Lukas Dausern am Barren

Turn-WM Drei Deutsche in den Einzelfinals: Das sind die Anforderungen

Stand: 06.10.2023 11:29 Uhr

Bei der WM turnt Pauline Schäfer-Betz im Finale am Schwebebalken, Lukas Dauser am Barren, Nils Dunkel am Pauschenpferd. Drei Finals, drei spezielle Turngeräte. SWR Sport beantwortet die wichtigsten Fragen.

Am letzten WM-Wochenende werden noch zehn Titel vergeben. Bei den Frauen am Sprung, Stufenbarren, am Schwebebalken und beim Bodenturnen. Die Männer turnen ebenfalls um die Titel am Sprung und am Boden, dazu kommen Pauschenpferd, Ringe, Barren und Reck. Die Punktzahl, mit der sich die acht Besten für das Finale qualifiziert haben, wird gestrichen. Alle Finalist:innen beginnen bei null.

Auslosung der Startreihenfolge schon Monate vor der WM

Einfluss hat die Platzierung im Qualifikationswettbewerb nur auf die Startreihenfolge im Finale. Die wird allerdings schon Monate vorher ausgelost. Turner:innen starten dabei nicht in umgekehrter Reihenfolge ihrer Platzierung in der Qualifikation. So kommt es, dass Lukas Dauser, der beste Barrenturner in der Qualifikation, als Siebter ans Gerät geht und dann noch warten muss, bis der letzte Turner (der Drittbeste der Qualifikation) am Gerät war. Pauline Schäfer-Betz als Viertbeste der Qualifikation muss gleich als zweite Turnerin an den Schwebebalken. Nils Dunkel, als Achter noch ins Finale gerutscht, turnt als Vierter am Pauschenpferd.

An jedem einzelnen Turngerät gibt es spezielle Anforderungen, Aufgaben, Übungselemente, Kompositionen. Jede Übung besteht aus zwei Wertungsteilen. In der D-Note (Difficulty) wird die Schwierigkeit der Übung dokumentiert. In der E-Note (Execution) gehen die Turner:innen mit einem "Startkapital" von 10 Punkten ans Gerät. Bei Fehlern, Stürzen oder fehlenden Anforderungen reduziert sich dieser Wert. Die Addition von D+E-Note ergibt die endgültige Punktzahl.

Nils Dunkel - Pauschenpferd (Samstag, 07.10.)

Nils Dunkel turnt zum ersten Mal in einem WM-Finale am Pauschenpferd. Der 26-Jährige aus Erfurt gewann bei den Europameisterschaften in München 2022 die Bronzemedaille. Dunkel ist ein Ausnahmeturner am Pauschenpferd, denn deutsche Turner scheuen diese Disziplin eher. Den letzte WM-Titel am Pferd gewann der aktuelle Bundestrainer Valerie Belenki (Stuttgart) 1997. Der Weg zu einer Weltklasseübung ist weit und beschwerlich. Wie Rotorblätter eines Hubschraubers kreisen Beine und Oberkörper um die Hände.

Diese Rotation gilt es auszubalancieren. Die Pauschen sind Haltegriff und Hindernis. Beim "Wandern" über das Pferd und dem Stütz auf den Seitenteilen oder in der Mitte des Pferds stören die 15 cm hohen Griffe den Schwung. Eine Übung am Pauschenpferd besteht aus verschiedene Arten von Kreisschwüngen mit geschlossenen und gespreizten Beinen, "Scheren", sowie Schwüngen durch den Handstand mit und ohne Drehungen in unterschiedlichen Stützpositionen und auf allen Pferdteilen. Kraft- oder Halteelemente sind nicht erlaubt. Topfavorit ist Max Whitlock (GB), Olympiasieger 2016, 2021 und dreimaliger Weltmeister am Pauschenpferd.

Die Geschichte des Pauschenpferds

Das Pauschenpferd ist eines der ältesten Turngeräte, erfunden hat es tatsächlich Turnvater Friedrich Ludwig Jahn. Gedacht war es, um Stützkraft zu trainieren. Heute ist das Turnen am Pauschenpferd ein Balanceakt. Der Begriff Pauschen kommt aus dem Pferdesport, bezeichnet dort einen Teil des Sattels. International heißt das Gerät "Pommel Horse", wobei Pommel der Haltegriff am Sattel der Rodeoreiter:innen ist.

