Die deutschen Staffel-Sprinter Lucas Ansah-Peprah (r.) und Owen Ansah bei der Übergabe über 4x100 m bei der Leichtathletik-WM in Eugene.

Busemanns WM-Kolumne So geht Teamgeist - Füreinander einstehen

Stand: 23.07.2022 08:17 Uhr

Die deutsche Sprintstaffel der Männer wird kurz vor dem Vorlauf durch eine Regeländerung auf die ungünstige Innenbahn gesetzt, kommt nicht zurecht und scheidet aus. Die Reaktion danach im Interview begeistert den ARD-Leichtathletik-Experten Frank Busemann: Die Athleten übernehmen Verantwortung, sie ducken sich nicht weg.

Von Frank Busemann

Das ist doch wohl ein handfester Skandal, könnte man meinen: Da wird unmittelbar vor den Vorläufen der 4x100-m-Staffel die Festsetzung der Lauf- und Bahnverteilung geändert. Bis vor Kurzem galt noch, die ersten acht Staffeln werden zur Hälfte auf den guten Bahnen in die beiden Läufe gesetzt. Offensichtlich ist dann aufgefallen, dass die Amerikaner nicht dazu gehörten, weil sie bei den Olympischen Spielen nicht das Finale erreicht haben. Plötzlich zählten auch die Einzelzeiten und - Simsalabim! - war die deutsche Staffel mit ihrem kurz vorher gelaufenen deutschen Rekord nicht mehr im ersten Topf.

Die Deutschen müssen irgendwie Glück in der Liebe haben, weil es im Spiel scheinbar immer gegen sie läuft. Wer macht den Köpper in den Wassergraben? Wer verknackst sich vor dem Speerwurf den Rücken? Wer macht bei der Anfangshöhe jeweils einen Knoten in die immer härter werdenden Stäbe? Wer bekommt in der Staffel Bahn eins? Wer bekommt beim ESC null Punkte? Germany. Doch Obacht, die Opferrolle zu übernehmen ist eine dankbare Exitstrategie für Underperformance. Ich kann ja nicht, weil es ein Problem gibt. Albert Einstein wird mit den Worten zitiert: "Halte dich von Leuten fern, die für jede Lösung ein Problem haben."

Innenbahn ist Mist

Staffel auf der Innenbahn ist nicht leicht. Nicht ohne Grund hat der Weltverband die 200 m in der Halle aus dem Programm genommen. Das hat was mit Physik zu tun. Innen sind die Sockenverwringungskräfte um einiges höher als außen bei gleicher Geschwindigkeit. Im Hochsprung sieht man das ganz extrem: Beim Absprung knickt der Fuß nach innen weg, und der Schuh wickelt sich scheinbar um den Fuß. Und die Topgeschwindigkeit in der Kurve wird bei der Sprintstaffel erreicht. Der Speed vermag der gleiche zu sein, die Kräfte auf die Läufer sind aber innen relativ viel höher als außen.

Verantwortung übernehmen

Der langen Rede kurzer Sinn: Die deutsche Staffel musste ran und rannte und bremste und rannte und kämpfte und wechselte und rannte. Fast eine Sekunde über Saisonbestleistung. Es war schlichtweg zu langsam. Leider ausgeschieden. Das ist schade. Aber dann standen sie bei ARD-Moderatorin Maral Bazargani im Interview und begeisterten mich. Kevin Kranz sagte, dass sie auch auf der Innenbahn gut laufen wollten. Joshua Hartmann nahm Schuld auf sich: Ohne genau zu wissen, was geschehen war, zog er es in Betracht, dass er einen Fehler gemacht hat.

Owen Ansah fetzte mit seinen langen Gräten durch die Kurve wie ein Weltmeister - der hatte schon über 200 m das Pech der engen Kurve. Und Lucas Ansah-Peprah wollte noch Plätze gut machen, hat nie aufgegeben. Keiner warf dem anderen irgendetwas vor. Instinktiv haben die Jungs was richtig gemacht, was ihnen vielleicht gar nicht so bewusst war. Verantwortung übernehmen und das Beste aus Situationen machen. Das fand ich gut. Es hat leider nicht für das Finale gereicht, aber wir können uns auch totdiskutieren und immer das Schlechte sehen.

Für den anderen einstehen

Der Sport hat die Möglichkeit, für alles eine Ausrede zu finden. Zu viel Wind, zu kalt, zu warm. Regen, Sonne, Zuschauer, keine Zuschauer - und der andere ist sowieso schuld. Nein, hilft alles nichts. Selbermachen. Auf Bahn eins, auf Bahn acht. Vollkommen egal. Manchmal ist es einfacher, manchmal ist es schwerer. Es gibt immer kleine Vor- und Nachteile. Ja, man kann sich über Regeländerungen ärgern oder auch wundern.

Für den anderen aber einzustehen, sich an die eigene Nase fassen und überlegen, was "hätte ich persönlich besser machen können", hilft einem selbst, dem Team und der gesamten Mannschaft. Echt schade, die Jungs hätte ich gern im Finale gesehen, aber das Gute ist, mit dieser Einstellung werden sie da noch oft hinkommen.

Das ist Frank Busemann

Geboren:
26. Februar 1975 (Recklinghausen)
Disziplinen:
Zehnkampf, Hürdensprint
Sportliche Erfolge:
Olympia-Silber 1996 (8.706 Punkte)
WM-Bronze 1997 (8.652 Punkte)
U23-Europameister 110 m Hürden 1997 (13,54 Sek.)
Juniorenweltmeister 110 m Hürden 1994 (13,47 Sek.)
Auszeichnungen:
Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis 2004
Sportler des Jahres 1996
Karriereende:
23. Juni 2003
Karriere nach der Karriere:
Vorträge/Seminare zum Thema Motivation
Buch-Autor
ARD-Leichtathletik-Experte
(Morgenmagazin, Das Erste, sportschau.de)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr