59.000 Fans im Waldstadion MMA in Frankfurt – und plötzlich ein bisschen Mainstream
Vor wenigen Jahren durfte MMA in Frankfurt nicht stattfinden, jetzt füllen die Kampfsportler das Waldstadion. Ein Besuch bei einer Sportart, die auf dem Weg zum Mainstream ist – aber ihre Herkunft nicht verheimlichen kann.
"Wir müssten uns eigentliche alle ein Team-Tattoo machen, um zu zeigen, dass wir hier dabei waren." Es ist dieser Satz von Käfigkämpfer Deniz Ilbay, der nach dem MMA-Mega-Event im Frankfurter Waldstadion bleibt, weil er sinnbildhaft ist für das, was hier passiert ist. Natürlich ist der Satz nicht ernst gemeint, denn mit "uns" sind eben nicht ein paar Teenies auf dem ersten Urlaubstrip, sondern 20 Männer und 2 Frauen gemeint, die sich am Samstagabend getreten, gewürgt und blutig geschlagen haben. Aber er spiegelt das Gefühl der Kämpfer, der Organisatoren und vor allem der Fans wider. Dieses Frankfurter Event könnte ihre Sportart verändern.
Es ist erst wenige Jahre her als Mixed Martial Arts, eine Mischung aller Kampfsportarten, in Frankfurt nicht erlaubt wurde. Doch diese Zeiten sind vorbei. Vor allem über Social Media hat sich der Sport in den vergangenen Jahren selbst promotet und hochgearbeitet, heute zahlen hunderte Fans Geld, nur um am Showwiegen und der Pressekonferenz teilzunehmen – und 59.000 kommen in die Frankfurter Arena.
Die teuersten Tickets am Ring kosten vierstellige Summen. Überregionale Zeitungen berichten, RTL - wenn auch (noch) mit seinem kleinen Streaming-Angebot RTL+ - überträgt den Kampfabend, Musik-Star John Newman ("Love me again") macht die Halbzeit-Show und Ex-Fußball-Star Lukas Podolski bringt einen Titel-Gürtel in den Ring. Willkommen im Mainstream, MMA, zumindest für einen Abend.
Poldi bringt den Titel.
Rotlicht, Krypto-Plattformen und Talahons
Weil die Scheinwerfer an sind, beleuchten sie auch das Zwielichtige, das den Kampfsport im Allgemeinen und MMA im Speziellen begleitet. Dass mit Christian Eckerlin der Sieger des Hauptkampfs Mitglied der Hells Angels ist, einen Striptease-Club im Rotlichtviertel Frankfurts betreibt oder sein Gegner Christian Jungwirth zwei mehr als fragwürdige Tattoos schwärzen musste, hilft dem Image als aufstrebender Sport nur bedingt. Dazu kommt der enge Austausch zwischen der Hooligan-Szene und dem MMA, den die FAZ hier ausführlich herausgearbeitet hat.
Auch der Blick ins Publikum im Frankfurter Waldstadion bestätigt vielerorts noch Klischees. 80 Prozent der Zuschauer sind Männer, Stiernacken und teils martialische Tattoos prägen die Schlangen an den Würstchenbuden. Auch die Werbepartner deuten auf eine klare Zielgruppe. Die Bundeswehr, Fitnessstudios oder Krypto-Plattformen buhlen um die Aufmerksamkeit der Fans.
Perfekt spielt Kämpfer Max Holzer mit diesem Image. Seine Einlaufmusik: "Ich bin verknallt in einen Talahon." Da dürfte sich so mancher im Rund angesprochen fühlen. Trotz des vielen Testosterons gibt es übrigens keine gröberen Sicherheits-Probleme. Das Security-Personal hat Zeit, sich umzuschauen. "Alta, ich hab' schon einen Hells Angel gesehen", raunen sie sich zu.
Die Halbzeitshow wurde mit Flammen inszeniert.
Brutal und brutal respektvoll
Doch woher kommt die Faszination, die MMA in so schnellen Schritten auf die große Bühne gebracht hat? Es ist völlig klar, wer mit Kampfsport nichts anfangen kann, der ist hier fehl am Platz. Im MMA kann die Entscheidung jederzeit fallen, und sie kann brutal und brutal schnell sein. Aber wer mit dieser Gewalt umgehen kann, der beginnt den Reiz zu verstehen. Etwa, wenn der Frankfurter Max Coga seinen Gegner mit einem spektakulären Kniestoß k.o. schlägt und das gesamte Stadion explodiert. Es ist ein plötzlicher Adrenalin-Kick nach minutenlanger Anspannung.
Frankfurts Max Coga trifft seinen Gegner mit dem Knie.
Daneben fällt auf, was für eine eng verwobene Community diese Sportart gebildet hat. Wenn Coga nach seinem Sieg noch mit gebrochener Hand im Ring ruft: "Ich liebe euch alle dafür, dass ihr hier seid." Dann glauben ihm die Fans das in diesem Moment. Denn es fühlt sich real in der Arena an, haben sie ihn doch fanatisch empfangen und seinen Ringwalk zum Einzug eines Stars gemacht.
Nach dem Kampf ein Bierchen
Aber es ist nicht nur das Verhältnis zwischen Anhängern und Stars, sondern auch der Respekt zwischen den Kontrahenten, der dieses Gemeinschaftsgefühl verstärkt. Da mögen sie sich fünf Minuten vorher im wahrsten Sinne des Wortes bis aufs Blut bekämpft haben, direkt nach der brutalen Schlacht umarmen sich nahezu alle Kontrahenten.
Oder wie es Deniz Ilbay, Team-Tattoo-Fan und MMA-Philosoph in spe, ausdrückte: "Nach dem Kampf trinken wir zusammen ein Bierchen und dann gehen wir zur Familie." Ob das am Ende für den dauerhaften Platz im Sport-Mainstream reicht, ist fraglich. Aber auch das Boxen hatte lange Jahre einen zwielichten Ruf, bevor es durch Henry-Maske zum Gentleman-Sport wurde, neues Zielpublikum inklusive.