Lukas Hutecek und Nikola Bilyk jubeln

Deshalb ist Österreich so gefährlich Teamgeist, nichts zu verlieren und ein Top-Duo

Stand: 20.01.2024 16:26 Uhr

Bei der Handball-EM trifft Deutschland am Samstag (20.01.2024, live im Ersten, im Livestream und in der Radio-Reportage bei der Sportschau) im zweiten Spiel der Hauptrunde auf die Österreicher. Die sind bisher das Überraschungsteam des Turniers.

Von Robin Tillenburg (Köln)

Gegen Island hatte das DHB-Team in einem hart umkämpften, engen Spiel das bessere Ende für sich, machte aber in der Offensive deutlich zu viele Fehler. Bundestrainer Alfred Gislason hatte mehr gewechselt als sonst und einige junge Spieler wie Martin Hanne konnten in einem heißen Duell auf Top-Niveau wichtige Minuten sammeln.

Dass das Spiel gegen bissige Isländer auch deshalb vorne nicht ganz so rund lief und diverse klare Wurfgelegenheiten vom Kreis, dem Siebenmeterpunkt oder Außen liegen gelassen wurden, könnte man positiv als "Lerneffekt" verkaufen. Auch Gislason sprach in der Analyse nach dem Spiel davon, dass diese Erfahrungen seiner Mannschaft "extrem viel gebracht" hätten. Diesen beschworenen Lerneffekt wird es gegen den nächsten Kontrahenten aber auch brauchen.

Österreich hat jetzt schon alle überrascht

Die Deutschen sind mit hohen Erwartungen in dieses Turnier gegangen - im eigenen Land träumte man schon vor Turnierbeginn irgendwie vom Halbfinale - ein Stück weit logisch, bei der vergangenen WM wurde man schließlich Fünfter. Solche Erwartungen können eine unerfahrene Mannschaft durchaus auch mal verunsichern. Das sind Probleme, die der nächste Gegner des DHB-Teams in der Hauptrunde so gar nicht hat.

Die Österreicher sind nämlich unter anderem auch deshalb so gefährlich, weil sie ihr Soll längst erreicht und sogar überschritten haben. Dass die Mannschaft von Trainer Ales Pajovic die Vorrundengruppe überstehen und Spanien hinter sich lassen würde, darauf hätte wohl kaum jemand gewettet. Dass die Österreicher nach dem ersten Spieltag in der Hauptrunde im Turnier noch ungeschlagen und auf Halbfinalkurs sein würden, wohl noch viel weniger.

"Wir haben in der Vorrunde Spanien und Kroatien einen Punkt abgeluchst und jetzt einer sehr starken ungarischen Mannschaft zwei Punkte. Wenn wir da nicht auf der Welle weiterreiten, dann weiß ich auch nicht. Da muss keiner mehr motiviert werden", sagte Rechtsaußen Robert Weber nach dem hauchdünnen Sieg der Österreicher gegen Ungarn am Donnerstagabend. Und auch Deutschlands Keeper Andreas Wolff schrieb den Österreichern einen "absoluten Hype" zu und nannte sie das "Team der Stunde".

Starker Teamgeist hilft in engen Spielen

Auf den klaren Auftakterfolg gegen harmlose Rumänen folgten eben die Remis gegen Spanien und Kroatien und der knappe Erfolg gegen die Ungarn. Dabei lagen Nikola Bilyk und Co. sowohl gegen Kroatien als auch gegen Ungarn am Anfang relativ klar zurück, kämpften sich aber wieder herein und hatten taktisch immer wieder gute Antworten.

Österreichs Coup gegen Spanien - die Schlussphase

Sportschau Handball-EM 2024, 16.01.2024 23:20 Uhr

Zudem hatte der deutsche Nachbar in den engen Schlussphasen die nötige Entschlossenheit - der Teamspirit sei es, der die Mannschaft besonders mache, sagen die Bundesligaprofis Bilyk (Kiel) und Lemgos Lukas Hutecek. Auf diversen Videos aus der Kabine kann man erahnen, dass das wohl stimmt - und gemeinsam singen können sie auch.

