American Football NFL - Das Dilemma um Deshaun Watson

Stand: 28.07.2021 12:25 Uhr

Top-Quarterback Deshaun Watson will seine Houston Texans verlassen - sportlich wäre eine Verpflichtung für viele Teams eine große Chance. Doch dem 25-Jährigen wird von mehreren Frauen Belästigung vorgeworfen. Die Situation ist schwierig.

Deshaun Watson meldete sich diese Woche zum Trainingcamp - also zum Auftakt der Teamvorbereitung der Houston Texans auf die neue NFL-Saison. Das war aus mehreren Gründen vor einigen Monaten noch nicht abzusehen.

Houston will sich jetzt doch Angebote anhören

Denn schon im Januar hatte Watson nach einer sportlich persönlich überragenden Saison seinen Wunsch nach einem Wechsel öffentlich geäußert. Der restliche Kader der Texans genügt nach einigen missglückten Personalentscheidungen der vergangenen Jahre nicht mehr gehobenen NFL-Ansprüchen und sieht auf dem Papier sogar wie der schlechteste der Liga aus.

Watson ist einer der besten Quarterbacks der NFL und möchte mit seinem noch vier Jahre andauernden und über 150 Millionen Dollar umfassenden Vertrag gern zu einem anderen Team getradet werden. Diese Forderung besteht weiterhin. Houston hatte dem damals einen Riegel vorgeschoben und betont, kein Interesse an einem Trade zu haben. Das hat sich jetzt offenbar geändert, die Texans ließen verlauten, dass sie bereit wären, sich Angebote für ihren besten Spieler anzuhören.

Über 20 Klagen wegen Übergriffen - auch NFL ermittelt

Im Frühjahr war bekannt geworden, dass einige Frauen Watson wegen Nötigung und/oder sexueller Belästigung verklagen. Über die folgenden Wochen wurden es immer mehr - inzwischen ist die Anzahl an Klagen auf über 20 angewachsen. Watson soll sich gegenüber den Frauen größtenteils während Massagebehandlungen teilweise entblößt und/oder sie unsittlich angefasst und belästigt haben.

Der Superstar beteuert seitdem konsequent seine Unschuld. Die Ermittlungen der Justiz laufen weiterhin - die der Liga ebenfalls, wie die NFL jüngst noch einmal bestätigte. Denn die NFL ermittelt in solchen Fällen immer auch nochmal selbst, um bei entsprechender Beweislage gegebenenfalls auch schneller und nach den eigenen Richtlinien reagieren zu können. So geschehen beispielsweise bei Kareem Hunt im Jahr 2019. Damals war ein Video aufgetaucht, in dem der Running Back eine Frau trat - die Liga sperrte ihn für acht Spiele, juristisch verurteilt wurde er nie.

Lage ungeklärt - Teams müssten "zocken"

Es wird erwartet, dass der juristische Prozess sich im Fall Watson noch in die Länge ziehen wird. Die Liga befindet sich also in einer schwierigen Situation - die eigenen Ermittler haben offenbar noch nicht genügend herausgefunden, um eine Entscheidung zu treffen. Watson darf bis auf Weiteres weiter an Teamaktivitäten teilnehmen - und in der Theorie eben auch spielen. Der dreifache Pro Bowler ist eines der Gesichter der NFL - die dürfte dementsprechend großes Interesse an der Unschuld des Quarterbacks haben. Vielleicht spielt auch das beim Zögern der sonst ziemlich entscheidungsfreudigen Verantwortlichen eine Rolle, vielleicht ist es aber tatsächlich einfach die noch unklare Beweislage.

Für Watsons sportliche Zukunft sind diese Vorgänge natürlich von entscheidender Bedeutung - und das sorgt dafür, dass möglicherweise interessierte Teams jetzt genau abwägen müssen, ob sie "zocken" wollen.

Stolzer Preis und große Ungewissheit

Zwar haben die Texans einen stolzen Preis ausgerufen, der je nach Bericht zwischen drei und fünf Erstrundenpicks in den kommenden NFL-Drafts liegen soll. Doch wären die Belästigungsvorwürfe nicht, würden einige Teams das wohl ohne großes Zögern bezahlen. So einen Superstar als Quarterback, der erst 25 Jahre alt ist, bekommt man in der Regel in der NFL gar nicht über einen Trade. Watsons exorbitantes Gehalt müssten die Teams zwar ebenfalls stemmen, doch es gibt genügend Mechanismen, mit denen zumindest einige Klubs das hinbekommen würden.

Doch würde man einen solch hohen Preis jetzt bezahlen und Watson dann in einigen Wochen zum Saisonstart von der NFL gesperrt oder tatsächlich rechtskräftig verurteilt und möglicherweise mit einer Haftstrafe bedacht, hätte das entsprechende Team seine kurzfristige Zukunft wohl ziemlich verbaut. Eine Sperre von einigen Spielen wäre zu verkraften, wenn man wüsste, dass Watson danach für die kommenden Jahre spielen wird. Ein Übergangsjahr würden die meisten Klubs, die jetzt Interesse haben könnten, für einen Spieler dieses Kalibers wohl in Kauf nehmen.

In einem Jahr könnte Watson noch deutlich teurer werden

Der aus Sicht der doch sehr am sportlichen Erfolg orientierten Verantwortlichen wohl weniger schwerwiegende, aber auch nicht zu verachtende Grund, der gegen eine Watson-Verpflichtung sprechen würde: Imagetechnisch sieht die Verpflichtung eines potenziellen Sexualstraftäters nicht unbedingt gut aus. Ethische Bedenken stehen in der NFL allerdings traditionell auf der Agenda der Manager nicht ganz oben.

Auf der anderen Seite ist die Gelegenheit gerade "günstig". Denn Watson wäre bei bewiesener Unschuld oder nach abgesessener Strafe im kommenden Jahr wohl noch teurer. Die Konkurrenz wäre nämlich deutlich größer - so kurz vor der Saison haben sich die meisten Teams auf einen Quarterback festgelegt und entlohnen diesen wichtigsten Spieler im Team eben auch fürstlich. Im kommenden Sommer sähe die Planung bei einem potenziell verfügbaren Watson da schon wieder anders aus.

Denver oder Philadelphia könnten interessiert sein

Die Philadelphia Eagles oder die Denver Broncos scheinen aus sportlicher und finanzieller Sicht momentan die wahrscheinlichsten Kandidaten zu sein. Beide könnten in einer Verpflichtung einen kurzfristigen Sprung in den erweiterten Kreis der Titelkandidaten wittern.

Aber riskiert gerade Denver, das ein junges, vielversprechendes Team hat, die rosig aussehende Zukunft mit einem solchen "Zocker-Move"? Und was macht Watson, wenn gar kein Team den entsprechenden Preis bezahlen will?

Eine schnelle Klärung scheint aktuell nicht in Sicht. Die Situation um den Superstar dürfte noch einige Wochen die Schlagzeilen rund um die NFL dominieren.