Dokuserie "Generation F" "Springen wirst du nie wieder" - Maryse und ihr Kampf zurück

Stand: 08.02.2022 09:18 Uhr

Weitspringerin Maryse Luzolo ist auf dem Weg in die Weltspitze, als ein schwerer Unfall ihre Karriere-Pläne 2017 vorerst platzen lässt. Fünf Jahre später kämpft sie um ein Olympia-Ticket. Die Dokuserie Generation F begleitete sie dabei.

Von Christiane Schwalm

"Manchmal kommt der Unfall noch mal hoch, oft auch nachts. Ich habe dann wieder das Gefühl, nicht mehr laufen zu können." Die Stimme von Maryse Luzolo klingt dumpf, nicht nur wegen der FFP2-Maske, sondern auch, weil es ihr immer noch schwer fällt über den Trainingsunfall vor viereinhalb Jahren zu sprechen. Die Weitspringerin liegt auf der Physio-Pritsche im Leistungszentrum in Frankfurt. Die Hände des Therapeuten massieren die Muskulatur rund um die Narbe an ihrem linken Knie. Luzolo verzieht gequält das Gesicht.

Es ist eine Szene aus der Dokuserie Generation F. Der Film über Maryse Luzolo macht den Auftakt dieses neuen Formats, das Frauen im Sport in den Mittelpunkt rücken will (hier geht's zum Beitrag in der Mediathek). Die Geschichte von der Frankfurter Weitspringerin ist eine, die ans Herz geht.

Auf dem Weg in die Weltspitze – bis zum Tag des Unfalls

Maryse Luzolo war im Sommer 2017 auf dem Weg in die Weltspitze. Mit ihren damals 21 Jahren gehörte sie zu Deutschlands hoffnungsvollsten Nachwuchstalenten im Weitsprung. Bis zu jenem Tag, an dem ein eigentlich routinemäßiges Krafttraining am Olympiastützpunkt stattfinden sollte. "Mein Trainer hatte mir noch kurz zuvor gesagt, dass er mir in dieser Saison sechs Meter achtzig zutraut", erzählt Luzolo in der Doku. Zur Einschätzung: Damit hätte man bei den Olympischen Spielen in Tokio zu den besten acht Frauen der Welt gehört.

Doch dann setzte sich die Athletin in eine vollautomatische Beinpresse, die fatalerweise falsch eingestellt war, und damit nicht nur ihre Träume zerriss, sondern auch alles, was ein gesundes Knie ausmachte. "Mein vorderes Kreuzband war gerissen, das hintere hatte einen Teilriss, mein Außenband war gerissen, mehrere Sehnen waren durch und ich hatte eine Kapselsprengung. Der Knorpel hatte auch noch etwas abbekommen."

Die Chancen für Leistungssport waren bei null

"Das war für eine Weitspringerin der größtmögliche Unfall, der passieren konnte", fasst ihr Trainer Jürgen Sammert zusammen. Er hatte das Talent 2016 entdeckt und zu sich in die Frankfurter Trainingsgruppe geholt. Beim Unfall selbst war er in einem Nebenraum. Als er das Knie seiner Athletin sah und später die Diagnose der Ärzte und Ärztinnen im Krankenhaus hörte, war er geschockt: "Die Chancen, je wieder Leistungssport machen zu können, waren null. Man sagte uns, Maryse könne froh sein, wenn sie wieder unbeeinträchtigt gehen könne."

Doch Maryse Luzolo ist eine Kämpferin und ewige Optimistin. "Ich habe nie daran gedacht, dass es das jetzt gewesen sein könnte", sagt sie. "Mein Gedanke war nur, dass es jetzt sehr viel schwerer wird, mein Ziel zu erreichen." Ein Ziel, das keineswegs klein war: die Teilnahme an den Olympischen Spielen in Tokio.

Traum Olympische Spiele Tokio

"Ich finde es einfach toll, wie viele Athleten dort zusammenkommen. Ich möchte Teil davon sein, Teil von so etwas Großem", schwärmte Luzolo gleich zu Beginn der Dokuserie, im Frühjahr 2021. Hinter ihr lagen da bereits Zeiten des Schmerzes und der Arbeit. Zeiten, in denen sie nur im Rollstuhl sitzen konnte. Zeiten, in denen sie nur auf Krücken vorsichtige, kleine Schritte machte. Doch die Leichtathletin steckte all ihren Ehrgeiz in das Reha-Programm.

Therapeutin Andrea Schmidt, die sie in dieser Zeit eng begleitete, hat heute noch Tränen in den Augen, wenn sie von Maryse Luzolos ersten freien Schritten auf wackeligen Beinen spricht: "Das ganze Praxis-Team stand zusammen und hat sie angefeuert. Das war, als wenn Weihnachten und Ostern auf einen Tag fallen würden."

Wunder-Comeback 2019

Im Juni 2019 gelang Luzolo dann tatsächlich das Wunder und sie feierte im Rahmen eines kleinen Sportfests ihr Comeback – unterstützt von einem zwanzigköpfigen Fanklub aus Familie und Freunden. "Das hat mir Mut gegeben", sagt die Frankfurterin lächelnd. "Da wusste ich: Okay, ich kann das wirklich schaffen."

Mittlerweile gehört Maryse Luzolo wieder zu den besten Weitspringerinnen Deutschlands, doch jeder Sprung ist bis heute immer auch mit Schmerzen verbunden. Hinzu kommt die psychische Belastung durch den Unfall – Luzolo arbeitet deshalb mit einem Psychologen zusammen.

"Ich möchte beweisen, dass man es trotzdem schaffen kann"

Das Ziel Tokio – vor diesem Hintergrund mehr als ambitioniert. "Die Olympischen Spiele hängen für mich eng mit dem Unfall zusammen", erklärt Maryse Luzolo in der Doku, kurz vor dem alles entscheidenden Normwettkampf.

Sie sitzt angespannt neben der Anlaufbahn, beobachtet die Konkurrentinnen, die vor ihr an der Reihe sind. Im Wettkampf muss Luzolo keine FFP2-Maske tragen, doch selbst mit Mundschutz würde ihre Stimme laut und fest klingen: "Ich möchte beweisen, dass auch, wenn es aussichtslos aussieht, man es trotzdem schaffen kann."