Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland

Nach Hamas-Angriff auf Israel Makkabi-Präsident Alon Meyer über Judenhass - "Nie wieder ist jetzt"

Stand: 17.10.2023 11:57 Uhr

Der Hamas-Angriff auf Israel hat Folgen für das jüdische Leben auch in der Bundesrepublik. DFL und DFB empfehlen für die Ligapartien am Wochenende eine Schweigeminute, wie es sie auch vor dem Länderspiel in den USA gab. Alon Meyer, Präsident von Makkabi Deutschland, wünscht sich aber deutlich mehr Solidarität - und striktere Verbote von Hass und Hetze.

Es bedürfe in dieser Frage einer Task Force, denn die Lage sei "gefährlicher als sonst", sagt Meyer, der Vertreter des jüdischen Sports in Deutschland, der 36 Vereine mit 5.200 Mitgliedern zählt. Mancherorts gibt es große Sorgen um die Sicherheit von Jüdinnen und Juden in Deutschland.

Im NDR Sportclub beschreibt Makkabi-Präsident Meyer im Gespräch mit Moderator Ben Wozny, was den jüdischen Sport nach den Angriffen auf Israel sowie den pro-palästinensischen Demonstrationen und antisemitischen Parolen auf deutschen Straßen umtreibt - warum Sportlerinnen und Sportler Angst haben und welche Gefahren er für den jüdischen Sport, aber auch die ganze Gesellschaft sieht. "Nie wieder" dürfe in Deutschland keine Worthülse für Sonntagsreden sein.

Herr Meyer, die Eskalation der Gewalt scheint weit weg. Welche Relevanz hat sie trotzdem für den Sport und die Vereine in Deutschland?

Alon Meyer: Schalom - und das im doppelten Sinne. (Schalom bedeutet Frieden, im Hebräischen ist es zugleich eine Begrüßungsformel, d.Red.) In der Tat ist es traurig, wenn im Nahen Osten ein Konflikt herrscht und der sich bei uns hier in Deutschland widerspiegelt. Ganz, ganz traurig.

In Israel wurden mehrere hunderttausend Reservisten eingezogen. Kennen Sie aus Ihrem Verein in Frankfurt oder auch bei Makkabi in Deutschland Menschen, die sich jetzt auf den Weg machen mussten?

Meyer: Ja, sehr viele sogar. Viele von uns sind als Reservisten eingezogen worden, weil sie sich hier nur zum Studium zwischenzeitlich aufgehalten haben. Viele Freunde, Bekannte von mir, aber auch Familienangehörige. Mein Bruder ist vor 20 Jahren ausgewandert, und insofern meine Nichte, mein Neffe, Cousins und Cousinen sind alle eingezogen worden.

Wir reden über Sportvereine in Deutschland. Ein Stück weit hat man aber das Gefühl, wir reden über einen Teil des israelischen Staates. Wird da etwas vermengt, was am Ende gar nicht zusammengehört?

Meyer: Selbstverständlich. Genau das ist es. Es wird bewusst etwas vermengt, was gar nichts miteinander zu tun hat. Wir alle können gar nicht für Israel stimmen. Wir haben kein Wahlrecht. Insofern sind wir weder für die Innen- noch für die Außenpolitik Israels in die Gesamthaftung zu nehmen. Werden wir aber.

Dass jüdische Sportvereine hier dichtmachen, ist ein untragbarer Zustand.
— Makkabi-Präsident Alon Meyer

Wenn auf deutschen Straßen für ein Land demonstriert wird, dann ist es vollkommen in Ordnung, nachvollziehbar, richtig und wichtig auch für unsere Demokratie. Aber wenn Hass und Hetze gegen Juden geschrien wird, dann ist das inakzeptabel, untragbar. Und wenn die Konsequenz dann ist, dass jüdische Sportvereine hier dichtmachen, ihren Spiel- und Trainingsbetrieb einstellen, dann ist das ein untragbarer Zustand. Das ist einfach nur sehr, sehr traurig.

