Trainerin der schweizer Damen Biathlon-Mannschaft Sandra Flunger beim Weltcup.

Biathlon Die Bessermacherin - Sandra Flunger und das Schweizer Biathlon

Stand: 11.01.2023 10:52 Uhr

Die Schweizer Biathletinnen sorgen momentan mit starken Ergebnissen für Aufsehen. Nach zwei enttäuschenden Jahren ist die Euphorie zurück - das liegt auch an Trainerin Sandra Flunger.

Es ist richtig was los am Schießstand in der Ruhpoldinger Chiemgau-Arena. Vor dem Start der Weltcup-Woche in Bayern stehen die Schützinnen beim Training aufgereiht auf den Matten und feuern einen Schuss nach dem anderen ab. Nach fünf Schüssen folgt meist bei allen Athletinnen ein Blick zurück - zu den Trainerinnen und Trainern. Wo lagen die Treffer? Wo die Fehlschüsse? Wie muss nachjustiert werden?

Gewusel am Schießstand

Für den Laien könnte die Situation am Schießstand mitunter unübersichtlich bis chaotisch wirken. Es wird viel gesprochen und gewuselt - bei gut 100 Sportlerinnen aus mehr als 20 Nationen kein Wunder. "Elisa, passt. Aber leicht links", ruft Sandra Flunger ihrer Athletin Elisa Gasparin, die gerade den Schießstand verlässt, zu. Die 40-jährige Trainerin des Schweizer Frauen-Teams ist mittendrin im Gewimmel.

Mit stoischer Ruhe schaut sie durch ihr Fernglas Richtung Zielscheiben und notiert das Gesehene handschriftlich. "Ich mag solche Trainingseinheiten, da ist das ganze Feld da", erzählt die Österreicherin. "Ich bin sehr gerne unter Menschen. Hier ist richtig viel Bewegung und trotzdem muss man die Konzentration auf den Punkt bringen. Das macht den Biathlon aus.“

Biathlon - Liebe, Leidenschaft und Beruf zugleich

Sandra Flunger ist ein Kind des Biathlons. Ihr Onkel Alfred Eder ist mehrmaliger WM-Medaillengewinner, ihr Cousin Simon Eder seit zwei Jahrzehnten bekannter Schnellschütze und österreichischer Leistungsträger im Weltcup-Zirkus. Schon mit sechs Jahren beginnt Flunger mit dem Sport, den sie so liebt. "Es ist das Schönste, wenn man das Hobby zum Beruf machen kann", konstatiert sie. 

Ihre aktive Karriere endet früh - mit nur 21 Jahren ist Schluss. Kurz und knapp begründet sie das Aus später: Sie habe absehen können, "dass das nichts wird. Ich war nicht mehr glücklich mit dem, was ich investiert habe und was am Ende bei rausgekommen ist." Ehrlich und selbstreflektiert - das macht die Flunger bis heute aus. Dafür wird sie im Weltcup geschätzt.

"Wie Klassenzimmer in der freien Natur“

Nach ihrer Karriere studiert Flunger Deutsch und Sport auf Lehramt in Salzburg. Nach Abschluss des Studiums zieht es sie jedoch sofort zurück zu ihrer großen Leidenschaft - dem Biathlon. Sie beginnt zunächst in Österreich und seit 2018 dann als Chefin des Schweizer Frauen-Teams mit dem Trainerjob. "Ich habe auf Lehramt studiert und letztendlich sind die Biathlonstrecken ein bisschen wie Klassenzimmer in der freien Natur.“ 

Die Schweizer Biathletinnen sind momentan in Topform. Vergangene Woche im Sprint und in der Verfolgung auf der Pokljuka landeten vier der fünf Skijägerinnen unter den Top 20. Ein Novum. Dazu ging es in der Single-Mixed-Staffel auf das Podest - in der Mixed Staffel wurde die Schweiz Vierte. Es ist ein Erfolg und eine Entwicklung mit Ansage. "Wir haben gewusst, dass die drei erfahrenen Biathletinnen ihre Hausaufgaben im Sommer gemacht haben", berichtet Flunger.

Stellt sich also die Frage nach dem Schlüssel des Erfolges. Und bei der Nachforschung fällt ein Wort besonders häufig: Teamspirit. "Wir haben eine riesengroße Energie im Team. Wir pushen uns alle gegenseitig", gibt Amy Baserga, eine der aufstrebenden Schweizer Biathletinnen, Einblicke ins Innenleben der Gruppe. "Harmonisch, so würde ich die Stimmung bei uns in einem Wort beschreiben“, ergänzt Aita Gasparin. Die 28-Jährige ist bislang die erfolgreichste Schweizerin in diesem Winter - momentan belegt sie den 18. Platz in der Weltcup-Gesamtwertung. 

Durch Zusammenhalt zum Erfolg

Dieser Teamspirit, den Trainerin Sandra Flunger heraufbeschworen hat, kommt vor allem in den Staffelwettbewerben zum Tragen. Die Schweizerinnen laufen regelmäßig um die Podestplätze mit - es scheint eine Frage der Zeit, bis es erstmals in dieser Saison klappt. Die positive Entwicklung nach zwei enttäuschenden Jahren mit schwachen Ergebnissen bringen die Biathletinnen klar auch mit Sandra Flunger in Verbindung. "Sie als Trainerin ist eine super Unterstützung für uns Mädels“, erzählt Amy Baserga. "Wir fünf können nämlich auch mal turbulenter sein. Sandra bleibt dann ruhig und holt uns auf den Boden runter."

Ruhe, Gelassenheit aber auch ein extrem hoher Anspruch an ihre Athletinnen - diese Kombination kommt bei den Schweizer Biathletinnen an. "Die Komplimente bei unserer Trainerin sind eher rar", sagt Aita Gasparin und schmunzelt. "Wenn sie dann aber kommen, ist es doppelt schön. Sandra schaut sehr genau auf uns Athletinnen. Aber nicht nur mit dem Trainingsplan - sie kann man auch um zwölf Uhr nachts noch anrufen und sie hat immer die richtigen Worte parat."

Aus Individualisten eine Einheit kreieren

Vertrauen - das ist noch so ein Wort, was im Gespräch mit den Schweizerinnen häufig fällt. Sandra Flunger betrachtet den Job der Trainerin ganzheitlich - es geht eben nicht nur darum schneller zu laufen und genauer zu schießen - sondern eine Atmosphäre zu kreieren, in der aus Individualisten eine Einheit wird. Auf und neben der Strecke.

Dafür gibt es dann Teambuilding-Maßnahmen: Das reicht vom gemeinsamen Gläschen bis zu überraschend intensiven Abenden im Hotel. Aita Gasparin: "Sobald es um Brett- oder Ballspiele geht, ist sie richtig ambitioniert - aber auf eine wirklich lustige Art."

Eine Goldmedaille als Krönung

Der jüngste Erfolg bei den Schweizerinnen hat auch mit der neuen Zusammensetzung des Trainerteams zu tun. Der Cheftrainer der Männer ist neu - dazu kam ein neuer Techniktrainer. In zwei Jahren findet erstmals eine Biathlon-WM in der Schweiz statt. Das bedeutet auch, dass die Aufmerksamkeit für den Biathlon und die mediale Präsenz nun stetig zunehmen wird.

Auf dieses Highlight arbeitet das Schweizer Team hin. "Jeder Coach hat das Ziel, mal mit einer Athletin ganz oben zu stehen", blickt Flunger auf ihre persönlichen Träume. "Ich hätte nichts gegen eine Goldmedaille“, sagt sie und lacht.