Wilfried Kanga nach einer Trainingseinheit bei Hertha BSC. Quelle: imago images/Matthias Koch

Herthas neuer Stürmer Kanga Der Erbe Cordobas

Stand: 03.08.2022 11:45 Uhr

Nach langem Warten hat Hertha BSC jetzt endlich seinen neuen Mittelstürmer präsentieren können. Wilfried Kanga kommt aus Bern nach Berlin und soll eine Lücke schließen, die seit Jhon Cordoba klaffte.

Von Marc Schwitzky

Es ist bekanntlich ja selten alles schlecht. In der Saison 2020/21 gab es bei Hertha BSC einmal mehr immens viel zu kritisieren, schließlich musste die Mannschaft von Rückkehrer Pal Dardai in einem dramatischen Schlussspurt vor dem Abstieg gerettet werden. Einer der sehr wenigen Lichtblicke der Saison: Jhon Cordoba. Der Mittelstürmer war vor der Saison für stolze 15 Millionen Euro von Ligakonkurrent Köln an die Spree gewechselt. Manager Michael Preetz nahm viel Geld in die Hand, um den gegangenen Vedad Ibisevic, der jahrelang Herthas Lebensversicherung darstellte, zu ersetzen.
 
Preetz sollte ein gutes Gespür haben, denn Cordoba schlug ein. Mit seinem so wuchtigen Körper, aber auch einer Explosivität im Antritt und einem guten Torriecher ausgestattet, war der Kolumbianer womöglich einer der Gründe dafür, dass die "alte Dame" im Sommer 2021 nicht abstieg. Nach nur einem Jahr trennten sich die Wege allerdings schon wieder. Hertha hatte ein unwiderstehliches Angebot von FK Krasnodar erhalten, für 20 Millionen Euro ließ man den wechselwilligen Stürmer nach Russland ziehen.
 
Seit Cordobas Abgang herrscht eine eklatante Lücke in Herthas Sturmzentrum, die von keinem Angreifer konstant geschlossen werden konnte. Nun unternimmt der Hauptstadtklub mit Wilfried Kanga einen neuen Versuch.

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Glücklos in Frankreich und der Türkei

Kanga wurde von 2010 bis 2017 in der äußerst renommierten Akademie von Paris St. Germain ausgebildet. Die Pariser Fußballschule hat allein in den letzten Jahren beinahe schon unzählige große Talente hervorgebracht: Tanguy Nianzou (Bayern München), Moussa Diaby (Bayer Leverkusen), Christopher Nkunku (RB Leipzig) oder Kingsley Coman (Bayern München) sind nur wenige Beispiele. Lange Zeit galt Kanga ebenso als kommender Star, 2017 aber wurde der Franko-Ivorer bei PSG aussortiert. Zuvor hatte er bei einer Leihstation in der dritten französischen Liga immerhin so sehr auf sich aufmerksam gemacht, dass Erstligist Angers SCO ihn unter Vertrag nahm.
 
In seinen drei Jahren bei Angers erlebte Kanga jedoch nie seinen Durchbruch, drei Treffer in 36 Spielen waren schlichtweg zu wenig, um dem Stempel "ewiges Talent" zu entkommen. 2020 kam es zur Trennung, der Mittelstürmer versuchte sich erstmals in einem anderen Land. Es kam zum Wechsel in die Türkei zu Kayserispor. Der sportliche Neuanfang sollte aber auch in der Süper Lig nicht klappen, drei Tore in 15 Spielen waren die magere Ausbeute Kangas, der bei seinem neuen Klub nie wirklich ankommen sollte.
 
Ende Januar 2021 wurde er sogar vom Spiel- und Trainingsbetrieb suspendiert. Kayserispor befand sich in einer schweren Krise, im Zuge des Abstiegskampfes wurde entschieden, dass Kanga nicht die erwünschten Leistungen erbringen würde. Nach nur einem Jahr war auch bei Kayserispor wieder Schluss, das zerrüttete Verhältnis zwischen Klub und Spieler war nicht zu flicken. Kanga war womöglich am Tiefpunkt seiner Karriere angekommen und zog weiter.

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Der Durchbruch in Bern

Im Sommer 2021 wechselte Kanga in die Schwarz zu den Young Boys aus Bern. Der Klub hatte sich in den vergangenen Jahren durch ein herausragendes Scouting einen Namen gemacht. Etliche Spieler, die vorher unbekannt waren oder Karrierekrisen erlebten, fanden in Bern ihr Glück. Kevin Mbabu (FC Fulham, vorher VfL Wolfsburg), Djibril Sow (Eintracht Frankfurt) oder Jordan Siebatcheu, der in diesem Sommer zu Hertha-Rivale Union Berlin gewechselt ist, sind beste Beispiele für die Entwicklung, die Spieler in Bern noch einmal nehmen können. Kanga reiht sich in diese Liste bestens ein.
 