Es wurde viel diskutiert, ob Spiele mit Makkabi derzeit überhaupt stattfinden können. In Berlin beispielsweise waren Mannschaften im Fußball-Pokal aktiv. Was müssen Sie zurzeit machen, um den Spiel- und auch den Trainingsbetrieb sicherzustellen und aufrechtzuerhalten?

Meyer: Die traurige Wahrheit ist, dass wir aus der Vergangenheit gelernt haben: immer wenn es im Nahen Osten eskaliert, mit den Sicherheitsbehörden in einem engen Kontakt zu stehen und die Sicherheitsvorkehrungen neu zu besprechen. Nach dieser neuen Eskalationsstufe ist das sogar mehrfach täglich der Fall, dass wir die Situation neu besprechen; und auch zeitweise Makkabi-Vereine ihren Trainings- und Spielbetrieb einstellen müssen - aber dann hoffentlich sehr schnell wieder aufnehmen dürfen.

Es ist sicherlich ein zusätzlicher Arbeitsaufwand. Das ist das eine. Dass wir diese Zustände aber überhaupt wieder hier in Deutschland erleben müssen, im Jahr 2023, ist das andere. Wenn wir eines aus 'nie wieder' gelernt haben: Nie wieder ist jetzt! Wir müssen dem Ganzen einen Riegel vorschieben. Wir müssen jetzt daraus lernen, damit die Gegenwart und die Zukunft besser werden. Sonst werden die Sonntagsreden, die wir jetzt wieder zum 9. November, der Reichspogromnacht, hören werden, nichts anderes als nur leere, leere Reden sein.

Makkabi ist kein geschlossener Kreis von Juden, 80 Prozent der Sportlerinnen und Sportler sind nicht jüdischen Glaubens. Was macht die Eskalation des Konflikts und der Umgang damit mit Ihrer Integrationsarbeit?

Meyer: Sie zerstört wieder mal einiges, denn wir haben mit Makkabi einen neuen Weg eingeschlagen. Wir wollen mit dem Sport versuchen, Brücken zu bauen, Vorurteile abzubauen und haben uns ein Stück weit nach außen hin geöffnet, was sehr gut geklappt hat. Tatsächlich sind es mittlerweile 80 Prozent der Makkabi-Mitglieder, die nicht jüdischen Glaubens sind: Moslems, Christen, Buddhisten, Grüne, Schwarze, Gelbe, Italiener, Franzosen, Ägypter.

Alle kommen sie zu uns, weil sie zusammen gerne Sport treiben und auch über das Thema Religionsfreiheit in unserem Verein im Speziellen diskutieren. Mit dem stilisierten Davidstern auf der Brust Anfeindungen ausgesetzt sind und sich gezwungenermaßen vielleicht auch mit dem Thema auseinandersetzen, was gut und richtig ist. Auch lernen, was unsere demokratischen Werte sind. Mithilfe des Sports ist so viel möglich. Aber jetzt haben ganz viele Mitglieder Angst. Das ist so traurig, so etwas miterleben zu müssen. Das muss sich ändern!

Befürchten Sie nachhaltige Gräben? Was glauben Sie, bleibt zurück?

Meyer: Das Problem ist: Wir arbeiten an Verbesserungen, haben steigende Mitgliederzahlen, keine Vorfälle - und dann passiert sowas und wirft uns um Jahre zurück. Weil wir diese Demonstrationen zulassen, die absolut antisemitisch sind, diskriminierend und rassistisch. Dass wir die zulassen, mit unseren Rechtsmitteln nicht wissen, wie sie zu verhindern sind. Das muss sich ändern! Wir müssen Hass und Hetze auf deutschen Straßen verbieten dürfen. Und das in aller Konsequenz.

