Kevin Behrens (r.) von Union Berlin im Duell mit Real Madrids Nacho

Fußball Kevin Behrens und der Beweis: Viele Wege führen ins Glück

Stand: 21.09.2023 11:26 Uhr

Kevin Behrens hat einen langen Anlauf nehmen müssen, um den Sprung in den Profibereich zu schaffen. Der einst bei Werder Bremen aussortierte Angreifer debütierte erst im Alter von 30 Jahren in der Fußball-Bundesliga. Nun schnupperte der Torjäger im Trikot von Union Berlin in der Auswärtspartie bei Real Madrid sogar erstmals Champions-League-Luft.

Von Hanno Bode

Es ist zumindest zu vermuten, dass Steward 116 eine Anhängerin von Real Madrid ist. Nichtsdestotrotz hatte die Frau mit den blonden Haaren und der gelben Weste, die sie als Ordnerin auswies, nach der Partie der Köpenicker am Mittwochabend bei den "Königlichen" offenbar Mitleid mit dem Berliner mit der Rückennummer 17. Denn als Behrens über die LED-Werbebande im Estadio Santiago Bernabéu gesprungen war, um in die Fankurve Unions zu gehen, schaute sie den Angreifer nicht nur wie ein trauriger Hund an, dem gerade der Knochen geklaut wurde. Sie streichelte dem 32-Jährigen auch kurz über den Arm.

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Eine rührende Szene nach einem für Behrens und seine Berliner ebenso emotionalen wie unglücklichem Champions-League-Debüt. Bis in die Nachspielzeit hatten die "Eisernen" beim spanischen Rekordmeister ein 0:0 gehalten, dann sorgte der frühere Dortmunder Jude Bellingham mit seinem Tor doch noch für den Sieg des haushohen Favoriten.

Neben dem Armstreichler von Steward 116 gab es für Behrens nach dem Schlusspfiff noch ein paar Küsschen von seiner Frau sowie viel Trost von den mitgereisten Union-Anhängern, die ihn und seine Teamkameraden trotz der Niederlage feierten.

Bei Werder nach Jugendzeit aussortiert

"Es ist extrem bitter, dass wir das Spiel durch so ein Ping-Pong-Tor verlieren", sagte der gebürtiger Bremer im Interview mit dem europäischen Verband UEFA, der das hochkommerzielle "Königsklassen"-Spektakel bekanntlich veranstaltet. Dass Behrens nun zu Champions-League-Ehren gekommen ist, hat märchenhafte Züge. Denn seine Karriere war eigentlich bereits beendet, bevor sie angefangen hatte. Nach seiner Jugendzeit bei Werder bekam der Angreifer nicht einmal einen Anschlussvertrag für die U23 des Bundesligisten. Ein Jahr lang lief er daraufhin für die dritte Mannschaft der Bremer auf - ein besseres Freizeit-Team.

"Es ist natürlich schon überragend, wenn man die letzten Jahre Revue passieren lässt, wo ich jetzt gelandet bin. Ich habe einfach versucht, das Ganze zu genießen."
— Kevin Behrens

Hernach wurde aus dem Stürmer, der seine ersten Schritte beim ATS Buntentor Bremen gemacht hatte, ein Fußball-Nomade. SV Wilhelmshaven, Hannover 96 II, Alemannia Aachen, Rot-Weiss Essen und 1. FC Saarbrücken hießen seine weiteren Stationen, bevor Behrens mit 28 Jahren vom Zweitligisten SV Sandhausen verpflichtet wurde.

