Turbine Potsdam ist nach fünf Siegen infolge Tabellenvierter der 2. Frauen-Bundesliga.

Nach einem Drittel der Saison Turbine Potsdam stoppt den freien Fall

Stand: 25.10.2023 18:06 Uhr

Turbine Potsdam hat einen nahezu beispiellosen Absturz in die 2. Fußball-Bundesliga der Frauen erlebt. Ein mieser Saisonstart schien das düstere Bild zu festigen, doch der Traditionsverein hat sich durch eine beeindruckende Siegesserie vorerst gefangen.

"Der Glaube ist das Wichtigste in einem Team – und diesen verlieren wir nicht", sagt Marco Gebhardt im rbb24 Inforadio. Doch auch der Trainer von Turbine Potsdam wird in den letzten Monaten und Wochen Schwierigkeiten gehabt haben, zuversichtlich in die Zukunft zu blicken. Gebhardt erlebte die letzten Momente des Turbine-Absturzes hautnahe.
 
Im März wurde der 51-Jährige neuer Cheftrainer der Brandenburgerinnen, die beinahe unmögliche Mission des Klassenerhalts sollte ihm nicht gelingen. Im Mai dieses Jahres war der Abstieg besiegelt. "Es war natürlich sehr schwer", erinnert sich Kapitänin Jennifer Cramer. "Ich kenne ja noch die erfolgreichen Zeiten, habe das alles mitgemacht und wenn man – nach solch einer langen Tradition in der ersten Liga – absteigt, ist es natürlich bitter. Da hat man natürlich auch selber das Gefühl, versagt zu haben."

Riesiger Umbruch im Sommer

Für Trainer Gebhardt ging es von Anfang an darum, die Weichen für einen Neuaufbau Turbine Potsdams zu stellen – das Wunder des Klassenerhalts wäre nur ein Bonus gewesen. Und "Neuaufbau" ist die perfekte Umschreibung dafür, was dem einst so erfolgreichen Frauen-Fußballverein im vergangenen Sommer widerfuhr. 22 Spielerinnen verließen Potsdam nach dem Abstieg in Liga zwei, neun Spielerinnen kamen neu hinzu.

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Vor allem junge, entwicklungsfähige Spielerinnen hat Potsdam rekrutiert. Zum einen, da die dramatische finanzielle Situation wenig anderes zuließ. Zum anderen aber auch, weil der Verein das strategische Ziel verfolgt, zu einer Talentschmiede im deutschen Fußball zu werden und so wieder an sportlichem Profil zu gewinnen. Ein langfristiges Projekt. Und dennoch gab Turbine-Präsident Karsten Ritter-Lang Ende Mai öffentlich das Saisonziel des direkten Wiederaufstiegs aus.
 
"In unserer Situation geht das ja gar nicht", gibt Co-Trainer Dirk Heinrichs gegenüber dem Tagesspiegel zu bedenken. Der langjährige Turbine-Mitarbeiter kritisiert das ambitionierte Vorhaben seines Präsidenten: "Der Verein will auf den Nachwuchs setzen, dann muss er aber damit rechnen, dass man auch mal Rückschläge hat und man nicht sagen kann, wir wollen direkt wieder aufsteigen."

Sportlicher Aufschwung nach Fehlstart

Die von Heinrichs genannten Rückschläge erlebte die neu formierte Potsdamer Mannschaft bereits sehr früh in der Saison. Mit drei Niederlagen zum Auftakt legte Turbine einen krachenden Fehlstart hin, der quasi nahtlos an die desaströse Vorsaison anzuknüpfen schien. Vor allem die bis dahin torlose Offensive machte große Sorgen. "Wir haben es am Anfang auch schon gut gemacht", findet Kapitänen Cramer. Das Spielkonzept sei vom Start weg erkennbar gewesen. "In den ersten Spielen hatten wir auch Chancen, nur einfach nicht das Tor getroffen."
 