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Auch hierzulande haben sich Sportlerinnen und Sportler mit dem Terror der Hamas solidarisch gezeigt. In Posts und Likes, die so zu verstehen sind. Wie gehen Sie damit um - und was sagt das aus über unser Land?

Meyer: Immer wieder gibt es Rassismus auch im Profifußball. Wir dürfen uns da nichts vormachen. Das ist nicht nur in der Anonymität von 50.000 Zuschauern so, sondern auch bei Profisportlern. Sie nutzen immer wieder ihre Social-Media-Reichweite, um irgendetwas schnell zu liken und zu reposten. Meist ist es bewusst und gewollt. Manchmal aber auch unbewusst, aus Unwissenheit. Dass man mit 'Free Palestine' etwas anderes meint als die Solidarität mit dem palästinensischen Volk, sondern ein freies Palästina vom Fluss bis zum Meer. Frei von was? Frei von den Juden. Das ist absolut antisemitisch. Sowas darf man nicht reposten; diese Spieler muss man sensibilisieren, damit sie nicht so viel Unrecht produzieren.

Aber, und das gehört auch dazu: Wenn sie sich an diese Regeln trotz Sensibilisierung nicht halten, müssen sie die Konsequenz erfahren. Hier in Deutschland dürfen wir keinen Zentimeter von unseren demokratischen Werten abweichen. Niemand, der hier in Deutschland ist, niemand, der mit unseren Steuergeldern finanziert wird. Das ist der reine Hohn und inakzeptabel. Nicht nur für uns Juden, sondern inakzeptabel für mich als Deutschen. Es geht uns alle an, sonst verlieren wir als Gesellschaft.

Manche meinen, der Sport sei unpolitisch. Wie man sieht, stimmt das nicht. Was erhoffen Sie sich von den Verbänden? Was können wir alle lernen?

Meyer: Wir dachten immer, wie schön wäre es, wenn der Sport nicht politisch wäre. Das war der große Fehler, den wir viele Jahre gemacht haben, indem wir uns mit der Politik aus dem Sport herausgehalten haben. Das Problem war nur, dass die radikalen Gruppen rechts wie links den Sport missbraucht haben. Deswegen haben wir die Gesänge in deutschen Stadien gehabt. Ohne Widerhall, ohne Antwort, ohne Reaktion. Wir müssen die anständige Mehrheit im Sport mobilisieren.

Wo sonst, als im Sport. Es ist so einfach wie nirgends sonst, die Leute zu mobilisieren, sie zu stärken, sie aus der Komfortzone rauszuholen, damit sie dagegenhalten. Wir müssen demokratische Werte mithilfe des Sportes vermitteln. Weg von dieser Sage, dass die Demokratie ein Automatismus ist, um die Leute zu mobilisieren, sich für die demokratischen Werte tagtäglich einzusetzen, damit wir wirklich sagen können: Nie wieder!

FAQ zu "Makkabi"

* Makkabi (auch Maccabi) ist eine weltweite jüdische Jugendbewegung, "die der Förderung des Amateursports sowie kulturellen oder sozialen Tätigkeiten und der Freizeitgestaltung gewidmet ist".
* Ziel ist es, "in der jüdischen Jugend Verständnis für die geistigen Werte des jüdischen Glaubens und eine höhere Wertschätzung des jüdischen kulturellen und nationalen Erbes zu entwickeln".
* Das hebräische Wort Makkabi geht zurück auf Judas Makkabäus, der im 2. Jahrhundert v. Chr. den Aufstand gegen das Seleukidenreich anführte und Jerusalem wieder befreite (das Chanukkafest erinnert jedes Jahr daran)
* Im späten 19. Jahrhundert gründeten sich zahlreiche Makkabi-Clubs in ganz Europa
* Makkabi Deutschland ist der Dachverband der knapp 40 deutsch-jüdischen Sportvereine
(Quelle: makkabi.de)

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 15.10.2023 | 22:45 Uhr