Genau die beiden sind es, die aus der mannschaftlichen Geschlossenheit bisher herausragen. Beide müssen extrem viel spielen und bilden den linken Rückraum und die Rückraummitte. Sie sind mit Siebenmeterschütze Weber die besten Torjäger.

Angriff: Siebter Feldspieler und das Duo Bilyk/Hutecek

Die Ungarn hatten sich am Anfang des Spiels auf das Duo eingeschossen. Die Österreicher spielten fast immer im Angriff den Ball direkt auf Bilyk, der dann mit seiner Dynamik auf seinen Gegenspieler zuging, den Zweikampf suchte oder das Spielgerät auf die Mitte weiter passte, wo Hutecek immer wieder den Abschluss suchte.

Manchmal räumten die Österreicher auch auf der rechten Seite ab. Weil aber von der halbrechten Position nicht die ganz große Torgefahr ausging, teilweise spielte man dort sogar mit dem Rechtshänder Markus Mahr, konnten die Ungarn sich auf das Spiel einstellen.

Trainer Pajovic setzte dann aber, wie zum Beispiel auch gegen Spanien, vermehrt auf den siebten zusätzlichen Feldspieler. Dadurch, dass nun im Angriff zwei Kreisläufer, darunter der extrem bullige Tobias Wagner, die Abwehrspieler beschäftigten, hatten Bilyk und Hutecek wieder mehr Platz für ihre Aktionen - und der Mut wurde belohnt. 14 der 30 Tore gingen auf das Konto des Duos.

DHB-Team braucht Gefahr aus dem Rückraum

In der Abwehr sind die Österreicher sehr fleißig und beweglich, ähnlich wie die Isländer, die die Deutschen ja durchaus auch nervten. Sie hatten aber gerade gegen die Ungarn gegen die Kombination aus physischen Kreisläufern und gewaltigen Rückraumwürfen Probleme.

Für den DHB könnte es also helfen, wie Bundestrainer Alfred Gislason auch schon mehrfach gefordert hat, vermehrt auch Gefahr aus dem Rückraum auszustrahlen, um Johannes Golla am Kreis mehr Platz zu verschaffen. Es könnte zum Beispiel ein Spiel für den wurfgewaltigen Sebastian Heymann werden.

Entscheidend für Österreichs Defensivleistung war bisher auch, dass sie in Constantin Möstl einen echten Rückhalt zwischen den Pfosten hatten. Der 23-Jährige war in der zweiten Hälfte gegen die Ungarn mit einigen gehaltenen freien Würfen ein entscheidender Faktor.

Wenig Wechsel - Leistungsträger am Limit?

Neben der geringeren Torgefahr aus dem rechten Rückraum, das sieht bei den Deutschen übrigens ähnlich aus, ist die größte Schwäche der Mannschaft wohl ihre Kadertiefe. Hutecek gibt zu: "Wir sind sehr am Limit alle. Wir haben eine eher kleinere Rotation."

In einem Turnier, in dem jeden zweiten Tag ein Spiel ansteht und angesichts der Tatsache, dass die Österreicher nun das dritte Spiel in Serie hatten, in dem ihre Leistungsträger fast komplett durchspielen mussten, werden die Kraftreserven im weiteren Turnierverlauf womöglich für sie bald ein größeres Thema.

Bei schwindenden Kräften kann manchmal zusätzliche Motivation helfen - und auf das Spiel gegen Deutschland freuen sich alle, die danach gefragt werden. Zu verlieren haben sie ohnehin nichts und diese "gewisse Lockerheit, die uns auszeichnet und mit der wir auch weiter durch das Turnier gehen werden", wie der ehemalige Bundesligaspieler Weber es nennt, macht die Österreicher auch am Samstag besonders gefährlich.