"Wir haben eine neu formierte Mannschaft, das muss sich erst suchen und finden", erklärt Trainer Gebhardt. Der Charakter der Spielerinnen würde laut ihm stimmen, und: "Erfolg stellt sich irgendwann ein, Qualität wird irgendwann belohnt." Da ist er wieder, dieser Glaube. Und er sollte belohnt werden. Am 4. Spieltag erarbeiteten sich die Potsdamerinnen mit einem 1:0 gegen die zweite Mannschaft des FC Bayern München ihren ersten Saisonsieg.

Trainer Marco Gebhardt ist zufrieden mit der Entwicklung von Turbine Potsdam.

Turbine-Trainer Marco Gebhardt zeigt sich zufrieden. (Foto: IMAGO / Beautiful Sports)

Seitdem hat Turbine jedes Ligaspiel gewonnen – fünf Siege hintereinander. "Nun haben wir es dann auch mal geschafft, die Null zu halten und dann ist vorne auch mal einer durchgerutscht“, nennt Cramer als Gründe für den plötzlichen Aufschwung. Der berühmte Knoten ist geplatzt. Oder wie Cramer nüchtern festhält: "Wir sind so langsam in der Spur." Nach acht Spieltagen steht Turbine mit 15 Zählern auf Tabellenplatz vier, nur zwei Punkte hinter einem direkten Aufstiegsrang.

Lina Vianden vom 1. FFC Turbine Potsdam (imago images/Beautiful Sports)
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Die Defensive als Trumpf, die Offensive als Sorgenkind

Vor allem defensiv wirkt der Bundesliga-Absteiger sehr gut eingespielt und dadurch überaus souverän. Die Mannschaft stellt mit bislang vier Gegentreffern die beste Abwehr der Liga, seit fünf Spielen steht die Null. Ein Schlüssel ist dabei die Variabilität in den Formationen. Trainer Gebhardt lässt die Mannschaft wahlweise im 4-1-4-1 oder 3-2-3-2, also mit Vierer- oder Dreierkette auflaufen. Durch diese taktischen Mittel kann sich Potsdam defensiv stets adäquat an den Gegner anpassen. Torhüterin Vanessa Fischer, sowie der Abwehrblock aus Cramer, Irena Kuznetsov, Lina Vianden und Adrienne Jordan sind formationsunabhängig gesetzt und finden so gut zusammen.
 
Minimalismus wird allerdings auch im Angriffsspiel betrieben, Potsdam hat nach acht Spieltagen nur sechs eigene Tore erzielt – die ligaweit drittwenigsten. Dabei ist weniger die Anzahl der Chancen als vielmehr die Effizienz im Abschluss das Problem. Auch im letzten Ligaspiel – beim 1:0-Sieg über die Zweitvertretung der TSG Hoffenheim – ließen die Potsdamerinnen auffällig viele Möglichkeiten liegen. "Wir haben wieder gewonnen und auch wieder zu null. Es ist super, dass die Defensive so gut steht. Natürlich wissen wir aber auch, was wir heute wieder an Chancen vergeben haben", analysierte Trainer Gebhardt die Partie.

Der Umbruch ist geglückt, der Ausblick aber unklar

Ob durch Kombinationen, Flankenspiel oder Distanzschüsse – die Chancen sind da, müssen nur besser genutzt werden. Die wichtigste Erkenntnis sollte derzeit aber wohl sein, dass sich die Mannschaft gefunden hat, der Umbruch geglückt scheint und die Leistungen seit nun schon Wochen stimmen. Aufgrund der Vorsaison und des gewaltigen Ausmaßes des Umbruchs sind das keine Selbstverständlichkeiten.
 
Etwas unklar bleibt nun die interne Erwartungshaltung an die laufende Spielzeit. Aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage bleibt die Gesamtsituation des Vereins angespannt, wohl auch deshalb nannte Präsident Ritter-Lang den direkten Wiederaufstieg als Ziel. Rein sportlich könnte ein sorgfältiger Aufbau einer neuen Mannschaftsidentität jedoch nachhaltiger sein. Hier wird die Vereinsführung von der neuen Geschlossenheit der Mannschaft lernen können.

Sendung: rbb24, 25.10.2023, 21.45 Uhr