Das Maskottchen "The Bigfoot" im Stadion bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Eugene (Oregon) in den USA.

Busemanns WM-Kolumne Eugene oder: Ein Dorf beherbergt die Leichtathletik-Welt

Stand: 16.07.2022 03:44 Uhr

Frank Busemann ist happy, nach mehr als 24-stündiger Anreise endlich in der Gastgeber-Stadt der Leichtathletik-Weltmeisterschaften angekommen zu sein. Athleten und Fans werden in Eugene eine großartige Zeit erleben, so der ARD-Leichtathletik-Experte im ersten Teil seiner WM-Kolumne.

Was für ein Fest! Auf meine alten Tage darf ich noch nach Eugene zu den Leichtathletik-Weltmeisterschaften. Eugene, ein Dorf im Nordwesten der Vereinigten Staaten von Amerika. Der Dortmunder würde sagen: Ist so wie Bielefeld - eher beschaulich und ein bisschen weit weg.

Die Anreise via Düsseldorf, München, San Francisco, Eugene. Drei Flieger, zweimal umsteigen. Morgens am Flughafen in Düsseldorf zu sein, das zählt wie der Verlust eines Lebensjahres. Was für ein Trip! Als ich in den USA aus dem Flieger gestiegen bin, musste ich erstmal meine Beine entfalten. Fix und fertig war ich. 25 Stunden reine Reisezeit intus, obwohl ich keinen Survival-Trip am Amazonas gebucht hatte. Egal, ich war da.

Rund ums schnuckelige Stadion fehlt die Infrastruktur

Die Weltmeisterschaften der Leichtathleten in Biele-, äh, Eugene. Da fragt man sich: Warum? Das Stadion fasst 30.000 Zuschauer - aber nur dünne. Hilfstribünen erhöhen die Kapazität auf eine internationale Standardanforderung. Sonst passen da nur etwa 13.000 Menschen rein. Normale.

Das Stadion Hayward Field ist superschick und schnuckelig, aber die überdachte Tribüne hält weder Regen noch Sonne ab. Rings ums Stadion: der Unicampus und Wohnbebauung. Die wenigen Container für die Medienleute sind klein und tierisch laut. Und wo parken die Leichtathletik-Fans, die ins Stadion wollen? Kommen die alle mit dem Zug? Ach nee, den gibt's hier auch nicht zum Stadion. Verkehrsinfrastruktur wie eine kleine Uni. Ach, ist ja eine.

Vielleicht wird das Rad der Superlative zurückgedreht

Aber reicht "schön und schnuckelig" für "groß und weltmeisterlich"? Würde hier ein Diktator das Zepter schwingen, könnte man den Grund dieser internationalen Zurschaustellung außergewöhnlicher Supersportler erklären. Aber hier sind wir in Eugene.

In der Nachbarschaft sitzt der weltgrößte Sportartikelhersteller. Ein Indiz. Das Rad der Superlative wieder zurückdrehen? Qualität vor Quantität? Vielleicht. Hayward Field. Aha. Ein Stadion, wie für die Leichtathletik gemacht. Der Diskusring steht fast auf dem Mittelkreis, den es ist nicht gibt, weil hier kein Fußball und auch kein Football mehr gespielt wird. Die Zuschauer sitzen direkt an der Bahn.

Können die US-Fans Stuttgart 1993 oder London 2017 überbieten?

Seit fast 100 Jahren ist Eugene Tracktown - also Leichtathletik-Stadt - der USA. Okay, das sagt jede Stadt von sich. Das sind Slogans der PR-Strategen. Beauftragt vom Stadtrat. Aber nein, Eugene in Oregon, das ist Musik in den Ohren eines jeden Leichtathletik-Fans. Das ist wie Wimbledon, wie Maracana, wie Alpe d'Huez, wie Oberammergau oder Eis mit doppelt Sahne. Einfach einzigartig.

Und wir können jetzt gucken, was die Amis als Fans so drauf haben. Die bisher besten Weltmeisterschaften aller Zeiten in Stuttgart 1993 und London 2017 sind weit vorne. Was hat "Stars and Stripes" drauf?

1.000 US-Dollar, um das 100-m-Finale anzuschauen

Die US-Stabhochspringerin Sandi Morris sagte neulich auf einer Pressekonferenz, dass es um den Leichtathletik-Enthusiasmus ihrer Landsleute schlecht bestellt sei: Wenn die 400-m-Ausnahmekönnerin Allyson Felix auf der Straße nicht erkannt würde, dann sei was im Argen.

Aber von welchem Level gehen wir jetzt aus? Die Karten für das 100-m-Finale kosten in der Spitze fast 1.000 US-Dollar - ohne Steak im Goldmantel und Fußmassage auf der Tribüne. Einfach nur gucken, sonst nix. Und der Ami als solcher ist im Kapitalismus firm. Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis. Es scheint ein paar Verrückte zu geben, denen es das wert ist. Dabei könnten sie einfach mal die Glotze anmachen und bekämen noch eine Zeitlupe. ARD und ZDF sind hautnah dabei. Aber der Amerikaner guckt andere Sender.

Im Hayward Field wird für viele Athleten ein Traum wahr

Das Hayward Field verspricht also etwas ganz Besonderes zu werden. Das wissen die Zuschauer und das wissen die Athleten im Speziellen. Für viele wird ein Traum wahr, wenn sie im legendären Stadion in der Tracktown Eugene an den Start gehen. Es wird ein Feuerwerk an guten Leistungen geben, zwei, vielleicht sogar drei Weltrekorde. Es ist angerichtet für die Weltelite der Leichtathletik.

Endlich in Eugene

Und auf meine alten Tage darf ich dieses besondere Erlebnis auch genießen. Ich freue mich riesig - als Zuschauer und Fan, als Experte und Reporter. Ich bin dabei. Endlich. Eugene. Hayward Field. Oregon. Tracktown.

Bei meiner Ankunft kam ein Helfer zu mir und fragte mich, ob ich ein Athlet sei. Wollte der mich veräppeln oder nur nett sein? Trotzdem danke, Uncle Sam.

Das ist Frank Busemann

Geboren:
26. Februar 1975 (Recklinghausen)
Disziplinen:
Zehnkampf, Hürdensprint
Sportliche Erfolge:
Olympia-Silber 1996 (8.706 Punkte)
WM-Bronze 1997 (8.652 Punkte)
U23-Europameister 110 m Hürden 1997 (13,54 Sek.)
Juniorenweltmeister 110 m Hürden 1994 (13,47 Sek.)
Auszeichnungen:
Rudolf-Harbig-Gedächtnispreis 2004
Sportler des Jahres 1996
Karriereende:
23. Juni 2003
Karriere nach der Karriere:
Vorträge/Seminare zum Thema Motivation
Buch-Autor
ARD-Leichtathletik-Experte
(Morgenmagazin, Das Erste, sportschau.de)

Dieses Thema im Programm: Das Erste | Sportschau | 15.07.2022 | 20:20 Uhr