Bahnrad-WM Roubaix - die Arbeiterstadt und der Radsport

Stand: 19.10.2021 11:15 Uhr

Fünf Tage lang werden sie nun fahren im schicken Velodrom von Roubaix, 2012 eröffnet, 25 Millionen Euro teuer, der Tempel des französischen Bahnradsports. 250 Meter lang windet sich das Oval aus sibirischem Lärchenholz, alles ist perfekt berechnet für den faszinierenden Radrennsport auf der Bahn, eine Mischung aus Dynamik, Kraft und Hightech.

Benannt ist das Vélodrom nach dem ehemaligen Radrennfahrer Jean Stablinski, geboren nach dem Zweiten Weltkrieg hier oben in der "Hölle des Nordens", wie die Region an der Grenze zu Belgien nach dem Ersten Weltkrieg genannt wurde, der das Département Nord-Pas de Calais völlig verwüstet hatte. "Stab", Sohn polnischer Einwanderer, war zunächst Bergmann in der Zeche Arenberg in Wallers; später gewann er auf dem Rad viermal die französische Meisterschaft; seine Trainingsstrecken waren auch die Pflasterwege zwischen den Äckern der Bauern. Und so zeigte er den Organisatoren von Paris-Roubaix den Wald von Wallers-Arenberg, heute das gefürchtetste Pavé-Stück des legendären Frühjahrsklassikers, Inbegriff des viel beschworenen Leidens auf der Landstraße.

Paris-Roubaix endet auch in einem Vélodrom, dem alten, nicht überdachten Oval gegenüber dem neuen modernen Bau. Passt das? Hier die Bilder der dreckverschmierten Athleten und neuerdings auch Athletinnen, einer Schlamm- und Staub- und Pflasterhölle entronnen, einem Rennen schier aus den Urzeiten des Radsports, dort jene der Bahnsportler und -sportlerinnen auf ihren futuristischen Maschinen ohne Bremsen, die auf spiegelglatter Bahn ihre Highspeed-Spektakel entfalten.

Roubaix ist arm

Das passt so wie das neue Vélodrom zu Roubaix: Auf den ersten Blick gar nicht. Roubaix hat knapp einhunderttausend Einwohner. Im Gegensatz zur wohlhabenden Nachbarstadt Lille leben hier mehr als die Hälfte unterhalb der Armutsgrenze. Als die Textilindustrie in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts im Zuge der Globalisierung in die Dritte Welt abwanderte, begann der Niedergang der Stadt. Roubaix ist arm.

Und arm waren einst diejenigen, die vor allem im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts ihr Glück suchten in den Sechs-Tage-Rennen auf der Bahn; die Rennfahrer, unvergleichlichen Schindereien aus Dauerstrampeln und Schlafentzug ausgesetzt, zum Amüsement eines zur Nacht feierlustigen Publikums. Der Radsport fand seine Athleten  in der Welt der Arbeiter und Bauern. Und deshalb passt er in die Arbeiterstadt Roubaix. Die einen modernen Bau wie das Vélodrom Jean Stablinski irgendwie verdient hat.