Bundestrainer Joerg Rosskopf
interview

Vor Tischtennis-WM in Durban Bundestrainer Roßkopf besorgt: "Alle sind müde"

Stand: 18.05.2023 13:41 Uhr

Am Samstag beginnt im südafrikanischen Durban die Tischtennis-Weltmeisterschaft. Bundestrainer Jörg Roßkopf hofft auf Medaillen für das deutsche Team. Gleichzeitig aber schlägt er im Gespräch mit Sportschau.de Alarm, weil Topleistungen aktuell ausbleiben. Aus seiner Sicht das Ergebnis eines völlig überfrachteten Terminkalenders.

Von Florian Kurz

Sportschau.de: Normalerweise ist eine Individual-Weltmeisterschaft der wohl größte Höhepunkt des Jahres für ihre Spieler. Entsprechend würde man erwarten, dass sie ihr Team ganz gezielt darauf vorbereiten können. Doch stattdessen fanden während der wenigen Trainingslagertage sogar noch Playoff Spiele der Bundesliga statt. Wie gehen sie damit um?

Jörg Roßkopf: Für uns ist das sehr, sehr unbefriedigend. Der Turnierkalender ist proppenvoll. Die Spieler sind viel zu viel unterwegs, haben viel zu wenig Trainingsphasen. Ich bin als Bundestrainer 2010 mit ganz anderen Vorstellungen angetreten. Mein Anspruch ist, die Mannschaft bestens vorbereitet zu Turnieren zu schicken. Wir machen uns aktuell viele Gedanken, wie wir das wieder erreichen können. Wenn ich mit der weiteren Entwicklung da nicht zufrieden bin, werde ich das mit Sicherheit kundtun.

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Sportschau.de: Stellen sie damit ihren Job in Frage?

Jörg Roßkopf: Ja, definitiv. Ich finde, als Trainer muss man sich auch immer vor die Mannschaft stellen. Deswegen muss ich auch sehen, dass die Spieler so gut vorbereitet sind, dass ich als Trainer damit zufrieden bin. Aktuell bin ich einfach nicht zufrieden, wie meine Spieler vorbereitet sind. Seit meinem eigenen WM-Titel 1989 war der deutsche Tischtennis-Bund sehr erfolgreich. Seit ich 2010 Trainer geworden bin, hat sich das fortgesetzt.

Ich bin so ehrgeizig, dass ich auch nicht lange Zeit Misserfolge dulde. Ich dulde sie nur, wenn ich weiß, wo die Gründe dafür lagen. Aktuell würde ich das sicher mit der Vorbereitung in Verbindung bringen. Aber das kann weder mein Ziel sein, noch das Ziel des Verbandes, des DTTB. Deswegen müssen wir uns mit allen Bereichen an einen Tisch setzen, um da eine Verbesserung rein zu bringen.

Sportschau.de: Im Moment müssen sie als Trainer sicher einen gewissen Spagat machen. Sie erwarten auf der einen Seite Top-Resultate. Auf der anderen sagen sie selbst, die Bedingungen dazu sind im Augenblick nicht gegeben. Wie gehen sie damit um?

Jörg Roßkopf: Man kann da vielleicht Parallelen zum Handball ziehen. Das ist eine tolle Sportart, mit einer tollen Bundesliga. Aber als Außenstehender finde ich, dass die Nationalmannschaft oft nicht gut vorbereitet zu den großen Turnieren reist. Die leidet einfach durch die vielen Spiele in der Liga. Ganz ähnlich ist das auch bei uns.

Wir müssen den Spielern auch mal Pausen gönnen, damit sie sich dann auch wieder gut auf die Höhepunkte vorbereiten zu können. Sonst hangelt man sich nur noch von Turnier zu Turnier. Das ist für mich als Trainer unbefriedigend.

Aber wenn ich mich aktuell international umschaue, alle sind müde, alle sind in keiner guten Verfassung. Da muss sich der Weltverband auch Gedanken machen. Diese Notwendigkeit ist dort, glaube ich, auch angekommen. Wir wollen bei Olympia 2024 gut spielen, das ist unser großes Ziel. Deswegen können wir es nicht akzeptieren, dass die Situation so bleibt, wie sie aktuell ist.

