberhof

Emilien Jacquelin mental wieder fit?

Und wer aus Frankreich kann die norwegische Dominanz durchbrechen? Vielleicht Emilien Jacquelin? Der extrovertierte und läuferisch überragende 28-Jährige musste die vergangene Saison vorzeitig beenden. Den Sommer überstand er aber verletzungsfrei. "Ich verändere mich und versuche, die beste Version meiner selbst zu werden", erklärte Jacquelin im Oktober dem französischen "Nordic Magazine". Der vierfache WM-Goldmedaillengewinner gestand: "Es fehlen noch einige mentale Details, damit ich mich traue, keine Angst zu haben", sagte Jacquelin und ergänzte: "Ich bin auf dem richtigen Weg."

Emilien Jacquelin bei der WM in Oberhof

Emilien Jacquelin bei der WM in Oberhof

Bei der internen französischen Weltcup-Generalprobe Mitte November in Bessans wurde Jacquelin im Sprint Dritter. Dem französischen "Ski Chrono" sagte er: "Ich bin psychisch und physisch noch nicht bei 100 Prozent", ergänzte aber: "Alle Zeichen sind auf grün. Die Formkurve geht nach oben. Ich hatte eines der besten Rennen der letzten Zeit."

Ebenfalls mit Problemen zu kämpfen hatte Quentin Fillon Maillet, der Weltcup-Gesamtsieger von 2022. Der 31-Jährige, der nach einer durchwachsenen Saison 2022/2023 beim letzten Weltcup als Verfolgungs-Zweiter glänzte, musste im Juni ins Krankenhaus. Fillon Maillet klagte über Müdigkeit und Erschöpfung – und reagierte auf ein Medikament mit allergischem Schock.

Offenbar hatte der zweifache Olympiasieger von 2022 nach einer Corona-Erkrankung mit Long Covid zu tun. Erst seit Mitte September normalisierten sich die Werte von Fillon Maillet. Beim Testrennen in Frankreich wurde er hinter Jacquelin Vierter und sagte mit Blick auf den Weltcupstart in Östersund der französischen Sportzeitung "L‘Equipe": "Jetzt fühlt es sich an, als wäre ich in normaler Vorbereitung."

Quentin Fillon Maillet in Oberhof

Quentin Fillon Maillet in Oberhof

Wer könnte überraschen?

Aus dem scheinbar unerschöpflichen Team der Norweger ist Vebjörn Sörum bereits beim Blink-Festival im Sommer und erst recht in Sjusjoen ins Rampenlicht gelaufen. Der 25-Jährige wurde auf Schnee in Sjusjoen zweimal Dritter. Läuferisch war er dabei im Sprint mit Dominator Johannes Thingnes Bö sogar auf Augenhöhe.

Der dreifache Junioren-Weltmeister kommt zwar erst auf vier Weltcup-Starts, ergatterte sich für Östersund aber erneut ein Weltcup-Ticket – und könnte hier überraschen. Aus dem schwedischen Team hofft Anton Ivarsson auf eine Überraschung. In Idre Fjäll gewann der 22-Jährige den 15-Kilometer-Einzel vor Samuelsson. Läuferisch war Ivarsson in dem Rennen dabei mit Staffel-Olympiasieger Jesper Nelin auf Augenhöhe.