Hertha-Trainer Pal Dardai (imago images/Henning Rohlfs)

Klare Niederlage auf St. Pauli Klare Niederlage auf St. Pauli: Hertha kassiert eine Lehrstunde vom Ligaprimus

Stand: 10.03.2024 18:52 Uhr

Das Ergebnis lautete nur 0:2, doch die Niederlage beim FC St. Pauli kam für Hertha BSC einer Lehrstunde gleich. Die Berliner waren beim Tabellenführer so chancenlos unterlegen, dass sich grundsätzliche Fragen stellen. Von Marc Schwitzky

Pal Dardai, Trainer von Hertha BSC, fühlte sich missverstanden. Hertha sei mit dem derzeitigen Kader eine Umschalt- und keine Kontermannschaft. "Ich will nicht Konter spielen, indem ich den Ball am eigenen Strafraum gewinne und übers ganze Feld kontere. Ich will im Mittelfeldblock den Ball erobern und umschalten", erklärte Dardai auf der Pressekonferenz vor der Partie beim FC St. Pauli seine Spielphilosophie. "Im Ballbesitz vertikal spielen, nach Ballverlust Gegenpressing und umschalten."
 
"Wir verteidigen gut im Block. Nur: der Block darf bei Führung nicht so tief fallen", so Dardai. Beim 2:2-Unentschieden am vergangenen Spieltag gegen Holstein Kiel habe er daher beinahe seine Stimme verloren, da seine Spieler nicht mutig genug nach vorne verteidigt und dem Gegner zu viel Platz gelassen hätten. Die 0:2-Niederlage beim FC St. Pauli am Sonntagmittag war dahingehend ein regelrechter Offenbarungseid. Bei Hertha will es in der laufenden Spielzeit einfach nicht "klicken". Wie es geht, zeigte der Tabellenführer aus Hamburg schmerzlich auf. Hertha bekam eine Lehrstunde darin, wie man Spiele für sich entscheidet.

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Fragwürdige Personalentscheidungen

Alles beginnt bei der Aufstellung. Hamburgs Trainer Fabian Hürzeler setzt hier voll und ganz auf Konstanz. Wenn der 31-Jährige nicht gezwungen wird, wird an der Formation nicht geschraubt. St. Pauli spielt stets in einem 3-4-3, in welchem jeder Spieler exakt weiß, was zu tun ist. Auch weil es stets dieselbe Startelf ist. Nur bei Verletzungen und Sperren wechselt Hürzeler notgedrungen.
 
Pal Dardai hingegen rotiert oft. Das liegt zum einen daran, dass er und der neu zusammengestellte Kader sich erst einmal kennenlernen mussten und einige schwerere Verletzungen das Einspielen einer ersten Elf erschwerten. Doch da sind auch die schwerer zu erklärenden Wechsel. Sei es in der Formation – Hertha spielte schon im 4-3-3, 4-2-3-1, 3-4-3 und 4-4-2 – oder dem Personal. Nach dem Spiel gegen Kiel (2:2) hatte Dardai seine Einwechselspieler noch kritisiert, nun aber durfte Marten Winkler starten. Und das ausgerechnet für Ibrahim Maza, der in der Vorwoche noch eine hervorragende Leistung gezeigt hatte. Eine kaum nachzuvollziehende Entscheidung, die sich rächen sollte. Der formschwache Winkler fand gegen die "Kiezkicker" nicht ins Spiel. Ohne Maza fehlte es an Spielwitz, Fußball durchs Zentrum und Ballsicherheit.

Ein taktischer Klassenunterschied

Es sind womöglich auch diese Wechsel, die die taktische Vertrautheit leiden lassen. Hertha hat in Hamburg zu spüren bekommen, wie ein gut ausgearbeiteter, taktischer Ansatz eine Mannschaft mehrere Qualitätsstufen nach oben wuchten kann. Trainer Hürzeler hat eine perfekt geölte Maschine geschaffen, St. Pauli war in jedem Moment Herr der Lage. Die Gastgeber machten von Beginn an Druck und drängten Hertha bis an den Strafraum. Das von Dardai geforderte, aggressive Mittelfeldpressing war zu keinem Zeitpunkt zu erkennen. Die Gäste versteckten sich. "Wir haben selbst für diese Liga eine zu geringe Handlungsschnelligkeit", befand Dardai nach dem Spiel. "Wir hatten in der ersten Halbzeit keine Balleroberung und keine drei erfolgreiche Pässe hintereinander."
 