In Sandhausen Garant für den Klassenerhalt

Im beschaulichen Hardtwald nahm seine Karriere dann noch einmal richtig Fahrt auf. Der 1,85 Meter große Angreifer war in den folgenden drei Jahren ein Garant dafür, dass sich die Kurpfälzer im Bundesliga-Unterhaus halten konnten. 31 Treffer und zwölf Vorlagen gelangen ihm in 94 Partien für den SVS. Die Champions League war für den Norddeutschen aber auch nach den 36 Monaten in der Sandhäuser Fußball-Provinz ganz weit entfernt. Und auch als Union Berlin dann um ihn warb und sich der Angreifer dazu entschloss, die ziemlich kleine gegen eine größere Fußball-Welt zu tauschen, wagte Behrens noch nicht davon zu träumen, einmal in der "Königsklasse" aufzulaufen.

Die Köpenicker gingen seinerzeit gerade in ihre dritte Erstliga-Saison und galten immer noch eher als Abstiegskandidat denn Europapokal-Anwärter. Aber an der Alten Försterei wurde mit Bedacht und Weitsicht gearbeitet. Die Scoutingabteilung des Arbeiterclubs sichtete und notierte sich auch solche Spieler, die bereits einen Bruch in ihrer sportlichen Vita hatten oder von den anderen Bundesliga-Clubs als sportlich zu leicht erachtet worden.

Die Verpflichtung von Behrens zeugte von ihrem Mut und ihrer Kreativität zu unorthodoxen Personalentscheidungen. Denn einen 30-Jährigen ohne jegliche Erstliga-Erfahrung zu holen, es war fast schon eine riskante Wette auf die Zukunft. Schließlich müssen gerade finanziell nicht auf Rosen gebettete Clubs - und zu denen zählte Union seinerzeit noch - jeden Kaderplatz nahezu optimal besetzten, um im Oberhaus konkurrenzfähig zu sein.

Nach Bundesliga-Dreierpack mit dem Fahrrad nach Hause

Aber sie haben im Falle von Behrens (wieder einmal) richtig gelegen bei Union. Der Stürmer kam nach einem Eingewöhnungsjahr, in dem er zumeist nur "Joker" war, immer besser in Schwung. In seiner zweiten Saison gelangen ihm bereits acht Bundesliga-Tore, diese Spielzeit begann der 32-Jährige mit einem Dreierpack beim 4:1-Erfolg gegen den 1. FSV Mainz 05. Anschließend kursierte ein Foto in den Weiten des World Wide Web, das Behrens zeigt, wie er mit dem Fahrrad vom Stadion nach Hause fährt. Ein Bild mit viel Aussagekraft, zeugt es doch von der nicht verloren gegangenen Bodenhaftung des Shootingstars.

Nachdem Behrens per Kopf gegen Mainz "Ding-dang-dong" gemacht hatte, wie die "Süddeutsche Zeitung" ("SZ") schrieb, wurde sogar über eine mögliche Nominierung für die deutsche Nationalmannschaft spekuliert. Nun ist es derzeit nur bedingt ein Ritterschlag, mit der seit vielen Jahren dahindarbenden Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Verbindung gebracht zu werden. Aber so ein Länderspiel-Einsatz würde sich in einer außergewöhnlichen Vita wie der von Behrens natürlich auch ganz hübsch machen. Zukunftmusik. Vielleicht.

"Habe versucht, das Ganze zu genießen"

Seinen ersten internationalen Einsatz hat der einst bei Werder vom Hof gejagte Angreifer nun hinter sich. Die Erinnerung an den Abend in Madrid, das Duell mit all den Weltstars von Real vor 65.207 Zuschauern kann ihm niemand mehr nehmen. "Es ist natürlich schon überragend, wenn man die letzten Jahre Revue passieren lässt, wo ich jetzt gelandet bin. Ich habe einfach versucht, das Ganze zu genießen", sagte der 32-Jährige.

Möglicherweise wird Partie im Estadio Santiago Bernabéu der Höhepunkt seiner Karriere bleiben. Möglicherweise aber auch nicht. Denn mit Blick auf seine bisherige Vita ist dem "Fußball spielenden Möbelpacker" ("SZ") noch vieles zuzutrauen.

Dieses Thema im Programm:
NDR 2 Sport | 20.09.2023 | 23:03 Uhr