Die zweimalige Olympiasiegerin im Weitsprung, Heike Drechsler.

Kritik am DLV-Team wird lauter Drechsler: "Verlieren den Anschluss an die Weltspitze"

Stand: 22.07.2022 23:42 Uhr

Die Kritik am Abschneiden und Auftreten des DLV-Teams bei der Leichtathletik-WM wird immer lauter. Die zweimalige Weitsprung-Olympiasiegerin Heike Drechsler befürchtet gar einen Niedergang der deutschen Leichtathletik - so weit geht der frühere Verbands-Chef Prokop nicht. Der DLV kündigte eine "schonungslose Analyse" an.

Nach dem bisherigen Debakel bei den Weltmeisterschaften in Eugene, wo es in den bisher 29 Entscheidungen noch keine deutsche Medaille gab, sieht die 57 Jahre alte Drechsler Handlungsbedarf. "Es gab viel Krankheiten und Verletzungen bei den Topathleten im Vorfeld. Die, die hier starten, geben sicher ihr Bestes. Doch wir verlieren den Anschluss an die Weltspitze. Die deutsche Leichtathletik muss aufpassen, nicht unterzugehen", sagte Drechsler in einem Interview der "Thüringer Allgemeinen".

Als Konsequenz fordert sie ein Umdenken im Deutschen Leichtathletik-Verband. Es müssten professionelle Strukturen geschaffen, Trainer besser bezahlt und die Spitzensportler finanziell abgesichert werden. Drechsler kritisiert auch, dass auf die Erfahrung von ehemaligen Spitzensportlerinnen und Sportler "derzeit keiner im Verband großen Wert" lege.

Ex-DLV-Chef Prokop: Teilweise Anschluss an die Weltspitze verloren

Auch den früheren DLV-Chef Clemens Prokop stimmt die bisherige Ausbeute des deutschen Teams in Eugene nachdenklich. Medaillen zu gewinnen sei "zwar manchmal Glück", aber dass es in der deutschen Mannschaft kaum Endkampfplatzierungen gebe, sei Grund genug zum Nachdenken. Denn Top-Acht-Plätze seien stets das strategische DLV-Ziel für eine WM gewesen.

Prokop schränkt seine Kritik zwar ein und verweist auf viele verletzte Medaillenkandidaten in der deutschen Mannschaft ("Wir wussten deshalb, dass es nicht die beste WM aller Zeiten werden würde"), sagt aber auch, dass man in Disziplinen wie etwa dem Kugelstoßen zurzeit den Anschluss an die absolute Weltspitze verloren habe.

Britta Schnebel, Sportschau, 22.07.2022 06:30 Uhr

Sorgen um die Zukunft der deutschen Leichtathletik macht Prokop sich aber nicht. Ihr sei bescheinigt worden, eine exzellente Leistungsförderungsstruktur aufzuweisen. "Da ist sie auf Platz eins auf der Rangliste der Sportarten in Deutschland. Das ist ein Zeichen, dass gute Arbeit geleistet wird." Schwankungen im Leistungsniveau habe es auch früher immer wieder gegeben. Nun gelte es, diese Schwankungen aufzufangen.

DLV kündigt "schonungslose Analyse" an

Ein fünfter Platz von Diskuswerferin Claudine Vita ist das bislang beste Ergebnis des deutschen Teams in Eugene. Einige Chancen auf vordere Platzierungen und Medaillen gibt es zwar noch, aber selbst das schlechteste deutsche WM-Ergebnis von Paris 2003 mit vier Medaillen ist kaum noch zu erreichen. DLV-Vorstandsvorsitzende Idriss Gonschinska kündigte angesichts des enttäuschenden Abschneidens des DLV-Teams bereits eine "schonungslose Analyse" an. "Das ist eine Situation, die wir so nicht erwartet haben, und die Ergebnisse bisher entsprechen in keinster Weise unserem Anspruch und auch nicht unserer grundlegenden Zielstellung, wie wir in solche Events gehen wollen", sagte Gonschinska im ZDF.

Versäumnisse im internationalen Vergleich

Zudem steht die Einstellung einiger Athleten und Athletinnen in der Kritik. Wichtig sei laut Gonschinska, "dass wir das sehr, sehr konsequent aufarbeiten. Jetzt haben wir ein Gesamtbild, aber Leichtathletik ist die Summe vieler einzelner Disziplinen mit vielen verschiedenen Charakteren", sagte der 53-Jährige, der ankündigte, "dass man jetzt jede einzelne Disziplin, alle Teilnehmer analysiert und letztendlich dann Ableitungen treffen kann. Es geht um eine schonungslose Analyse."

Vor allem im internationalen Vergleich sieht Gonschinska Versäumnisse. "Es scheint anderen Nationen besser gelungen zu sein, ihre Topathleten gesund an den Start zu bringen mit dem Fokus hier auf den Wettkampf, und die individuelle Vorbereitung scheint deutlich besser realisiert worden zu sein", sagte er: "Es geht um Training, um Wettkampfsteuerung, und das ist den Topathleten aus anderen europäischen Nationen anscheinend besser gelungen."

Chefbundestrainerin Stein: "Die EM ist doch sehr präsent"

Mitte der Woche - zur Halbzeit der WM in Eugene - hatte sich bereits Chefbundestrainerin Annett Stein selbstkritisch zu den Leistungen der DLV-Athletinnen und -Athleten geäußert. Das Team sei unter den Erwartungen geblieben. Viele deutsche WM-Teilnehmer fokussieren offenbar auf die anstehende Heim-EM in München (15. bis 21. August), so Stein: "Wir haben im Verband die WM sehr, sehr stark positioniert. Aber wahrscheinlich ist es nicht gelungen, diese WM in den Fokus der meisten Athleten zu setzen, weil die EM doch sehr präsent ist."