Pauline Schäfer-Betz - Schwebebalken (Sonntag, 08.10.)

Pauline Schäfer-Betz wurde 2017 in Montreal Weltmeisterin, 2015 hatte sie schon die Bronzemedaille gewonnen. Bei der WM 2021 musste sie sich nur der Japanerin Urara Ashikawa geschlagen geben. Topfavoritin ist nach ihrer Rückkehr die US-Amerikanerin Simone Biles, die in der Qualifikation allerdings nicht die schwierigste Übung zeigte.

Eine Übung am Schwebebalken darf nicht länger als 90 Sekunden dauern - gewertet werden die acht hochwertigsten Elemente und der Abgang. Geturnt werden müssen dabei drei akrobatische, drei gymnastische und drei frei wählbare Elemente. Jedes Element hat einen bestimmten Schwierigkeitsgrad. Der Schäfer-Salto, den Pauline Schäfer-Betz erfand, ist eines der schwierigsten Elemente ("E-Teil") in der Punkteskala.

Die Geschichte des Schwebebalkens

Balancieren war das Übungsziel bei der Erfindung des Balkens als Turngerät in den 1790er Jahren. Weil Turnvater Jahn kein Freund von Fremdwörtern war, änderte er "Balancieren" in "Schweben" und schrieb: "Schweben heißt Haltung im Gleichgewicht: in der Ruhe, wie in der Bewegung." Es ist also nicht der Balken, der schwebt, sondern die Turnerin. Ursprünglich ein gehobelter Stamm aus Fichtenholz, besteht der Balken heute aus einem Aluminiumprofil und einem Kunstlederbezug, ist fünf Meter lang und zehn Zentimeter breit.

Lukas Dauser - Barren (Sonntag, 08.10.)

Lukas Dauser wäre jetzt mal dran, ganz oben zu stehen. Der 30-Jährige aus dem bayerischen Glonn, südöstlich von München, ist Vize-Weltmeister und gewann bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021 die Silbermedaille, ist Vize-Europameister 2017 und holte EM-Bronze 2021 - immer am Barren. In Antwerpen turnte Dauser in der Qualifikation die beste Übung. Er hat nicht das schwierigste Programm, aber seine E-Note, mit der die Ausführung bewertet wird, war die beste. Dauser gelingt es, die Anforderungen optimal umzusetzen.

Die Herausforderung beim Barrenturnen beginnt gleich am Anfang, nämlich in Schwung zu kommen. Die parallelen Holme liegen in 1,80 Meter Höhe. Gefordert sind Elemente aus drei Elementgruppen im Stütz oder durch den Stütz auf beiden Holmen: Elemente, die im Oberarmstütz beginnen. Schwungelemente durch den Hang und Unterschwünge. Dauser ist ein Spezialist für Vorwärtschwünge, bei denen er sich auf nur einem Arm in den Handstand "kreiselt". Dausers schärfste Konkurrenten sind Ilia Kovtun aus der Ukraine und der US-Amerikaner Yul Moldauer.

Die Geschichte des Barrens

Überliefert ist, dass Friedrich Ludwig Jahn auf seinem Turnplatz in Berlin an einen Holm, der an einem Gerüst befestigt war, "Barren" schrieb. Zur Kräftigung der Arme sollten junge Turner "stützeln". Beinahe wäre Lukas Dauser aber schon vor mehr als 170 Jahren der Chance beraubt worden, am Sonntag im Finale am Barren turnen zu können. Ein eifriger Turnlehrer hatte 1851 das Sportgerät aus der zentralen Turn-Anstalt entfernen lassen, die Leistungssteigerungen hätten nichts mehr mit dem ursprünglichen Ziel der gymnastischen Ausbildung zu tun. Der Lehrer aber unterlag in diesem offiziell als Barrenstreit bekannten Konflikt.