Montage: Links jubeln die Münchner Fußballerinnen Lea Schüller und Linda Dallmann, rechts die Wolfsburgerinnen Lena Oberdorf und Alexandra Popp

Datenanalyse vor Frauen-Topspiel Läuft der FC Bayern dem VfL Wolfsburg den Rang ab?

Stand: 05.11.2023 10:13 Uhr

Die Fußballerinnen des VfL Wolfsburg gastieren heute zum Bundesliga-Topspiel bei Bayern München. Doch nach der Vizemeisterschaft 2023 und dem jüngsten Champions-League-Aus bröckelt der Nimbus der "Wölfinnen". Die Datenanalyse zeigt, wie eng das Meisterrennen wird.

Von Florian Neuhauss

In einem Kraftakt verteidigte Wolfsburg vor der Länderspielpause beim 2:2 nach 0:2-Rückstand gegen die TSG Hoffenheim die Tabellenführung. Die Bundesliga-Spitzengruppe ist allerdings dichter zusammengerückt. Und sollten die VfL-Frauen heute (15 Uhr, im NDR Livecenter) beim Dritten FC Bayern verlieren, würden die Münchnerinnen vorbeiziehen.

Dem Team von Trainer Tommy Stroot scheint die Dominanz abhandengekommen zu sein. Nach Niederlagen in der vergangenen Rückrunde bei den Bayern (0:1) und in Frankfurt (0:4) stand für die erfolgsverwöhnten Niedersächsinnen die Vizemeisterschaft. Deshalb mussten sie in die Play-offs der Champions League und flogen gegen Paris FC überraschend frühzeitig aus dem Wettbewerb. In der Bundesliga glückten zwar vor dem Remis gegen Hoffenheim vier Siege - die spielerische Leichtigkeit vergangener Tage war aber nicht zu sehen.

Müssen die Wolfsburgerinnen, seit Jahren das Aushängeschild des deutschen Clubfußballs, also künftig kleinere Brötchen backen? Das sagt die Datenanalyse mit GSN:

Bayerns Meisterschaft knapp, aber nicht unverdient

Zunächst einmal: Ja, die Münchner Meisterschaft im vergangenen Mai war knapp, aber nicht unverdient. Am Ende lag Bayern mit 59 Punkten zwei Zähler vor Wolfsburg. Ähnlich knapp ging es bei den "Expected points" zu, aber mit den 53,02 (zu 51,70) Zählern lag die Mannschaft des norwegischen Trainers Alexander Straus auch in dieser Statistik vorn.

Die Münchnerinnen waren sehr dominant: Mit ihren 64 Prozent erfolgreichen Offensivaktionen waren sie ligaweit die Nummer eins, sie spielten die meisten Pässe, hatten das höchste Spieltempo und die wenigsten Ballverluste. Mit acht Gegentreffern hatte der FCB ohnehin die mit Abstand beste Defensive (Wolfsburg 17) - und kassierte über die gesamte Saison nicht ein einziges Gegentor nach einem Konter.

Das "Expected goals"- und "Expected points"-Modell

"Expected goals" sind "zu erwartende Tore" und werden anhand eines Datenmodells berechnet, in das eine Vielzahl von Faktoren einfließt - unter anderem von wo auf dem Platz der Abschluss erfolgte, wie der Winkel zum Tor war und wie viele Gegenspieler noch zwischen Ball und Tor standen. Jede Torchance erhält dabei einen Wert zwischen 0 und 1, um die Wahrscheinlichkeit zu bestimmen, mit der der Ball von diesem Punkt aus im Tor landet. "Expected goals"-Werte sind so aussagekräftiger als die normale Torschuss-Statistik, die alle Abschlüsse gleich behandelt. GSN hat zur Berechnung mehr als 3 Millionen Tore ausgewertet.

Die "Expected points" ermitteln die Anzahl der Punkte, die eine Mannschaft aus einem Spiel hätte holen "müssen", basierend auf den Torchancen, also den "Expected goals", die sie in diesem Spiel generierte bzw. hätte bekommen müssen. Jedes Team bekommt zwischen 0,1 und 2,7 Expected points, je nachdem, wie einseitig das Spiel aus Sicht der "Expected goals" war.

Offensive entscheidet Spiele, Defensive Meisterschaften

Die Wolfsburgerinnen konnten sich nichts dafür kaufen, dass sie am Ende mit 75 Toren die beste Offensive gestellt hatten. Bei den "Expected goals" hatten sie genauso auf Rang eins gelegen wie bei den Toren nach herausgespielten Angriffen und auch nach Standards. Sie gaben die meisten Torschüsse ab, gewannen die meisten Kopfballduelle und waren bei den Balleroberungen ganz vorn.

Dabei bestätigten sie allerdings unfreiwillig die alte Weisheit, nach der die Offensive Spiele, die Defensive aber Meisterschaften entscheidet. Letztmals holte in der Saison 2014/2015 nicht das Team mit den wenigsten Gegentoren den Titel: Wolfsburg hatte als Zweiter in 22 Saisonspielen insgesamt nur vier Treffer kassiert (beide Duelle mit den Bayern endeten 0:0). Aber Meister München hatte auch nur sieben Gegentore und war anders als der VfL gänzlich ohne Niederlage geblieben.

Kann Hoffenheim ins Titelrennen eingreifen?