Während St. Pauli einen klaren Angriffsplan mit mehreren Mustern verfolgte, sah jeder Herthaner Vorstoß frustrierend gleich aus: aus spielerischer Verzweiflung heraus folgte ein langer Ball auf Zielspieler Haris Tabakovic. Der konnte, alleingelassen gegen drei Innenverteidiger, die undankbaren Zuspiele kaum festmachen, so dass St. Pauli sofort wieder im Ballbesitz war und den nächsten Angriff ausrollte, den Hertha panisch klärte. Dann begann dasselbe Spiel wieder von vorn. Ein Spielverlauf, der die Blau-Weißen zunehmend verunsicherte und passiver werden ließ. Den Hauptstädtern wurden offensichtlich zu wenig spielerische Werkzeuge an die Hand gegeben, um St. Pauli etwas entgegensetzen zu können. Ein Klassenunterschied, der in einer komfortablen, wie hochverdienten 2:0-Pausenführung mündete.

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So werden Führungen ausgespielt

Auch im Verwalten einer Führung erhielt Hertha eine Lehrstunde. Die Berliner verzeichnen die meisten Halbzeitführungen der Liga, wären nach 45 Minuten Tabellenführer der 2. Bundesliga. Doch gleichzeitig verspielte die Mannschaft ganze 14 Punkte nach Halbzeitführungen. Zum einen, weil Konter nicht konsequent ausgespielt werden. Zum anderen, weil die Defensive selten hält und der Ballbesitz zu sehr wackelt.
 
Gerade in den letzten beiden Punkten kann sich Hertha viel von St. Pauli abschauen. Die Hamburger verwalteten das 2:0 höchst souverän bis zum Schlusspfiff. Das disziplinierte Positionsspiel half dabei, sich weiterhin sauber aus der eigenen Hälfte heraus zu kombinieren. Und weil die Gastgeber weiter konsequent nach vorne verteidigten, legte sich keine eigenartige Lethargie auf ihr Spiel, wie es so oft bei Hertha in zweiten Halbzeiten der Fall ist. Zwar wurde Hertha durch die Hereinnahme von Maza, Derry Scherhant und Marton Dardai besser, aber St. Paulis souveräne Spielführung stand, obwohl sie mehrere Gänge herausnahmen, nie wirklich auf dem Spiel.

Herthas Schlitterkurs geht weiter

St. Pauli gelang gegen Hertha eine Machtdemonstration. Das 2:0 zeigte auf: Den Bundesliga-Absteiger und den wahrscheinlich kommenden Zweitligameister trennen Welten. Zum einen, weil Trainer und Mannschaft in Hamburg deutlich besser zusammengefunden haben und wie aus einem Guss wirken. Zum anderen, weil St. Pauli taktisch deutlich mehr Antworten parat hat als die eindimensional agierende Hertha.
 
Zu oft klaffen das, was Dardai propagiert und das, was auf dem Spielfeld gezeigt wird, auf eklatante Weise auseinander. Der Ungar will aggressiven Umschaltfußball sehen, bekommt aber ängstlichen Defensivfußball mit gelegentlichem Kontern. Entweder liegt es an der Qualität des Kaders, wie Dardai selbst schon andeutete. Oder aber das Trainerteam schafft es nicht, in der Trainingsarbeit den Grundstein für eben jenen Fußball zu legen. Es wirkt, als müsste Hertha jeden Spieltag nahezu bei null beginnen - entweder klappt der Matchplan oder eben nicht. In letzterem Fall aber ist Hertha dann auch wirklich chancenlos, weil es abseits dessen kaum Muster gibt, auf die die Spieler zurückgreifen können.

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Den Wankelmut und die Verunsicherung seiner Mannschaft hat Dardai auch nach 25 Spieltagen nicht wirklich lösen können. Nach dem insgesamt guten, weil kohärenten Auftritt gegen Kiel folgte nun ein Totalausfall auf St. Pauli. Und das Kiel-Spiel war ja bereits eine Reaktion auf den schwachen Auftritt gegen Braunschweig. So schlittert Hertha durch diese Saison, in der nachweislich mehr drin gewesen wäre.
 
Es stellt sich die Frage: Finden Mannschaft und Dardai irgendwann vollumfänglich zusammen oder bleibt es bei Stückwerk und Flickschusterei? Klar ist: Das von Dardai oft verwendete Wort "Übergangssaison" darf nicht zur Schutzvokabel verkommen, um schlechte Leistungen und fehlende Entwicklung zu beschönigen. So wird kein Grundstein für den anvisierten Aufstieg 2025 gelegt.

Sendung: rbb24, 10.03.2024, 22 Uhr