Harry Kane

Tottenhams brenzlige Lage Die andere Seite der Kane-Hängepartie

Stand: 04.08.2023 19:59 Uhr

Seit Wochen dreht sich bei Bayern München alles um die Frage: Kommt Harry Kane? Und wenn ja, wie teuer wird er? Diese Hängepartie liegt auch an der Situation der Tottenham Hotspur. Die stehen vor einem Neuanfang und entsprechend unter hohem Druck.

Beim Poker geht es darum, durch gute Karten oder gutes Bluffen seinen Gegnern möglichst viele Chips abzunehmen. Ersetzt man nun Poker mit Transferverhandlungen und Chips mit Millionen Euro, ist das ein gutes Bild für das mittlerweile verbissene Werben des deutschen Rekordmeisters FC Bayern München um den britischen Star-Angreifer Harry Kane (30 Jahre) von Tottenham.

FCB-Ehrenpräsident Uli Hoeneß gab sich Mitte Juli optimistisch, Kane loseisen zu können: "Er hat in allen Gesprächen ganz klar signalisiert, dass seine Entscheidung steht. Und wenn die bleibt, dann kriegen wir ihn." Bayerns neuer Vorstandsboss Jan-Christian Dreesen und der Technische Direktor Marco Neppe reisten kürzlich nach London, der Durchbruch lässt aber trotz eines kolportierten Angebots von 90 Millionen Euro auf sich warten.

Tottenham befindet sich in sportlicher Depression

Das zähe Pokerspiel liegt auch an internen Problemen des Londoner Klubs, der zwei Trainerentlassungen in der vergangenen Saison hinter sich hat. Tottenham befindet sich in einer Art Depression, nachdem das internationale Geschäft mit Platz acht (Aston Villa landete mit einem Punkt mehr in der Conference-League-Qualifikation) verpasst wurde – eine Peinlichkeit für die "Spurs" und ihren milliardenschweren Eigentümer Joe Lewis.

Auch ganz abgesehen davon, dass besagtem Milliardär derzeit Insiderhandel von der US-Justiz vorgeworfen wird und er nur aufgrund einer Kaution von 300 Millionen US-Dollar auf freiem Fuß ist, findet sich bei Tottenham Sand im Management-Getriebe.

"Spurs" müssen Qualitätsverlust händeringend verhindern

Lewis' Geschäftspartner und Vereinsboss Daniel Levy muss nun alleine händeringend das Versinken in der internationalen Bedeutungslosigkeit verhindern, denn das Verpassen des europäischen Geschäfts macht andere Top-Klubs für die Stars eben interessant.

Auf der Zugangsseite hat Tottenham bislang für handelsübliche, englische Verhältnisse eingekauft: Der offensive Mittelfeldmann James Maddison (Leicester City) kam für gut 46 Millionen Euro, Rechtsverteidiger Pedro Porro (Sporting Lissabon) für 40, Rechtsaußen Dejan Kulusevski (Juventus Turin) für 30. Und Torwart Guglielmo Vicario (FC Empoli) kostete 20 Millionen Euro.

Wird Kane für Tottenham zu einem "Lewandowski-Problem"?

Jemand, der in die Fußstapfen von Kane treten könnte, ist noch nicht dabei. Wenig verwunderlich, denn in diesem Segment kosten gerade Weltklasse-Mittelstürmer wegen ihrer Seltenheit mittlerweile so viel wie in der Bundesliga der ganze Kader eines mittelgroßen Klubs. Insofern fürchtet Tottenham analog zu den Münchnern, die vor nicht allzu langer Zeit den Abgang von Robert Lewandowski nicht kompensieren konnten, und deshalb nun hinter Kane her sind, einen massiven sportlichen Verlust.

Denn der 30-Jährige ist gemeinsam mit Heung-min Son letzter Bestandteil der Zeit unter Mauricio Pochettino zwischen 2014 und 2019, als Tottenham jeweils einmal an der englischen Meisterschaft und dem Champions-League-Sieg vorbeischrammte, außerdem ein Dauerabo auf das europäische Geschäft hatte.

Das Zeitspiel der Londoner, die sich wohl schlicht noch mehr Geld von Bayern erhoffen, um bis zum 1. September (Ende der Transferphase) zumindest ansatzweise adäquaten Ersatz für den abwanderungswilligen Star zu organisieren, ist also auch aus der Not des Abwärtstrends heraus geboren.

Neuer Trainer mit sportlichen und fandiplomatischen Aufgaben

Dass ausgerechnet der Kapitän der englischen Nationalelf, das Gesicht seines Jugendklubs, wechselwillig ist, belastet an sich sowieso die bereits getrübte Stimmung. Auch unter den Fans, die ohnehin schon nicht gut zu sprechen sind auf die Ticketpreiserhöhung des Vereins zur neuen Spielzeit, denn sportlich hängen doch eher dunkle Wolken über den "Lilywhites".

Ange Postecoglou, Trainer von Tottenham Hotspur

Ange Postecoglou, Trainer von Tottenham Hotspur, schaut während einer Pressekonferenz finster drein.

Der neue australische Trainer Ange Postecoglou hat also sportlich als auch fandiplomatisch einen langen Aufgabenzettel. Er erklärte zuletzt beim Amtsantritt in fast schon pastoralem Ton, "der Neuaufbau" Tottenhams sei eine reizvolle Herausforderung.

Doch auch für Postecoglou ist Kane ein absolutes Reizthema. Als ein "Bild"-Reporter während der Australien- und -Asien-Reise Tottenhams Coach mit einem Bayern-Trikot mit Kane-Flock bewusst provozierte, verhagelte auch ihm das die Laune: "Du bist einen langen Weg für den Lacher gekommen. Klasse. Hoffentlich hat es sich gelohnt." Eine gute Stimmung in Nord-London wiederherzustellen, wird ein Kraftakt. Ob mit oder ohne Kane.