Nach den bisherigen fünf Spieltagen dieser Saison haben die "Wölfinnen" bereits vier Gegentore kassiert. Und es sollte ihnen eine Warnung sein, dass bei den Münchnerinnen seit den beiden Gegentoren zur Saisoneröffnung in Freiburg (2:2) zuletzt viermal die Null stand.

Die besten Offensivwerte hat allerdings Hoffenheim - mit dem herausragenden Schnitt von 3,8 Toren pro Spiel. Wolfsburg kommt auf Platz zwei auf 2,4. Die TSG liegt auch bei den "Expected goals" und einigen anderen Offensivstatistiken vorn - als Team, aber auch bei den Einzelspielerinnen. Mit 2,25 "Expected points" pro Partie gegenüber den 2,22 tatsächlich geholten Punkten sind die Kraichgauerinnen im Soll.

Allerdings zeigen die Daten eine starke Überperformance bei den erzielten Toren im Vergleich zu den "Expected goals" (19 zu 12,70) und auch bei den Gegentreffern (5 zu 6,1). Bei einer errechneten Hoffenheimer Meisterschafts-Wahrscheinlichkeit von 19 Prozent sieht es momentan doch eher nach dem Zweikampf der vergangenen Jahre aus: Der FC Bayern kommt auf 35 Prozent, Wolfsburg auf 33.

"Ich erwarte wieder ein Spiel auf Augenhöhe, auf Topniveau. Auch wenn sich beide Mannschaften gerade nicht auf ihrem individuellen Topniveau bewegen, bleibt es das Topspiel der Frauen-Bundesliga." "
— VfL-Trainer Tommy Stroot

Bayern-Kader in diesem Jahr besser als Wolfsburgs

In den direkten Duellen sah der VfL in der Vergangenheit meist besser aus: Von den jüngsten zehn Partien in Liga und Pokal entschied Wolfsburg sechs für sich, nur zweimal gewann München. Mit einem aktuellen GSN-Index von 69,91 stellt der FCB aber - anders als zuletzt - in dieser Saison die beste Mannschaft der Liga. Wolfsburgs Wert liegt bei 67,90. Das hat auch damit zu tun, dass München vor allem mit Pernille Harder und Magdalena Eriksson hohe individuelle Klasse hinzugewonnen hat.

Was ist der GSN-Index?

Vier-Säulen-Prinzip:

  • 1. "fußballerische Eigenschaften": Technik, Spielübersicht oder der erste Kontakt: Einschätzungen über 130 fußballspezifische Eigenschaften von mehr als 300 Scouts weltweit.
  • 2. "fußballerisches Potenzial": Wo werden Spieler besser, wo stagnieren sie oder entwickeln sich zurück? Ein Algorithmus analysiert Daten aus der ersten Säule und vergleicht Spielertypen.
  • 3. "Performance auf dem Spielfeld": Tore, Pässe, Fouls, Schüsse oder auch Abseitspositionen: die Spiel-Basisdaten und weiterführende Analysen wie "Expected goals" oder "Action scores" werden durch einen Algorithmus in einen übergeordneten Kontext gesetzt - zum Beispiel positionsbezogen.
  • 4. "Spielniveau": Jede Mannschaft oder Liga hat einen Zahlenwert, der ihre Stärke bemisst. Oberliga oder Champions League: Umso höher das Spielniveau des Gegners, desto positiver wirkt es sich auf den GSN-Index aus.

Bewertungs-Skala:

  • 85 - 100: Weltklasse
  • 70 - 85: internationale Klasse
  • 60 - 70: Durchschnitt Bundesliga bzw. der Top 5 Ligen
  • 50 - 60: Durchschnitt 2. Bundesliga
  • 40 - 50: Durchschnitt 3. Liga
  • 30 - 40: Durchschnitt Regionalliga

Zwei GSN-Index-Werte:

  • aktueller GSN-Index: zeigt die aktuelle, allumfassende Qualität eines Spielers basierend auf den Daten der vier Säulen und Algorithmus-Berechnungen.
  • möglicher GSN-Index: Künstliche Intelligenz ermittelt anhand der Daten das bestmögliche, zukünftige Leistungsniveau eines Spielers.

Popp-Einsatz ist offen

Und so wird auch am Sonntag ein besonderes Augenmerk auf den Schlüsselspielerinnen liegen, die den Unterschied machen können. Allerdings fehlte die ehemalige Wolfsburgerin Harder den Münchnerinnen wegen Knieproblemen zuletzt genauso angeschlagen wie dem VfL Alexandra Popp mit muskulären Problemen. Der Einsatz der Kapitänin ist nach Aussage von Trainer Stroot noch fraglich. Auch die Abwehrspielerinnen Marina Hegering und Dominique Janssen fallen möglicherweise aus.

Das Trio habe Teile des Trainings am Freitag absolviert, sagte Stroot. Am Sonnabend werde dann geschaut, ob das für die drei Spielerinnen reiche. "Das ist anders als gewünscht. Aber dennoch probieren wir, da auch keine Dummheiten zu machen", so Stroot. Der Einsatz von Nationaltorhüterin Merle Frohms entscheidet sich ebenfalls kurzfristig. Gegen Hoffenheim hatte die Keeperin wegen einer Gehirnerschütterung gefehlt und war durch Lisa Schmitz ersetzt worden. 

So oder so wird aber viel fußballerische Qualität auf dem Platz zu sehen sein. Und die "Wölfinnen" werden alles daran setzen, sich nicht von den Bayern den Rang ablaufen zu lassen.

Dieses Thema im Programm:
Sportclub | 05.11.2023 | 22:50 Uhr