Doch auch Kanga brauchte etwas Zeit, um wirklich anzukommen. Die schweren letzten Jahre, die spielfreie Zeit seit Januar und die Eingewöhnung in den Berner Fußball forderten Geduld. In der Hinrunde der Saison 21/22 kam der Mittelstürmer meist als Joker zu Einsätzen, doch bereits in dieser Rolle konnte er auf sich aufmerksam machen. Wirkte er anfangs noch wie ein Fremdkörper im Spiel der Young Boys, explodierte er im Dezember regelrecht: In den letzten vier Spielen des Jahres erzielte er fünf Treffer und legte einen weiteren auf. Hinzu kamen vier Treffer in drei Pokalspielen. Kanga schien aufzublühen und die Anlagen sichtbar zu werden, die Berns Scouts in ihm gesehen hatten. Zu diesem Zeitpunkt erzielte der heute 24-Jährige alle 71 Minuten ein Tor – eine hervorragende Quote.

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Eine Mischung aus Zielspieler und Konterstürmer

Am Saisonende verbucht Kanga 16 Tore und fünf Vorlagen in den 34 Partien der beiden Schweizer Wettbewerbe. Und auch in der neuen Spielzeit, die vor kurzem angepfiffen wurde, konnte er mit drei Treffern und einem Assist in zwei Ligaspielen direkt an seine starke Form anknüpfen. Nun hat ihn Hertha BSC verpflichtet, Medienberichten zufolge soll er den Berlinern vier Millionen Euro wert gewesen sein.
 
Doch was für einen Stürmertypen hat sich die "alte Dame" mit ihm hinzugeholt? Der anfängliche Vergleich mit Jhon Cordoba kommt nicht von ungefähr. Auch Kanga ist mit seinen 1,89 Metern und breit gebauter Statur ein äußerst robuster, wie wuchtiger Mittelstürmer. Aufgrund seiner beachtlichen Physis ist er gut darin, Bälle festzumachen und Flanken zu verwerten - eine gute Kopfballtechnik hat er nämlich auch. Ohnehin ist er in seinem Torabschluss sehr flexibel, ob mit Kopf, links oder rechts - Kanga kann die Bälle verarbeiten.
 
Wer nun an einen klassischen Zielspieler denkt, der die Bälle nur festmacht, aber dem es selber an Tempo mangelt, ist getäuscht. Kanga ist trotz seiner Robustheit ein auffällig explosiver Spieler, der einer Defensive auch durch seinen Antritt wehtun kann. Er versteht es gut, sich von seinen Gegenspielern zu lösen und durch intelligente Läufe die Spieltiefe zu bedienen. So verdient Kanga gleich zwei Typen in sich: den des ballhaltenden Sturmtanks und den des agilen Konterstürmers. Auch hier überschneiden sich die Profile Kangas und Cordobas erneut.

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Der Stürmertyp, den Hertha braucht

In der vergangenen Saison hat genau dieser Stürmertyp Hertha so schmerzlich gefehlt. Einzig Ishak Belfodil vermochte es, jene Lücke zeitweise zu schließen, jedoch erreichte der Algerier recht spät eine gute Form und gerade als er wirklich angekommen schien, verließ er Hertha im Sommer wieder. Herthas Offensivspiel ist noch nicht so ausgereift, als dass man sich einen Mittelstürmer erlauben könnte, der nur ein einziges Profil erfüllt. Mit Kanga hat Fredi Bobic einen vielseitigen Angreifer verpflichtet, der Eigenschaften vereint, die nach Belfodils Abgang gefehlt hatten.
 
Davie Selke ist zwar groß gebaut und auch kopfballstark, dennoch hatte er stets Defizite im Festmachen von Bällen, weshalb sowohl das Spiel mit langen Bällen als auch Kontern mit ihm sehr schwer fiel. Krzysztof Piatek, der den Verein noch unbedingt verlassen soll, ist ein reiner Strafraumstürmer, auf den das gesamte Spiel ausgelegt sein muss - ein Luxus, den sich Hertha nicht leisten kann. Stevan Jovetic besitzt eine enorme Klasse am Ball, aufgrund körperlicher Probleme fehlt es ihm jedoch an Tempo und Konstanz. Jessic Ngankam, Luca Wollschläger und Derry Scherhant sind junge Talente, auf die noch nicht vollends gesetzt werden kann.

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Zweifel bleiben

So war es nur logisch, dass die Blau-Weißen noch einen Mittelstürmer verpflichten werden. Kanga ist aufgrund seiner Ablöse kein hohes finanzielles Risiko für den Hauptstadtklub, zudem passen seine Eigenschaften sehr gut zu dem Fußball, den man unter Trainer Sandro Schwarz spielen will. Dennoch bleiben natürlich Zweifel. Hat Kanga in der letzten Saison endlich seinen Durchbruch gefeiert und zu seinem Talent gefunden - oder war seine Zeit in Bern eine einmaliges Hoch und der Sprung in die Bundesliga zu groß?
 
So wie aktuell vieles bei Hertha wird es nur die Zeit zeigen können. Das Pokal-Aus in Braunschweig hat aufgezeigt, wie viele Baustellen es auf dem Feld noch gibt. Womöglich wird mit Kanga eine davon geschlossen - und somit endlich Cordobas Erbe gefunden.