Sportschau.de: 2023 gab es bisher eigentlich nur ein Resultat eines ihrer Spieler, das positiv herausstach: Die Viertelfinal-Teilnahme von Ruwen Filus beim WTT Champions Turnier in China. Also ausgerechnet jener Spieler, der bei der WM nur durch die Absage von Timo Boll überhaupt dabei ist. Bei allen anderen wartet man schon länger auf größere Turnier-Erfolge. Muss man im deutschen Tischtennis gerade bescheidener sein, als in vielen Jahren zuvor?

Jörg Roßkopf: Nein, definitiv nicht. Im europäischen Vergleich sind unsere Ergebnisse noch sehr gut. Aber unser Ziel ist es, immer die Besten zu sein. Frankreich und Schweden haben sehr gute Spieler, aber wir haben immer wieder gezeigt, wie stark wir sind, egal mit welcher Mannschaft wir anreisen.  Daran soll sich auch nichts ändern.

Das oberste Ziel ist aber, bei Olympia gut zu sein. Was bis dahin passiert, ist mir nicht gar so wichtig. Für mich steht im Vordergrund, dass die Spieler sich dafür gut vorbereiten und dann mit viel Selbstvertrauen nach Paris reisen.

Sportschau.de: Auf wem ruhen denn für die aktuelle Weltmeisterschaft ihre größten Hoffnungen bei den deutschen Männern?

Jörg Roßkopf: Alle meine fünf Spieler können bei einer entsprechenden Auslosung in Durban einen raushauen. Im Endeffekt sind sie alle Wundertüten. Auch wegen der kurzen Vorbereitung, kann ich nicht wirklich sagen, wer wie gut drauf ist. Da werden wir uns in Südafrika überraschen lassen müssen.

Sportschau.de: Was ist denn ihr Minimalziel, ohne Timo Boll, der bei der letzten Individual-WM 2021 die einzige Medaille geholt hat?

Jörg Roßkopf: Wir wollen Medaillen holen. Das ist immer unser Anspruch als Tischtennis-Nation Nummer zwei in der Welt. Ich sehe da in jedem Wettbewerb Möglichkeiten. Egal, ob Einzel, Doppel oder Mixed. Auch bei der Mannschafts-WM im vergangenen Herbst hat es uns keiner zugetraut, dass wir ins Finale kommen, ohne Timo Boll, Dimitrij Ovtcharov und Patrick Franziska.

Aber wir haben das Endspiel erreicht, mit einem Team, von dem viele gesagt haben, das ist eine B-Mannschaft. Da sieht man, wie stark wir sind. Nach der WM allerdings werden wir uns mit Sicherheit viele Gedanken machen, wie es Richtung Olympia 2024 weiter geht.

Sportschau.de: Timo Boll musste die Weltmeisterschaft verletzungsbedingt absagen, konnte schon seit fast drei Monaten keinen Wettkampf mehr bestreiten. Was bedeutet das für ihn auch Richtung Olympia 2024?

Jörg Roßkopf: Er muss sich wieder in eine bessere Position bringen. Aber Timo hat sehr viel Erfahrung. Ich habe sehr viel Vertrauen in ihn. Ich bin schon lange sein Trainer, lasse ihm alle Optionen, alle Türen offen. Er wird bei den nächsten Turnieren hoffentlich wieder dabei sein können. Für die ersten drei bekommt er, wegen seiner Verletzung, trotzdem seine Einladungen.

Dann wird man sehen, wie er dort spielt. Auch, wie er damit umgeht, nach einer Verletzung zurück zu kommen. Er wird unter Druck stehen, auch durch die anderen Spieler. Ich glaube, er freut sich einfach wieder bald am Tisch zu stehen nach solch einer langen Zeit. Und ich freue mich auch, mit ihm bald wieder in der Trainingshalle stehen zu können.