
Hertha BSC Hertha BSC: Warum die Vertragsverlängerung von Fabian Reese so besonders ist
Die überraschende Vertragsverlängerung von Fabian Reese bei Hertha BSC lässt verschiedene Sichtweisen zu. Dabei ist sie vor allem für die Fans des Klubs ein absoluter Glücksfall. Von Ilja Behnisch
Hätte man auch nicht gedacht, dass man diesen Satz in dieser Saison noch schreibt, aber: Hertha-Fan müsste man sein.
Denn eigentlich läuft es im Fußball ja zumeist wie sonst auch - die Großen fressen die Kleinen. Und Hertha BSC steht mit Rang elf in der zweiten Liga nunmal eher nachgeordnet in der Nahrungskette Bundesliga. Und darf sich trotzdem darüber freuen, dass ihr bester Spieler, dass Fabian Reese vorzeitig und langfristig seinen Vertrag verlängert hat.

Die Frage der Alternative(n)
Wäre man Skeptiker oder gar Zyniker, könnte man nun anbringen, dass es mit interessanten oder gar konkreten Alternativen eben vielleicht einfach nicht sonderlich weit her war. RB Leipzig soll sich mit dem 27-Jährigen beschäftigt, von einem Angebot aber Abstand genommen haben, raunen die Transferexperten und Fachzeitschriften. Das Interesse anderer Bundesligisten sei stets eher lose gewesen, hieß es. Und ansonsten soll nur noch Besiktas Istanbul interessiert gewesen sein.
Das machte es womöglich leichter, das zudem wohl recht lukrative Angebot der Hertha anzunehmen. Von 1,8 Millionen Euro Jahresgehalt ist die Rede. Viel mehr würde er wohl auch in Liga eins nicht erhalten.
Scheuten die Bundesligisten das Risiko?
Wäre man Pragmatiker, könnte man meinen, Reese handele schlicht und ergreifend vernünftig. Eine Ausstiegsklausel dürfte wohl auch der neue Vertrag enthalten. Die alte soll dem Vernehmen nach bei rund zehn Millionen Euro gelegen haben und sollte nun also erhöht worden sein. Bis aber tatsächlich ein renommierterer Verein von Reeses Gusto Interesse zeigt, darf er weiter in einem Umfeld aufspielen, in dem sich längst nachhaltig erwiesen hat, dass es für ihn bestens funktioniert. Sinken wird sein Marktwert wohl also kaum.
Bei aller Reese-Manie, die zuweilen rund um die Hertha-Spiele herrscht, darf man zudem daran erinnern, dass der gebürtige Kieler noch immer bei gerade einmal 232 Erstliga-Minuten steht. Gesammelt in 13 Einsätzen zwischen 2015 und 2019 für Schalke 04. Man kann schon verstehen, warum Bundesligisten womöglich daran zweifeln, mit dem relativ kostspieligen Zweitliga-Spieler Reese eine garantierte Sofort-Verstärkung auch für Liga eins zu erhalten.
Ein Fall für Romantiker?
Wäre man allerdings Romantiker, könnte man über diese vorzeitige Vertragsverlängerung einfach nur schwelgen. Man könnte sich der Vorstellung hingeben, dass Reese sich in Berlin angekommen und verstanden wähnt. Dass es ein besonderes Band ist, das zwischen ihm und den Hertha-Anhängern besteht. Dass er an den Weg glaubt, den der Klub zu gehen versucht und der zumindest in der Stefan-Leitl-Tabelle eindeutig Richtung Aufstieg deutet (derzeit Platz fünf nach elf Spielen, zwei Punkte hinter Platz eins).
Vielleicht hat Reese als Kind nicht in Hertha-Bettwäsche geschlafen. Einen Hertha-Bademantel traut man ihm aktuell aber durchaus zu.
Reese macht was mit den Menschen
Was auch immer die genauen Gründe für die Vertragsverlängerung sind, überraschend bleibt sie so oder so. Weil es schlicht so selten vorkommt, dass der mit Abstand beste Spieler eines Klubs einfach bleibt. Es sei denn, man heißt Bayern München. Und das Reese im Kader der Hertha in jeder Hinsicht eine Sonderrolle einnimmt, ist unanfechtbar.
Am besten beobachten konnte man das in den Spielen der Saison, in denen Reese nicht von Beginn an dabei war. In denen er, nach seiner schweren, in der Vorbereitung erlittenen Verletzung, eingewechselt wurde und es jedes Mal innerhalb von Sekunden schaffte, das komplette Stadion anzuzünden.
Weil Reese etwas macht mit den Menschen. Mit denen auf dem Platz. Mit denen, die seine Farben teilen und mit denen, die ihnen gegenüber stehen. Mit denen auf den Rängen. Vielleicht sind es diese weit aufgerissen Augen, die so rätselhaft zwischen irre und liebenswürdig changieren. Vielleicht die raumgreifende Art, sich zu bewegen, die jeden Angriff wie ein kleines Abenteuer anmuten lässt. Vielleicht ist es der außergewöhnliche Muskeltonus, der den Anschein erweckt, da verbrenne jemand schon im Stand einen Döner pro Minute.

Bundesweite Strahlkraft
Und dann ist da ja noch eine Kleinigkeit - der sportliche Wert. 41 Scorerpunkte in 53 Spielen für Hertha BSC hat Reese bisher gesammelt. In Worten: Hossa! Er kann auf beiden Flügeln spielen, ebenso im Sturmzentrum. Er kann vollstrecken und vorbereiten. Mit links, mit rechts, mit dem Kopf. Und obgleich vieles nicht sonderlich elegant anmutet, sind die meisten seiner Aktionen von enormer Präzision geprägt.
Womöglich ist auch das ein Geheimnis seines Status als Publikumsliebling. Edeltechnikern den scheinbar alles mühelos vom Fuß geht, misstraut der Pöbel auf den Rängen gern einmal. Besonders dann, wenn es insgesamt eher Hertha-typisch mittelmäßig läuft. Spieler wie Reese aber werden auch deshalb fast bedingungslos geliebt, weil ihr Tagwerk immer auch nach Arbeit aussieht.
Dabei ist Reese zugleich auch Herthas größte Extravaganz. Er macht, als Teil des Icon-League-Teams "Berlin Underdog", gemeinsame Sache mit Rappern wie Ski Aggu, posiert für Mode-Strecken und entwirft eigene, dafür fehlerhafte und umstrittene T-Shirts, die ihm letztlich aber auch niemand übel nimmt. Reese verfügt über eine bundesweite Strahlkraft, die für einen Tabellen-Elften der zweiten Liga schlicht und ergreifend außergewöhnlich ist. Kurzum: Reese müsste man sein. Oder wenigstens Hertha-Fan.
Sendung: rbb24 Inforadio, 18.05.2025, 17 Uhr