Eishockey | DEL DEL: Nach Corona schneller zurück aufs Eis - Teamärzte protestieren

Stand: 24.03.2022 17:00 Uhr

Kurz vor den Playoffs hat die Deutsche Eishockey Liga das Return-to-Play-Protokoll ausgesetzt - und damit den Vereinen beim Umgang mit Coronafällen freie Hand gelassen. Die Mannschaftsärzte finden das unverantwortlich - und protestieren.

Es dauert nicht mehr lange, dann beginnt in der Deutschen Eishockey Liga (DEL) die heiße Phase: die Playoff-Spiele, die für die meisten Fans mehr als nur das Salz in der Suppe sind. Das ist in einer Saison mit zahllosen Spielverlegungen und Corona-Fällen sicherlich keine Selbstverständlichkeit. Doch hinter den Kulissen hat sich gewaltig Unmut angestaut.

Jochen Veit, Mannschaftsarzt der Iserlohn Roosters, machte bei einer Fortbildungsveranstaltung in Mainz mit renommierten Sportmedizinern aus verschiedenen Sportarten öffentlich, dass die DEL ausgerechnet jetzt das so genannte "Return-to-Play"-Protokoll außer Kraft setzt. Überdies ging die Information nicht in einem Rundschreiben an die Mannschaftsärzte, sondern an die (deutlich weniger medizinisch qualifizierten) Hygienebeauftragten.

Es soll unbedingt zu Ende gespielt werden

Zu vermuten ist: Es soll unbedingt zu Ende gespielt werden. Die Spieler sollen nach Corona-Erkrankungen so schnell zurück aufs Eis gebracht werden, wie es nur geht.

Das "Return-to-Play"-Protokoll wurde zu Anfang der Pandemie von der Verwaltungsberufsgenossenschaft (VBG) als Handlungshilfe für die Rückkehr in den Sport nach einer Covid-Erkrankung erstellt, federführend hat daran Axel Gänsslen, Teamarzt der Grizzlys Wolfsburg mitgearbeitet. Gerade wegen möglicher Long-Covid-Folgen eine wichtige Vereinbarung.

"Das sind bindende Faktoren für die Rückkehr und verbunden mit einer einheitlichen Teststrategie", erklärt Veit, der mit einer Mixtur aus Verwunderung und Entsetzen auf die Aussetzung reagiert hat. "Das ist ein Schlag ins Gesicht. Wir Teamärzte waren uns einig, dass wir sofort reagieren müssen. Das ist weder in unserem Sinne noch sinnhaft", sagt der 49-Jährige gegenüber der Sportschau.

"Es kann nicht sein, dass jeder Verein je nach Verantwortungsbewusstsein macht, was er will. Wir halten ein komplettes Aussetzen des Protokolls für nicht zielführend", bestätigt auch der Wolfsburger Teamarzt Gänsslen der Sportschau. Unter seiner Leitung haben bereits zwei digitale Konferenzen mit den Mannschaftsärzten stattgefunden, an der sich 13 DEL-Klubs beteiligten.

Die Mediziner haben daraufhin ein Protestschreiben verfasst und am Montag (21.03.2022) an die DEL gesandt. Tenor: Die bislang erprobten Algorithmen sollten in dieser Saison unbedingt beibehalten werden.

"Schlecht für die Spieler, schlecht für die Gesundheit"

"Sonst ist das schlecht für die Spieler, schlecht für die Gesundheit", betont Gänsslen, "das Risiko ist nicht akzeptabel." Die Herzmuskelentzündung des erst 23-jährigen Eishockey-Nationalspielers Lean Bergmann von den Adlern Mannheim, der bereits die WM in Finnland verpasste, müsste eigentlich alle hellhörig machen.

Das entsprechende Schreiben haben zusätzlich Stefan Ehler (ERC Ingolstadt), Martin Fleckenstein (Red Bull München), Thomas Hirn und Bernd Langenstein (Nürnberg Ice Tigers) unterzeichnet, die als Ansprechpartner dienen.

Die DEL erklärt auf Anfrage der Sportschau, dass sie am 11. März dieses Jahres von der VBG informiert wurde, dass das Return-to-Play-Protokoll als Handlungshilfe "aufgrund der veränderten Pandemielage - hier insbesondere neue Virusvarianten, deren Infektiosität und Auswirkung auf infizierte Personen - nicht mehr aktuell sei. Die VBG hat deswegen diese Handlungshilfe zurückgezogen. In Folge dessen mussten wir den entsprechenden Verweis auch aus unserer Richtlinie entfernen".

