Formel 1 Ein fairer Verlierer - das Schweigen des Lewis Hamilton

Stand: 14.12.2021 11:30 Uhr

Scharfe Rhetorik prägt die Tage nach dem dramatischen Formel-1-Finale. Red Bull feiert, Mercedes prüft eine Berufung. Und Lewis Hamilton? Der zeigt sich als fairer Verlierer - und schweigt.

Von Marco Schyns

Die Minuten der schmerzhaftesten Niederlage seiner Karriere müssen aufwühlend gewesen sein für Lewis Hamilton. Während er hinter dem Safety Car herfährt und die Rennleitung Entscheidungen trifft, die später noch für Diskussionsstoff sorgen sollen, gibt es quasi im Sekundentakt Updates am Boxenfunk. Nach dem Re-Start und der dramatischen letzten Runde funkt er noch vor Zielüberfahrt in Richtung seines Renningenieurs Peter Bonnington: "Das wird doch manipuliert." Der entgegnet nur: "Ich bin sprachlos, Lewis. Einfach sprachlos." Danach: Stille.

Den ersten Schock über die aufreibende Schlussphase beim Großen Preis von Abu Dhabi am Sonntag (12.12.2021) verarbeitete der Brite in seinem Auto. Während Konkurrent Max Verstappen umringt vom Red-Bull-Team seinen ersten Weltmeistertitel feierte, saß Hamilton noch immer in seinem Boliden. Kein Funk, keine Mitleidsbekundungen von Kollegen.

Danach stieg er aus, gratulierte dem Sieger und winkte kurz in Richtung Zuschauerränge. Die Bühne gehörte jetzt Verstappen.

Hamilton wird zum Ritter geschlagen

Hamilton ist seither abgetaucht. Keine Pressekonferenz, keine Interviews, keine Social-Media-Posts, keine öffentlichen Auftritte. Letzteres wird sich am Mittwoch (15.12.2021) ändern, wenn der 36-Jährige von Queen Elizabeth II. auf Schloss Windsor zum Ritter geschlagen wird. Das war bereits im vergangenen Jahr geplant, wurde aber wegen der Pandemie verschoben. "Sir Lewis Hamilton" als Verdienste für sportliche Erfolge, aber auch für seine Repräsentanz der Sportnation Großbritannien und sein Engagement in vielen gesellschaftlichen und sozialen Bereichen.

Er setzt sich für die Förderung von Frauen im Motorsport ein und will Rassismus bekämpfen. Die lange andauernden Verhandlungen um eine Vertragsverlängerung im Frühjahr endeten mit der vertraglichen Verpflichtung von Mercedes und Hamilton, sich für mehr Vielfalt und Inklusion im Motorsport einzusetzen.

Dass die Formel 1 die "Black-Lives-Matter"-Proteste unterstützte, ist auf Hamiltons Engagement zurückzuführen. Und dass der Mercedes in den vergangenen beiden Jahren als Teil dieser Proteste einen schwarzen Anstrich bekam, ist kein Zufall, sondern eng mit seiner Person verbunden.

Gegenseitiger Respekt zwischen Hamilton und Verstappen

Sportlich war er der Konkurrenz in den vergangen Jahren mit einem überlegenen Auto entrückt. Einzig Ex-Teamkollege Nico Rosberg konnte ihn 2016 mit einer Ausnahmesaison ärgern. Ansonsten war die Frage nicht, wer Weltmeister wird, sondern wann Hamilton den Titel perfekt macht. Mit sieben WM-Titeln ist er 2020 gleichgezogen mit Michael Schumacher. In anderen Kategorien - unter anderem Rennsiege, Pole Positions - hat er ihn längst als Rekordhalter abgelöst.

Dass mit einem wiedererstarkten Red Bull in dieser Saison Max Verstappen zu einem ernsthaften Konkurrenten wurde, war für die Formel 1, nach Jahren der Langeweile an der Spitze, ein Segen. Auch Hamilton wurde neu gefordert - und zeigte vor allem in der zweiten Saisonhälfte, dass er mit 36 Jahren noch voll auf der Höhe ist.

Hamilton fehlerlos in einem starken Auto

Es war eine große Geste des Briten, Verstappen unmittelbar nach Rennende zu dessen Erfolg zu gratulieren - noch bevor dieser zum obligatorischen TV-Interview antrat. Hamilton dankte anschließend seinem Team und gab einen kurzen Einblick in sein Gefühlsleben: "Es war eine der schwierigsten Saisons für mich."

Es waren unglückliche Umstände, die in Abu Dhabi dafür sorgten, dass der achte WM-Titel vorerst warten muss. Hamilton selbst fuhr - wie schon in den Wochen zuvor - das nahezu perfekte Rennen. In einem Auto, dass für die Konkurrenz unter normalen Umständen zu stark war. Das gab auch Red-Bull-Teamchef Christian Horner im Anschluss zu: "Wir brauchten ein Wunder. Mercedes war zu schnell für uns."

Wut von Mercedes erzürnt Red Bull

Dessen Pendant bei Mercedes, Toto Wolff, wütete noch während der dramatischen letzten Rennrunde am Funk in Richtung Rennleitung: "Nein Nein, Michael, das ist so nicht richtig." Die Nachricht ging in Richtung des Renndirektors Michael Masi, der in den vergangenen Wochen nicht die glücklichste Figur abgab. Die Wut bei den Verantwortlichen war so groß, dass noch am Abend, als der erste Protest von der FIA abgeschmettert wurde, eine mögliche Berufung angekündigt wurde. Bis Donnerstag hat Mercedes Zeit, sich zu erklären.

Die Stimmung gegen Masi und die Rennleitung wurde noch am Sonntagabend vom künftigen Mercedes-Piloten George Russell befeuert, der via Twitter davon sprach, dass das "nicht zu akzeptieren" sei. Hamiltons Bruder Nicolas sprach von einem "Skandal" - ebenso wie die britische Presse, vor allem der Boulevard. Unterdessen nennt Red Bulls Motorsportchef Mercedes einen "unwürdigen Verlierer". Und sogar Ex-F1-Chef Bernie Ecclestone schießt gegen die Mercedes-Veranwortlichen.

Hat Hamilton Wolff kontaktiert?

Scharfe Rhetorik prägte die Stunden und Tage nach dem größten Ereignis, das dieser Sport seit Jahren erlebt hat. Und was macht eine der prägendsten Figuren der Formel 1? Er schweigt. Die Niederlage, die Hamilton im aufwühlendsten Moment seiner Karriere als "Manipulation" bezeichnete, scheint er akzeptiert zu haben.

Gerüchte aus England besagen, dass Hamilton Wolff bereits am Montag kontaktiert haben soll, um ihn davon zu überzeugen, dass das Team von weiteren Protesten absieht. Es würde ins Bild passen. Ins Bild eines fairen Verlierers.