Die DEL beruft sich auf die Verwaltungsberufsgenossenschaft

Grundsätzlich dürfe ein Klub einen Spieler nur dann einsetzen, "wenn er dazu auch körperlich (und mental) in der Lage ist", schreibt die DEL. "Das ist eine Forderung aus dem Arbeitsschutz. Sollten nach einer entsprechenden Erkrankung (oder Verletzung) Zweifel an der Tauglichkeit bestehen, dann sollte der behandelnde Arzt kontaktiert werden. Ob und wann ein Spieler wieder arbeitsfähig sei, entscheidet jeweils der behandelnde Arzt."

Die DEL räumt ein, dass es von der VBG derzeit keine Empfehlungen gibt, "wie nach einer Covid-Erkrankung vorgegangen werden sollte."

Man sei aber im Austausch mit den Mannschaftsärzten und würde eine aktualisierte Handlungshilfe avisieren, "welche auch mit VBG abgestimmt werden soll: Diese werden wir sofort wieder in unser Return-to-Play-Protokoll als Empfehlung aufnehmen".

Aber nicht als Verpflichtung. Derzeit würden, teilt die DEL mit, insbesondere mit Kardiologen Gespräche geführt, um zur neuen Saison wieder umfangreiche Handlungsempfehlungen für Ärzte und Manager zu geben. In dieser vom tückischen Virus zerfurchten Spielzeit heißt es aber auf der Zielgeraden offenbar: Augen zu und durch.

Alle Vorsichtsmaßnahmen fliegen über Bord

Dabei war die DEL zu Beginn der Corona-Krise doch die erste Profiliga in Deutschland, die bereits am 10. März 2020 noch vor der Fußball-Bundesliga den Spielbetrieb aus Fürsorge um die Gesundheit der Spieler unterbrach - und gar keinen Meister in jener Saison kürte.

Zwei Jahre später erfolgt die Rolle rückwärts - alle Vorsichtsmaßnahmen fliegen über Bord. Veit machte diesen Widerspruch auch in seinem Vortrag vor den Ärztekollegen am vergangenen Samstag (19.03.2022) in der Praxis von Stefan Mattyasovszky, einer der Mannschaftsärzte des Fußball-Bundesligisten 1. FSV Mainz 05, aufmerksam.

Wie dringend die Problematik von Corona-Folgen speziell im Eishockey ist, darüber hatte Veit kürzlich in der Sportärztezeitung publiziert. Der Allgemeinmediziner mit Zusatzbezeichnung Sport- und Präventivmedizin aus Nordwalde hatte einen Corona-Massenausbruch bei den Iserlohn Roosters über die Jahreswende untersucht, als sich über eine Busfahrt insgesamt 25 Personen mit dem Virus infizierten.

Obwohl alle geboostert, geimpft oder genesen waren. Der 49-Jährige war entsetzt, was er bei Untersuchungen während der Quarantäne im Vollschutz herausfand - und worauf er weitere Fachexperten dazuholte.

Es geht den Medizinern nicht um Panik, sondern um Verantwortung

In sechs Fällen war der Herzwert erhöht, bei einem Spieler wurde ein Perikarderguss diagnostiziert. Nicht auszudenken, wenn dieser zu früh Sport getrieben hätte.

Veit warnte öffentlich davor, dass die Omikron-Variante bei Leistungssportlern nur harmlos verläuft. Selbst bei asymptomatischen Verläufen sei eine Sportpause von mindestens zwei Wochen dringend zu beachten (die Sportschau berichtete). Seine Botschaft: "Die schnelle Rückkehr in den Sport halte ich für brandgefährlich."

Doch anstatt nach diesen wissenschaftlichen Erkenntnissen aus eigenen Reihen mehr Vorsicht walten zu lassen, beschließt die DEL nun das Gegenteil - und stellt den Vereinen sowohl die Testhäufigkeit als auch den Umgang nach Coronafällen frei.

Ebenso wenig wie Veit will das auch Gänsslen so verantworten. Auch er spürt, dass er sich mit dem Gros des oft unter schwierigen Bedingungen arbeitenden medizinischen Personals der DEL in einem aufgeladenen Spannungsfeld bewegt.

Der Oberarzt am Wolfsburger Klinikum hat sich über das Eishockey hinaus einen Namen als Mediziner gemacht und ein Buch über Gehirnerschütterungen geschrieben, das dieses Jahr veröffentlicht wird, um vor den Folgen nach Kopfverletzungen zu warnen.

Genau wie Kollege Veit geht es dem 55-Jährigen mitnichten darum, Panik zu schüren. Aber aus ihrer Sicht fährt das DEL-Büro in Neuss einen deutlich zu risikoreichen Kurs, wenn es in die heiße Phase geht.